Eine von der Justizministerin geplante Änderung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) soll den Gerichten untersagen, die Geburt eines Kindes als Schadensfall zu qualifizieren. Trotz des der Ministerin von Ärzten, Abtreibungsgegnern und der Behindertenvertretern gespendeten Beifalls sollten es sich die gewählten Volksvertreter genau überlegen, ob die Erlassung eines derartigen Gesetzes wirklich eine gute Sache ist.

Angeblich dient das Gesetz dazu, eine unmenschliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (OGH) zu beenden; ein Kind als Schaden anzusehen, sei mit der Menschenwürde unvereinbar. Das Problem mit dieser Begründung liegt darin, dass niemand - und schon gar nicht der OGH - ein Kind als Schaden qualifiziert hat; ganz im Gegenteil hat das Gericht ausdrücklich klargestellt, dass ein Kind niemals ein Schaden sein kann.

In Wirklichkeit geht es den Proponenten dieses Gesetzesentwurfes um etwas ganz anderes. Die Ärzte wollen sich der Haftung für ihre Fehler entziehen. Das mag subjektiv nachvollziehbar sein, stellt aber keinen Grund für ein Eingreifen des Gesetzgebers dar. Ärzte verdienen sehr viel Geld damit, dass sie im vorgeburtlichen Stadium Untersuchungen vornehmen, deren Sinn darin besteht festzustellen, ob das Ungeborene gesund ist oder nicht. Dabei unterlaufen ihnen manchmal Fehler, manchmal sogar krasse Fehler, die dazu führen, dass eine offenkundige Behinderung des Kindes übersehen wird. Bei rechtmäßigem Verhalten des Arztes hätten die Eltern vom Zustand des Fötus Kenntnis erlangt und die Schwangerschaft vorzeitig beendet - wie ihnen dies das Gesetz zu tun erlaubt.

Die gegen den verantwortlichen Arzt gerichteten Klagen auf Ersatz der Unterhaltskosten für das Kind waren bisher vor den österreichischen Gerichten (so wie vor Gerichten in Deutschland und der Schweiz und anderen europäischen Ländern) erfolgreich und haben die Gewinnmarge der Ärzte (und sei es nur durch höhere Versicherungsprämien) geschmälert. Mit der geplanten Gesetzesänderung - einem schadenersatzrechtlichen Freifahrschein - wären die Ärzte diese Sorge los. Selbst bei schwerstem Verschulden würde keine Haftung bestehen; sogar jener Gynäkologe, der einer Frau aus weltanschaulichen Gründen vorsätzlich die ihm bekannte Behinderung des Kindes verschweigt, wäre keinem Schadenersatzanspruch ausgesetzt. Kann der Gesetzgeber das wirklich wollen?

Anderes motiviert die Abtreibungsgegner. Sie wissen genau, dass mit diesem Gesetz das - politisch hart erkämpfte - Recht der Frauen auf Abtreibung in einem wesentlichen Punkt eingeschränkt werden würde. Nach § 97 Abs 1 Z 1 des Strafgesetzbuches (StGB) ist das Recht zur Beendigung der Schwangerschaft während der ersten drei Monate ("Fristenlösung") an keinen Grund geknüpft; die Frau darf die Abtreibung aus welchem Grund auch immer durchführen lassen, daher insbesondere auch deswegen, weil sie kein behindertes, sondern ein gesundes Kind will. Selbst nach Ablauf der drei Monate ist ein Schwangerschaftsabbruch zulässig, wenn die ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde (§ 97 Abs 1 Z 2 StGB). Die auf diese Weise motivierte Wahrnehmung des Rechts zum Schwangerschaftsabbruch setzt voraus, dass sich die Frau auf verlässliche Weise Information über den Gesundheitszustand des Fötus verschaffen kann.

Der Gesetzesvorschlag nimmt ihr diese Möglichkeit. Die Frau kann zwar zu diesem Zwecke einen Arzt aufsuchen; sie kann ihn aber nicht rechtswirksam dazu verpflichten, ihr die Dienstleistung der pränatalen Diagnostik zu erbringen, bleibt doch jegliche Vertragsverletzung durch den Arzt - sieht man von einer allfälligen Rückforderung des Honorars ab - sanktionslos. Der Entwurf würde es allein der Willkür des Arztes anheim stellen, ob er seine vertragliche Verpflichtung erfüllt oder nicht. Mit dieser Schutzlosstellung der Frau greift der Gesetzesentwurf durchaus subtil in das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein - subtil deswegen, weil der § 97 StGB ja unverändert bleibt und die Beschneidung des Rechts auf Abtreibung über den Umweg des Zivilrechts erfolgt.

Die ÖVP wird diesen Gesetzesentwurf, der beinahe wortwörtlich einem vor einiger Zeit von der FPÖ vorgelegten Entwurf entspricht, wohl nicht ohne Zustimmung des Koalitionspartners beschließen. Wird dieser aber tatsächlich eine solche gravierende Einschränkung des von Johanna Dohnal erkämpften Rechts zum Schwangerschaftsabbruch akzeptieren? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.12.2010)