Nuuk/Wien - Jenseits der Polarkreise, wo der Tag und die Nacht je nach Breitengrad bis zu einem halben Jahr dauern können, ist der Sonnenaufgang schon etwas ganz Besonderes - umso mehr, wenn das stets freudig erwartete Ereignis gleich um zwei Tage zu früh stattfindet. Laut dem grönländischen Rundfunk KNR zeigte sich die Sonne im westgrönländischen Ilulissat bereits am Dienstag (11.1.) um exakt 12:56:57 Uhr. Normalerweise geht die Sonne dort erst am 13. Jänner erstmals nach der Polarnacht wieder auf.

Bewohner der mit 4.500 Einwohnern drittgrößten Stadt Grönlands machten sich wegen der zu früh erschienenen Sonne Sorgen. "Hier im Ort kommt die Sonne erst am 13. Jänner. Da stimmt wohl das eine oder andere nicht," zitierte der grönländische Rundfunk KNR Holger Sivertsen, einen 74-jährigen Einheimischen, in einem Bericht auf seiner Homepage.

Keine astronomische Veränderung

Wissenschafter schließen aus, dass die Beobachtung geophysikalische oder astronomische Gründe haben könnte. "An der Konstellation der Gestirne hat sich sicher nichts geändert", so Wolfgang Lenhardt, Leiter der Abteilung Geophysik bei der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) auf der Hohen Warte. "Da wäre schon ein Aufschrei um die Welt gegangen." Die Daten von Erdachse und Erdrotation würden nämlich ständig und minuziös überwacht.

Thomas Posch vom Institut für Astronomie auf der Universität Wien schloss astronomische Gründe für das verfrühte Ende der Polarnacht ebenfalls aus. Er vermutet, dass die Beobachtung auf eine lokale Veränderung des Horizonts zurückzuführen ist. Ein durch das beschleunigte Abschmelzen des grönländischen Eisschildes bedingter niederer Horizont, der früher als bisher einen Blick auf die Sonne gestattet, erscheine als die "bei weitem am nahe liegendste" Erklärung.

Lenhardt zufolge könnte es sich eventuell auch noch um ein atmosphärisches Phänomen - etwa eine durch Eiskristalle hervorgerufene Luftspiegelung - handeln. (APA/red)