Wolfgang Hetzer:
Finanzmafia. Wie Banker und Banditen unsere Demokratie gefährden
Mit einem Vorwort von Martin Schulz
336 Seiten, ISBN 978-3-938060-70-4
Westend Verlag
Frankfurt/Main 2011

Haben wir die Finanzkrise "global vagabundierenden Soziopathen" zu verdanken, die "weder durch ethische Orientierungen noch durch strafrechtliche Sanktionsdrohungen zu erreichen sind"? Diese Frage stellt Wolfgang Hetzer, Leiter der Abteilung für strategische Analyse bei der EU-Anti-Korruptionsbehörde Olaf, am Schluss seines aufschlussreichen Buches "Finanzmafia. Wie Banker und Banditen unsere Demokratie gefährden" - und wenn man als Leser dort angelangt ist, kommt man zweifellos zur Ansicht, dass diese Frage völlig zu Recht gestellt werden muss.

Wobei ein Top-Jurist und EU-Spitzenbeamter wie Hetzer natürlich vorsichtig mit einem sehr geläufigen Begriff wie "Finanzkrise" umgeht und eine differenzierte Sichtweise einmahnt: "Mit der Verwendung des Begriffs 'Finanzkrise' finden Neutralisierungen und Täuschungen in einem öffentlichen Diskurs statt, der den Eindruck erweckt, dass das System der globalen Kapitalmärkte nur einer vorübergehenden Funktionsstörung ausgesetzt und die strafrechtlich zurechenbare Verantwortlichkeit bestimmter Entscheidungsträger bedeutungslos sei", schreibt er zusammenfassend im letzten Kapitel. Dieses nennt er "Korruption als Leitkultur", und er macht darin deutlich, wie es aus seiner Sicht zu der "gegenwärtigen und anhaltenden verheerenden weltwirtschaftlichen Entwicklung" gekommen sei: Es handle sich um keine schicksalhafte Verkettung ungünstiger Ereignisse, sondern um ein Produkt aus "politischen Fehlentscheidungen, wirtschaftlicher Inkompetenz und krimineller Energie". 

Von HRE zu HGAA

Vor allem der Erörterung der strafrechtlichen Aufarbeitung der "Finanzkrise" nimmt sich Hetzer in dem 336 Seiten starken Werk an. Er beginnt in seinem Heimatland Deutschland, wo der Staat mit insgesamt 100 Milliarden Euro an Kapital und Bürgschaften die Hypo Real Estate (HRE) retten musste, nachdem die Kreditkrise von den USA nach Europa herübergeschwappt war. Am Ausgangspunkt der Krise, an der Wall Street, hätten die Behörden mittlerweile eine "Kultur des Betrugs" aufgedeckt, als deren Ausprägung sich "ganze Netzwerke aus Investmentbankern, Spekulanten, Analysten und Unternehmensexperten" auf den Handel mit vertraulichen Informationen spezialisiert und damit "illegal Millionengewinne eingestrichen" haben sollen.

Rasch führen Hetzer seine Überlegungen auch nach Österreich, genauer: nach Kärnten. Den "zweifelhaften Machenschaften" rund um Ein- und Wiederausstieg der Bayrischen Landesbank bei der Hypo Group Alpe Adria (HGAA) widmet er ein ganzes 55-seitiges Kapitel, in dem er die Vorgänge in Klagenfurt kompakt und unter besonderer Berücksichtigung der Entscheidungen in München genau beschreibt. Was die Aufarbeitung der Causa in Österreich betrifft, schreibt er nieder, was viele denken: Die Staatsanwälte seien "im internationalen Vergleich personell kläglich ausgerüstet. Das mag man als Schande für ein Land empfinden, das sich rühmt, eine der reichsten Volkswirtschaften zu sein. Die Politik verhöhnt womöglich mit einer solchen Mangelwirtschaft den Rechtsstaat." 

Verhöhnt wurde und wird nach Ansicht des SPD-EU-Abgeordneten Martin Schulz, der das Vorwort zu Hetzers Buch lieferte, noch jemand anderer: die gesamte restliche Bevölkerung. Schulz nennt es eine "Gerechtigkeitslücke", wenn die kleinen Leute die Zeche für die Umtriebe der Finanzzampanos zahlen müssen. Und er weist darauf hin, dass die nächste Krise nur eine Frage der Zeit sei.

Glaubwürdigkeit auf dem Spiel

Im Schlusskapitel erörtert Hetzer das Thema Korruption aus seiner praxisnahen Sicht heraus. Von einer wirksamen Bekämpfung der Korruption hänge nicht weniger als die Glaubwürdigkeit des Projekts der europäischen Integration ab; Korruption signalisiere immer auch Führungsversagen, und die Diskussion über die ökonomischen Voraussetzungen und Folgen korruptiven Verhaltens sei "durch einen anhaltenden Infantilisierungsschub" bestimmt. Oft gehörte Hinweise von Firmenchefs, dass man sich auf ausländischen Märkten ohne Korruption schlicht nicht durchsetzen könne, weil man ohne Bestechung keine Aufträge erhalte, reflektieren für den Autor entweder "das Rationalitätsmodell von Kleinkindern" oder würden ein "völlig verkommenes Rechtsbewusstsein" belegen.

Und dann sei da noch ein Problem, das sich vor allem in jüngerer Zeit manifestiere, so Hetzer: Korrumpierbarkeit durch Inkompetenz. Dabei bediene sich eine überforderte und politisch instrumentalisierte Staatsbürokratie der Hilfe Privater, "die als vermeintliche Inhaber überlegenen Sachwissens ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen sogar im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren verfolgen können"; Tendenzen dazu - um es vorsichtig auszudrücken - gab und gibt es nicht zuletzt auch in Österreich.

Angriff auf die Selbstachtung

Hetzer erklärt viel und stellt in dem Buch zahlreiche Verbindungen her, die viele Entwicklungen der letzten Jahre verständlich machen. Urteile überlässt er freilich den Gerichten, die ja nun endlich auch in der Causa Hypo aktiv sind. Allerdings ist er grundsätzlich skeptisch, was Strafvorschriften zur Bekämpfung der Korruption betrifft. "Vom Strafrecht ausgehende moralisierende Appelle können an den strukturellen und individuellen Grundlagen nichts ändern. Strafrechtspflege ersetzt keine Erziehungsarbeit." Für wichtiger hält er in diesem Zusammenhang, dass mit Korruption immer auch ein ganz bestimmtes menschliches Verhalten einhergehe: Demütigung. "Die korrumpierende Annahme von Geld ist ein Angriff auf die Selbstachtung."

Und so beantwortet Hetzer schließlich auch die eingangs zitierte Frage, nämlich die, ob man es bei den Verursachern der Finanzkrise mit "global vagabundierenden Soziopathen" zu tun habe, überaus lakonisch: "Damit würde man diese Gestalten wohl maßlos überschätzen." (map, derStandard.at, 2.3.2011)