Verzerrte Wahrnehmung: Die ÖBB verspricht ein transparenteres Tarifsystem, Fahrgastvertreter sehen neue Kosten auf die Kunden zurollen.

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Wien - Die von ÖBB-Holding-Chef Christian Kern geweckten Hoffnungen, die mit dem Wintertarif eingeführten Änderungen im ÖBB-Ticketsystem wieder los zu werden, könnten herb enttäuscht werden. Der Grund: Mit der neuen Software Ticket4All, die seit einem Jahr programmiert wird, sind die Weichen Richtung grundlegender Veränderungen gestellt. Diese seien, wie mit der Materie vertraute ÖBB-Bedienstete sagen, kaum mehr zu stoppen.

Die Verkürzung der Gültigkeitsdauer für Hin- und Rückfahrtickets (ab 101 Kilometern Entfernung) von einem Monat auf zwei Tage und die Abschaffung der "Ab Stadtgrenze"-Schaltfläche im Fahrkartenautomaten war demnach nur ein Vorgeschmack auf eine umfangreiche Tarifreform, die per Sommerfahrplan auf Kunden zurollt.

Um dem Rechnungshof den Wind aus den Segeln zu nehmen, soll der Tarifdschungel ausgeholzt werden. Der Fahrgast werde auf einfachem Weg das richtige und preisgünstigste Ticket bekommen, betont man in der Bahn. Dabei bahnt sich laut Standard-Recherchen allerdings eine versteckte Tariferhöhung an, bei der Besitzer von Verkehrsverbund-Tickets mitunter doppelt zur Kasse gebeten werden. Wer ab 13. Juni nämlich mit dem Schnellzug von der Wiener Stadtgrenze nach Linz oder Wiener Neustadt fahren will, muss dafür ein Ticket ab Westbahnhof oder Meidling kaufen.

Fahrten im Schnellzug teurer

Verkehrsverbund-Fahrscheine für Wien berechtigen ab dem Sommerfahrplan wohl zur Fahrt bis zur Stadtgrenze (z. B. Purkersdorf-Sanatorium oder Wien-Liesing), aber nur mehr in der S-Bahn oder im Regionalzug, nicht aber im Intercity- oder Schnellzug. Wohl nur um 80 Cent, aber automatisch teurer werden dadurch Fahrten im Schnellzug, denn die Fahrt vom Abfahrtsbahnhof bis zur Stadtgrenze wird vom ÖBB-Personenverkehr natürlich verrechnet.

ÖBB-Pressesprecher Michael Wimmer bestätigt, dass mit Ticket4All umfangreiche Änderungen in der Pipeline sind. Diese sollten spürbare Vereinfachungen des Tarif-Dickichts mit sich bringen. Zu Details, die für Kunden eine versteckte Preiserhöhung bringen können, wollte er sich nicht äußern. Dass sich der ÖBB-Personenverkehr dabei ein Körberlgeld hole, stellt Wimmer in Abrede. Noch sei alles offen, nichts fixiert. Derzeit würden die geplanten Maßnahmen analysiert.

Dass Verbesserungen dringend nötig sind, darüber ist man sich im ÖBB-Kundenforum einig, das von Verkehrswirtschafter und ÖBB-Kritiker Hermann Knoflacher moderiert wird. Der Tarifdschungel sei undurchschaubar "und gehört dringend durchforstet", sagt Knoflacher zum STANDARD.

Der Kauf eines Tickets von Wien nach Břeclav bringt viele Variationen zutage: Von Wien-Süßenbrunn bis zur Grenzstation Břeclav kostet die Fahrt zwölf Euro, ab Westbahnhof 22,40 Euro und ab Meidling 20,60 Euro. Fazit: Die Kernzone Wien schlägt damit mit sechs Euro statt 1,80 zu Buche, jene von Břeclav-Grenze bis Břeclav-Ort mit 8,20 Euro. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 14.1.2010)

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