Ute Bock in ihrem Büro in Wien-Leopoldstadt, von dem aus sie sich um Flüchtlinge kümmert: "Wissen S' eh, ich bin halt die Verrückte." Trotz allem hat sie sich auch ihren Humor bewahrt.

Foto: heribert corn , corn@corn.at

Standard: Frau Bock, Sie sind schon richtig prominent. Jetzt läuft gerade der zweite Kinofilm über Sie. Wie gefällt Ihnen das?

Bock: Eigentlich gar nicht. Ich hätte so etwas nie wollen. Ich war 60 Jahre ein normaler Mensch, aber ich brauch' das jetzt, sonst kann ich nicht mehr arbeiten. Ich brauch' die Reklame, und ich brauch' das Geld, aber nicht nur. Ich brauch' auch die moralische Unterstützung, dass die Leute sagen, so etwas wollen wir eigentlich nicht.

Standard: Was meinen Sie mit "so etwas"?

Bock: Kinder abschieben, die ganzen Schubhaftsachen.

Standard: Können Sie diese Prominenz auch umsetzen?

Bock: Die Leute interessieren sich vielleicht ein bissl mehr, was wirklich vorgeht. Es passieren ja grauenhafte Sachen. Und diese Süffisanz, mit der da mit Schicksalen umgegangen wird.

Wir hatten einen Fall, einen jungen Afrikaner, der in Schubhaft war, also nicht in Haft, das heißt ja "Anhaltung", also er war in einer Einzelzelle mit Gummi, weil er selbstmordgefährdet war. Sechs Jahre war er da, hat hier seinen Hauptschulabschluss gemacht, hat nie etwas mit dem Gesetz zu tun gehabt. Er kriegt ein Schreiben in die Schubhaft, er kriegt das "gelindere Mittel". Das gelindere Mittel heißt, er muss sein Quartier in der Roßauer-Kaserne nehmen. Er muss sich im Gefängnis aufhalten. Das ist doch ein Hohn, oder?

Standard: Wie ging das aus?

Bock: Er ist entlassen worden. Ich habe eine Beschwerde an diese neue Ombudsstelle gemacht. Ich dokumentiere jetzt jeden Fall und schicke das an die Ombudsstelle im Innenministerium, damit die Frau Fekter nicht sagen kann, wir haben uns nicht einmal gerührt. Vielleicht bringt das etwas.

Standard: Tun Sie sich jetzt leichter im Umgang mit den Behörden?

Bock: Wissen S' eh, ich bin halt die Verrückte. Das ist wirklich so. Ich spür das richtig, wenn ich wohin komme. Die denken sich: "Die Depperte ist da." Aber ich werde auch viel unterstützt, auch von den Beamten. Es ist halt der typisch österreichische Weg: Nichts offiziell, sondern: "Wir machen das schon." In meinen Augen hat sich die Polizei verbessert.

Standard: Woran merkt man das?

Bock: Früher waren die brutaler. Wenn die jemanden geholt haben, hat es gekracht, da hat es keinen Kompromiss gegeben. Heute habe ich den Eindruck, dass sie von dem, was sie tun, nicht mehr überzeugt sind. "Kinder will ich keine verhaften", das höre ich immer wieder. Oder mich ruft ein Polizist an und sagt, "Frau Bock, wir müssten den oder den in Schubhaft nehmen, könnten Sie nicht irgendwas machen?" Das ist auch schon passiert. Das darf man nicht laut sagen, sonst ist der Beamte weg. Es ist manches besser geworden. Natürlich gibt es überall solche und solche.

Standard: Zwei kleine Mädchen, Zwillinge, wurden mit ihrem Vater in den Kosovo abgeschoben, das hat für große Empörung gesorgt. Bei anderen Fällen bleibt die Empörung aus, da ist es offenbar nicht so leicht, Hilfe zu bekommen.

Bock: Mit Kindern geht es am leichtesten, das ist ganz klar. Ich habe eine Menge Familien mit Kindern, die sie auch beinhart auf der Straße stehen lassen, das ist den Behörden völlig egal, das ist am furchtbarsten. Aber die alleinstehenden Männer kommen eigentlich immer zu kurz. Wenn eine Familie draußen sitzt mit drei Kindern, bringe ich die als erstes unter. Aber inzwischen ist auch das härter geworden.

Standard: Macht es einen Unterschied bei den Österreichern, ob sie es mit einem Afrikaner, einem Türken oder einem Kosovo-Albaner zu tun haben?

Bock: Natürlich. Die Türken haben es momentan am schwersten. Gegen die ist so richtig Stimmung gemacht worden.

Standard: Merken Sie einen Unterschied, wie Migranten auf die österreichische Gesellschaft zugehen?

Bock: Wenn jemand kommt und hier leben will, ist er einmal aufgeschlossen. Er ist optimistisch. Er glaubt, jetzt kommt das schöne Leben. Wenn er aber permanent schlecht behandelt wird, rottet er sich mit seinen Landsleuten zusammen, will nichts mehr hören. Das ist mit den Türken passiert.

Ich habe Türken gehabt, die waren super, ein schönes, sauberes Zimmer. Nicht mein Geschmack, ein Deckerl und Rosen aus Plastik. Tadelloses Benehmen, Ausbildung war ganz wichtig. Wenn die heute nicht mehr so sind, dann sind wir daran schuld. Wenn ich jemand freundlich aufnehme, wird er freundlich sein. Wenn ich ekelhaft bin, wird er auch ekelhaft sein. Irgendwann bleibt er da, ist aber kein guter Mitbürger mehr.

Standard: Gibt es eine Faustregel im Umgang miteinander?

Bock: Die Leute sind furchtbar. Ich kenn' eine Oma, die wohnt in der Herzgasse, das ist dort fast wie in Ankara. Da sitzen am Abend die Frauen vor der Tür, die Männer spielen unten Karten, die Kinder sind auf der Gasse. Und die Oma raunzt: Die ganzen Ausländer! Gehören weg. Aber in ihrem Haus, da sind die Türken gut. Die tragen ihr nämlich immer die Tasche hinauf. Das sind die Kriterien! Am Brunnenmarkt sagen sie, die Neger haben immer geputzte Schuhe an. Das ist der Wiener Zugang: Ein Neger mit geputzten Schuhen ist ein guter Neger. Der andere ist ein schlechter Neger.

Standard: Wenn Sie die Innenministerin im Fernsehen sehen, nehmen Sie das persönlich?

Bock: Nein. Überhaupt nicht. Das ist nicht unbedingt ihre Schuld. Die Frau Fekter macht ja nur, was die Regierung will. (Michael Völker, DER STANDARD-Printausgabe, 20./21.11.2010)