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Viele Medikamente gibt es in Uganda nur dann, wenn sie gespendet werden. Die HIV-Kliniken sind überlaufen und viele Menschen kommen erst dann, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist. Armut ist und bleibt ein Multiplikationsfaktor für HIV/Aids.

Foto: Reuters/Soe Zeya Tun

Kampala - Wer ihn gesehen hat, wird ihn nicht mehr mehr vergessen: den Wartesaal im Institut für Infektionskrankheiten (IDI), einer auf HIV-Aids spezialisierten Klinik in Kampala/Uganda. Zwar sind die Kleider der Menschen hier bunt und fröhlich, die Gesichter sind es nicht. Dunkle Augenringe, ausgemergelte Körper, viele sind so krank, dass sie ihre Umgebung kaum wahrnehmen. Hier gibt es Krankheiten, die Ärzte in der westlichen Welt längst nicht mehr zu Gesicht bekommen: Elephantiasis, eine Infektion, die die Beine anschwellen lässt, Kaposi-Sarkom, dunkle Flecken am ganzen Körper, Meningitis, die Menschen erblinden lässt oder auch Tuberkulose im fortgeschrittenen Stadium. Der Trigger für diese Infektionen ist das HI-Virus. Es schwächt das Immunsystem so lange, bis gefährliche Keime die Oberhand gewinnen.

"Im Westen wird Fünf-Sterne-Medizin gemacht, wir leben aber in einem Null-Sterne-Land, und deshalb müssen wir für hier praktikable Lösungen finden und Forschung betreiben", sagt Alex Coutinho, Direktor des IDI. Er ist seit der Gründung 2004 mit dabei. Konkrete Pläne ergaben sich, als sich der ehemalige Pfizer-Chef Henry McKinnell und eine Gruppe von Wissenschaftern mit Ugandas Präsident Yoweri Museveni trafen. Pfizer hatte keine speziellen HIV-Medikamente entwickelt, wollte sich aber im globalen Kampf gegen HIV/Aids engagieren. Ein Forschungsinstitut für Afrika gab es nicht. Und so investierte der US-Konzern 60 Millionen Dollar, um die notwendige Infrastruktur zu schaffen. Man kooperiert mit der Makarere Universität in Kampala und konnte in den vergangenen sechs Jahren ein intaktes Zentrum aufbauen.

Coaster (43) ist eine von 9621 HIV-Positiven, die hier kostenlos behandelt werden. Als ihr Mann 2000 starb, entdeckte sie, dass sie selbst HIV-positiv ist, und auch der jüngste ihrer sieben Söhne. Lange Zeit ging es ihr ohne Behandlung nicht schlecht, dann schon, aber sie konnte sich die Medikamente nicht leisten. Coaster lebt in einem Slum in Kampala und kocht Ananassaft, den sie in kleinen Plastiktüten weiterverkauft. Geld hat sie keines. Weil mittlerweile auch ihr Bruder und seine Frau verstorben sind, kümmert sie sich auch um dessen fünf Kinder und um ein Waisenkind aus der Nachbarschaft.

Vor drei Jahren bekam Coaster einen Therapie-Platz am IDI. Täglich nimmt sie ihre Medikamente, geht regelmäßig zur Kontrolle. "Medikamente sind aber immer nur Teil einer Lösung", sagt Coutinho. Man kämpft gegen Tabuisierung, deshalb versucht man ein Netzwerk aus "Friends" zu eta-blieren. Auch Coaster ist "Friend" und spricht offen über die Erkrankung mit den Leuten aus ihrer Nachbarschaft.

Tabus brechen

Enttabuisierung ist ein Teil des IDI-Programms: Vor allem in den Slums. Der Boden in Coasters Hütte ist schlammig, weil in der Regenzeit Wasser in ihre Hütte rinnt. Die Kinder ziehen deshalb einfach die Beine hoch.

Laut UNAids sind rund eine Million der 30 Millionen Menschen in Uganda HIV-positiv. Unterversorgung herrscht vor allem in den ländlichen Regionen, deshalb werden am IDI Health-Workers ausgebildet und mit ihrem medizinischen Know-how in die Dörfer geschickt. Seit 2004 wurden 5700 Mitarbeiter geschult und eine Hotline als Auskunftsstelle eingerichtet.

Generell werden HIV-Patienten bei Kontrollen in Uganda ohnedies von Krankenpflegern versorgt, zu den Ärzten kommen nur jene mit schwerwiegende Problemen. Konkret sind das die sogenannten opportunistischen Infektionen, all jene lebensgefährlichen Erkrankungen, die durch das HI-Virus getriggert werden. Der Umgang mit dem weiten Spektrum der durch HIV ausgelösten Krankheiten ist eine der wichtigsten Forschungsschwerpunkte am IDI. Wie und in welchen Dosierungen werden mehrere Infektionen gleichzeitig behandelt? Wie werden HIV-positive Kinder versorgt? Und welche Lösung ist mit beschränkten finanziellen Mitteln die beste? Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des IDI registrieren, dokumentieren und werten die Daten aus. Seit 2004 hat das Institut 111 Publikationen in namhaften medizinischen Journalen publiziert. Für Jack Watters, dem Vize-Präsident von Pfizer in External Affairs, der objektive Beweis dafür, wie erfolgreich am IDI gearbeitet wird.

Wissenstransfer

Damit theoretisches Wissen auch kommuniziert wird, ist am IDI auch das Aids Treatment Information Centre (ATIC) angesiedelt. Hier wird für die Praxis aufgearbeitetes Wissen via Hotline weitergegeben. Die Forschungsergebnisse sind nicht nur für Uganda, sondern für ganz Afrika relevant. "Es gibt historisch fix eta-blierte Tuberkulose-Zentren, die aber keine HIV-Expertise hatten, wir schlagen da eine Brücke", erklärt Ceppie Berry von ATIC. Das wissenschaftliche Spektrum ist weit: Neben epidemiologischen Kohorten-Studien werden auch spezifische Fragen zu Therapiekombinationen und -dosis erforscht. Ein Fokus liegt auf "discordant couples", also Paaren, von denen einer in Bezug auf HIV immun ist. Auch HIV-Positive, deren Immunabwehr über viele Jahre vom Virus unbeeindruckt und stabil bleibt, werden in eigenen Registern geführt. Die so gesammelten Daten sind allgemein interessant, schließlich wird immer noch an einer HIV-Impfung gearbeitet.

"Wir wollten Verantwortung übernehmen und Teil der Lösung eines wirklich großen Problems sein", betont Watters auf die Frage, warum sich ein amerikanischer Pharmakonzern in Afrika engagiert. Das IDI ist zu einem Vorzeigeprojekt geworden und ist nachhaltiger als die zahlreichen Medikamentenspenden gegen Infektionen, die zu Pfizers Hilfs-Portfolio gehören. Das IDI hat sich nach sechs Jahren verselbstständigt, nur 20 Prozent seiner Finanzierung kommt heute von Pfizer, mittlerweile wurde das Forschungsinstitut auch für andere Pharmakonzernen geöffnet, diese Art von Nachhaltigkeit war von Beginn an Teil des Planes.

Corporate Social Responsibility in die Unternehmensstruktur zu verankern, ist ein Trend in der Industrie geworden. Eli Lilly engagiert sich gegen multiresistente Tuberkulose in Südafrika, Glaxo Smith Kline gegen Malaria. Vor kurzem ist Merck am IDI mit Forschungsprojekten eingestiegen.

Es ist Mittag, noch immer ist der Wartesaal zum Bersten voll. In der Mitte wurde eine kleine Bühne provisorisch errichtet, auf der drei Frauen den Wartenden zeigen, wie man Stoffe in Batik-Technik bedruckt. "Armut, Bildung und Krankheit laufen parallel. Wir versuchen den Menschen, die hier warten müssen, auch etwas beizubringen, was ihr Leben verbessert", sagt IDI-Chef Coutinho. Das seien Fünf-Sterne-Lösungen für ein Null-Sterne-Land.

Viele Medikamente gibt es in Uganda nur dann, wenn sie gespendet werden. Die HIV-Kliniken sind überlaufen, und viele Menschen kommen erst dann, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist. Armut ist und bleibt ein Multiplikationsfaktor für HIV-Aids. (Karin Pollack, DER STANDARD Printausgabe, 29.11.2010)