In den 1970er-Jahren erhärteten Radarmessungen ältere Theorien von einem See unter der Wostok-Station. Aber erst 1996 wurde die Existenz des Wostok-Sees durch eine Kombination aus Satellitenbildern (wie diese RADARSAT-Aufnahme der NASA), Radarmessungen und anderer Daten zweifels frei bestätigt.

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Der Wostok-See liegt rund 3.750 Meter unter der antarktischen Eisoberfläche. Im kommenden Dezember wollen die Russen den Durchstich wagen.

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Moskau - Dass am mit -89 Grad Celsius offiziell kältesten Ort der Erde überhaupt flüssiges Wasser vorhanden ist, grenzt an sich schon an ein Wunder. Tatsächlich existiert der Wostok-See tief unter der Eiskruste der Antarktis möglicherweise bereits seit über 30 Millionen Jahren; Forscher schätzen, dass das Wasser selbst zwischen 13.000 und eine Millione Jahre alt ist. Niemand kann sagen, ob und welche Lebewesen heute in diesem isolierten Biotop existieren und möglicherweise aus prähistorischer Zeit konserviert wurden. Um das herauszufinden, haben russische Wissenschafter ein tiefes Loch in die kilometerdicke Eisschicht der Antarktis gebohrt.

"Wir müssen nur mehr ein kleines Stückchen nach links vordringen, dann sind wir durch," berichtete Alexej Turkeyew, Chef der russischen Wostok-Polarstation noch am vergangenen Freitag über Satellitentelefon. Sein Team hatte sich in den letzten Wochen ein Rennen gegen den südpolaren Winter geliefert. Ziel der Truppe wäre es gewesen, bis zum Ende des kurzen antarktischen Sommers den 3.750 Meter tief liegenden See zu erreichen - doch es hat nicht sollen sein.

Die verbleibenden rund 30 Meter bis zum Durchstich muss sich Turkeyews Team bis zum nächsten Sommer aufheben, der Winterbeginn zwang die Forscher, mit dem letzten Flug der Saison am 6. Februar die Antarktis zu verlassen.

Die Wissenschafter vermuten, dass im größten, tiefsten und isoliertesten aller rund 150 Seen unter der antarktischen Eisdecke bisher unbekannte Lebensformen existieren, die etwas über die Erde vor der Eiszeit offenbaren könnten. Manche Forscher glauben, dass auf dem Mars und unter dem Eis des Jupiter-Mondes Europa ähnliche Extrembedingungen herrschen. "Es ist wie die Erkundung eines fremden Planeten, auf den niemand zuvor einen Fuß gesetzt hat. Wir haben keine Ahnung, was wir vorfinden werden", meint Valeri Lukin vom Russian Arctic and Antarctic Research Institute (AARI) in Sankt Petersburg, der die Expedition leitet.

Wissenschaftlicher Goldrausch

Die Entdeckung des weit verzweigten Netzwerks von subglazialen Seen auf Satellitenbildern in den späten 1990er Jahren hat einen regelrechten wissenschaftlichen Goldrausch ausgelöst: Amerikanische und britische Forscherteams sind den russischen Wissenschaftern bereits mit eigenen Missionen auf den Fersen, um andere bislang unberührte Eisseen zu untersuchen.

Experten glauben, dass das Eis über dem Wostok-See wie eine isolierende Decke wirkt, die die Erdwärme einschließt und gemeinsam mit dem hohen Druck verhindert, dass der See gänzlich durchfriert. Seine hohe Sauerstoffsättung sorgt für Umweltbedingungen, die in dieser Form an keinem anderen Ort der Erde vorzufinden sind. "Die Russen bereiten hier den Weg für alle nachfolgenden Expeditionen", meint John Priscu von der Montana State University, der als Chef-Wissenschafter das US-Programm zur Erforschung eines anderen antarktischen Sees leitet.

Gefahren für und aus der Lebens-Oase unter Eis

Unter der endlosen weißen Landschaft der Antarkis vermutet Priscu Kreaturen, die, abgeschnitten von jeglichem Sonnenlicht, Energie und Nährstoffe aus Hydrothermalquellen beziehen. "Ich denke der Wostok-See ist eine Lebens-Oase unter der Eisdecke. Aber wir müssen herausfinden, wie wir in das System kommen, ohne es zu kontaminieren; das ist noch ein großes Problem", meint der Wissenschafter. Auch dass bisher weggesperrte Keime aus dem See in die Zivilisation gebracht werden, hält der Forscher für möglich.

Bis zum nächsten Saisonbeginn im Dezember halten Kerosin und Fluorchlorkohlenwasserstoffe das Bohrloch über dem noch unberührten See weitgehend eisfrei. Doch der nächste Schritt in weniger als einem Jahr wird ein endgültiger sein. "Ich bin sehr aufgeregt, aber wenn wir einmal durch sind, wird es kein zurück mehr geben", erklärt Alexej Ekaikin, einer der an der Wostok-Expedition beteiligten Wissenschafter. "Sobald wir den See berühren, wird er für immer berührt werden." (red/Reuters)