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Abwarten, Tee trinken oder schlafen: das unfreiwillige Hobby der Passagiere

Foto: REUTERS/DAVID MOIR

In Wien blieben seit Freitag unzählige Flugwillige am Boden. Ihr Pech: Sie wollten nach Frankfurt oder London, und womöglich von einem dieser Drehkreuze in noch fernere Länder. Hatten sie kaum die Nachricht ihres gestrichenen Flugs verdaut, ereilte sie gleich darauf der nächste Schock: Vor den Schaltern vor allem der Lufthansa stauten sich in mehr oder weniger geordneten Schlangen Leidensgenossen.

Irgendwie wird es schon weitergehen

Wer es nach stundenlangem Anstehen schaffte, umzubuchen, fühlte sich nur vorübergehend als Sieger. Die wenigen vermeintlich gen Frankfurt fliegenden Flugzeuge verschoben sich mit schöner Regelmäßigkeit zeitlich nach hinten. Auch wenn der Anschlussflug schon verpasst war, loderte die kleine Flämmchen Hoffnung: Hauptsache erst einmal nach Frankfurt, irgendwie wird es schon weitergehen.

Hoffnungslos überbucht

Es ging dann auch tatsächlich weiter - für viele jedoch erst am nächsten oder den drauffolgenden Tagen. Denn sämtliche Maschinen nach Frankfurt waren hoffnungslos überbucht. Vielen ging es wie jener jungen Frau, die mit mehreren Bekannten von Frankfurt aus nach Mumbai fliegen wollte: "So eine Sauerei. Zwei von uns haben nicht rechtzeitig online eingecheckt und können nicht mit, 17 Leute stehen bereits auf der Warteliste."

Hürden und leibliche Qualen

Doch auch jene, die sich im Voraus im Internet ihren Sitzplatz erklickt hatten, standen noch Hürden und leibliche Qualen bevor. Vor dem Einlass zum abgegrenzten Baggage-Drop-Off-Bereich drängten die Massen. Während Besonnenere ihre Nachbarn noch höflich baten, sich doch "hinten" anzustellen, agierten andere Passagiere nach dem Recht des Stärkeren. Ein Glück, dass das Bodenpersonal bei allem nicht den Humor verlor und freundlich beschwichtigte.

Gute Nerven hatten auch Herr Dusan und Herr Helmut: Der Erste, ein Pilotenbuddha, hatte Steuerknüppel und Funkgerät fest im Griff. Der Zweite spielte als Antreiber, Enteisungswart und Überbringer schlechter Nachrichten auf Champions-League-Niveau.

Eiszeit auch für den Kanzler

Brüssel, vergangener Freitag, 15 Uhr: Bundeskanzler Werner Faymann kommt mit Delegation und in aufgeräumter Stimmung am Flughafen an. Beim kurz zuvor beendeten EU-Weihnachtsgipfel war alles prächtig gelaufen. In einer halben Stunde, hieß es bei der Abfertigung, werde die Maschine "deiced". Und dann: Abflug.

15.15 Uhr: Herr Helmut muss die Zeitangabe leicht korrigieren. Es werde nun zweieinhalb Stunden dauern - wenn die Passagiere in der Maschine bleiben. Wenn nicht, rücke der Defroster-Lkw erst in vier Stunden an. Die Delegation entscheidet sich für eine "VIP"-Baracke mit staubigem Polstermobiliar, lauwarmem Tee und die Gesellschaft der ebenfalls gestrandeten slowenischen Delegation unter Premier Bohut Pahor. Und als die Zeit lang wird, fragt sich einer, wie wohl Nikolaus "Miles & More" Berlakovich die Situation gemeistert hätte.

17.30 Uhr: Die Slowenen sind weg, Nicolas Sarkozy mit seiner Präsidentenmaschine auch. Aufsitzen, die Enteiser kommen. Der kleine Jet wird eingesprüht, dafür funktioniert nun ein Triebwerk nicht mehr. Herr Helmut schafft es mit einem Techniker und roher Gewalt, ein paar Eisstücke daraus zu entfernen. Ob die Maschine denn flugsicher sei? "Bin alleinstehend und auch ein wenig depressiv, aber kein Selbstmörder", hilft sich der leidgeprüfte Pilot mit gefrierendem Schmäh.

18.15 Uhr: Noch einmal enteisen, der Jet schlingert auf die Rollbahn und hebt ab. Bei der Landung anderthalb Stunden später in Wien müssen sich die meisten erleichterten Applaus verkneifen. (Karin Tzschentke, Christoph Prantne, DER STANDARD Printausgabe 22.12.2010)

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