ruf: (wischt sich den Staub ab) Geschafft. Wir brauchen noch ein Vorwort. Also ehn, das Band läuft. Wie lange machen wir das eigentlich schon?

ehn: (blättert) 20 Jahre. Exakt: 1035 Wochen, 1917 Partien, 3277 Schachrätsel, inklusive der Zwischenräume sind das ungefähr 5,713 Millionen Zeichen.

ruf: Ungefähr. Bei 181 Beistrichfehlern wirst du gleich sagen.

ehn: Das Problem hatten wir schon. Vor zehn Jahren, zuletzt vor fünf Jahren.

ruf: Also, ehn! Bei aller Freundschaft, das ist ein sentimentaler Moment, jetzt erscheint ein Buch, unser Gesamtwerk! - Manchmal gehst Du mir wirklich ...

ehn: Seit wann sind wir per Du?

ruf: Gute Frage, ich weiß nicht mehr so recht. Das war, glaube ich, nach unserem ersten gemeinsamen Artikel über Sultan Khan, den mysteriösen Inder am Semmering, im Juni 1990. Oder nach unserem Sieg gegen Viktor Kortschnoi 2002 in Basel. Nein, warte, es war nach unserem Besuch bei Bobby Fischer in Budapest 1994. Oder war es bei Kasparow? Ach, ehn, all die schönen Erinnerungen! Oder war es, als wir über Arno Schmidt ...

ehn: (blickt auf) Wir sind nicht per Du.

ruf: Also, ehn, manchmal! 20 Jahre gemeinsames Schreiben der Schachkolumne im Standard, nun vereint in einer einzigartigen Enzyklopädie. Wir brauchen ein Resümee mit Gefühl, die Leserinnen und Leser wollen das. Vielleicht sogar mit ein bisschen Wehmut. Etwas Persönliches.

ehn: Sentimental, hm. Wir haben 1989 eine Partie gespielt, ein Matt in sieben Zügen. Eine schöne Erinnerung.

ruf: Aber darum geht es jetzt nicht. 20 Jahre Zusammenarbeit, 1000 Artikel zum Thema Schach, die Geschichte einer Freundschaft, und zudem Woche für Woche quasi ein kultureller Auftrag im Dienste ...

ehn: (unterbricht) ... 1035.

ruf: Was heißt 1035?!

ehn: Es waren 1035 Artikel.

ruf: Wirklich so viele! (schreibt) "... so sind Woche für Woche in gemeinsamer, freundschaftlicher Arbeit ohne Unterbrechung über tausend Artikel von den Ursprüngen des königlichen Spiels bis zur unmittelba-ren ..."

ehn: ... 1035.

ruf: Also gut: "... so sind Woche für Woche in gemeinsamer, freundschaftlicher Arbeit ohne Unterbrechung über 1035 Artikel von den Ursprüngen ..." Nein, so geht das nicht, wir müssen runden.

ehn: Wieso runden? Es sind sogar inklusive dem heutigen 1036 Artikel. Mit 54 Druckfehlern, 22 davon nachträglich korrigierte (ohne den möglichen heutigen). Einmal war ein Diagramm spiegelverkehrt abgedruckt, und zwar am 4. November 1991 nach dem 27. Zug in der Partie ...

ruf: (entnervt) ... ich glaube, so wird das nichts. Probieren wir es anders: Herr ehn, nach zwanzig Jahren Erfahrung, was ist Schach heute noch für Sie? Würden Sie Vladimir Nabokov zustimmen, wenn er meint, dass Schach, wiewohl Spiel, der Arbeit des Künstlers durchaus nicht ...

ehn: ... schau her, das ist Schach, von Karl Fabel, 1952. (ehn stellt die Figuren auf) Weiß zieht, setzt nicht matt.

ruf: (kiebitzt, simuliert Nachdenklichkeit) Tatsächlich nicht schlecht. Keine Ahnung, wie das gehen soll, es ist immer matt. Ach, ehn, 20 Jahre, eine so lange gemeinsame Zeit! Haben wir uns je gestritten?

ehn: Wozu?

ruf: (nach langem Schweigen) Ich glaub, ich geb's auf.

ehn: Also, so schwierig ist das mit dem Vorwort nicht. In diesem Buch findet sich 1.) eine Chronologie sämtlicher Schachartikel von 1990 bis 2010, danach folgt 2.) ein fast 100-seitiges Sach- und Personenregister von "Abakus" bis "Zwischenzug", 3.) an den Seitenrändern jeweils drei ausgewählte Schachrätsel, insgesamt 273, genug für ein ganzes Leben. Dann 4.) ein Verzeichnis der 1917 kommentierten Partien, geordnet nach Eröffnungen, schließlich die Lösungen der Rätsel. Und nicht zuletzt 5.) eine DVD mit allen Schachartikeln von ruf & ehn im Volltext. War das so schwer?

ruf: (blickt auf das Schachbrett) Wie ist die Lösung?

ehn: Das ist diesmal Sache der Leser/innen.

ruf: Haben wir noch etwas vergessen?

ehn: Nächsten Monat beginnt das Turnier in Wijk aan Zee. Noch etwas?

ruf: Ja, vielleicht. Gibt es dich wirklich?

ehn: Ja.

ruf: (zögernd) Und mich?

ehn: So halbwegs.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, Album, 27.11.2010)