Verkleiden ist keine Lösung, Männer! - Hält die "Doktrin von der Unterdrückung des weiblichen Geschlechts" der Realität nicht stand? (Im Bild: Tony Curtis und Jack Lemmon in "Some like it hot" als Job-suchende Jazzmusiker in einer Frauenband).

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Soziologe Hollein: falsches Feindbild, vergessene Vision.

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Die feministische Doktrin von der Unterdrückung des weiblichen Geschlechts lässt sich schon seit längerem nicht mehr belegen. Frauen gelten im Gegenteil heute als die eigentlichen Gewinnerinnen der Modernisierung; ihr Aufstieg im Laufe der vergangenen dreißig Jahre ist eklatant: Sie machen die besseren Schulabschlüsse, studieren häufiger, dominieren ganze Fachbereiche wie inzwischen auch Medizin und Jura und stellen die Mehrheit der kompetenten Berufsanfänger.

Die Emanzipationsverlierer hingegen sind heute Buben und Männer. Das lässt sich selbst in der Arbeitswelt dokumentieren, wo angeblich die Dominanzen der Männer verankert sind. Die Entwicklung der Wirtschaft tendiert seit geraumer Zeit in Richtung des "weiblichen" Dienstleistungsgewerbes und zur sukzessiven Schrumpfung der "männlichen" Industriearbeit. Dementsprechend steigt die weibliche Erwerbstätigkeit an, während die männliche ebenso kontinuierlich abnimmt. Seit einigen Jahren ist die männliche Arbeitslosenquote höher als die weibliche.

Das alimentiert nicht gerade die Zukunftsperspektive der nachwachsenden männlichen Generation - ebenso wenig wie der immer wieder kolportierte Slogan "Die Zukunft ist weiblich". In den USA spricht man mittlerweile nicht mehr von Rezession, sondern von "Hecession".

Väter unerwünscht?

Ein realitätsgerechter Blick wird sich auch auf ideologische Agenturen richten müssen, die, um den eigenen Bestand zu sichern, soziale Problemlagen erfinden oder sie geschlechtsspezifisch vereinseitigen. Beispiele dafür sind das feministische Lob der Familie ohne Mann/Vater, die Reduktion häuslicher Gewalt auf männliche Täter, die anonyme Besamung, die Übergabe künstlich gezeugter Kinder an gleichgeschlechtliche Partner, die Glorifizierung alleinerziehender Mütter oder anonyme Adoptionen. Inzwischen sind Zehntausende junger Menschen verzweifelt auf der Suche nach ihrem wirklichen Vater, von dem sie nur eine Nummer als "Besamer" kennen. Besonders deutlich hat die empirische Forschung den Wahn vom Glück der vaterfreien Familie widerlegt.

Letztere stellt in Wirklichkeit ein dramatisches Armutsrisiko dar; circa 80 Prozent der alleinerziehenden Mütter leben von staatlicher Unterstützung; die Kinder aus diesen Verbindungen sind - im Vergleich mit jenen aus vollständigen Familien - kränker, weisen schlechtere Schulleistungen auf, eine größere Suizidquote, häufigere Ausbildungsabbrüche, höhere Verwahrlosungstendenzen und Kriminalitätsraten und sind - aufgrund ihrer Vaterdeprivation - sogar noch im fortgeschrittenen Erwachsenenalter einem signifikant höheren Depressionsrisiko ausgesetzt. Angesichts solcher Befunde, die schon seit langem bekannt sind, weiterhin das Modell der Alleinerziehenden zu feiern, wie das viele Feministinnen tun, ist - ethisch besehen - kriminell.

An dieser Stelle erscheint auch die konventionelle Männerforschung zunehmend fragwürdig. Wenn man(n) sich a priori auf das Kategoriensystem des Feminismus verpflichtet, verengt sich damit der Blick auf bestimmte Problembereiche. Dementsprechend kritisiert diese Männerforschung auf der Basis der feministischen Kritik durchaus zu Recht Männergewalt, sexuellen Missbrauch oder männlichen Sexismus, ist aber nahezu unsensibel gegenüber männlichen Lebenseinbußen, die per se aus der männlichen Rolle entstehen und zum Zweiten aus der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung. Armut, Krankheit, Süchte, Suizid, Depressionen, sozialer Abstieg und gesellschaftliche Perspektivenlosigkeit nehmen bei Buben und Männern dramatisch zu. Zum Beispiel töten sich in der Pubertät zehnmal mehr Buben als Mädchen. Wie laut wäre der feministische Aufschrei, wenn es umgekehrt wäre?

Dass Männer in der offiziellen Geschlechterpolitik nur als Objekt der Kritik ins Visier geraten sind, ist vielfach problematisch. Grundsätzlich läuft es der demokratischen Verfasstheit eines Staatswesens zuwider, wenn ein ganzes Geschlecht aus politischen Bemühungen ausgespart bleibt.

Es muss in diesem Kontext auch daran erinnert werden, dass der Feminismus einst mit einer anderen Vision angetreten ist. Aus der Rückschau schreibt etwa die US-Publizistin Susan Faludi (Backlash), dass es um "ein neues Paradigma für den menschlichen Fortschritt" gegangen sei. "Dies war und ist der Traum des Feminismus: eine freiere, humanere Welt zu schaffen." So äußerten sich in der Vergangenheit auch Simone de Beauvoir oder Betty Friedan, und Gloria Steinem sprach ausdrücklich von der "Vermenschlichung beider Geschlechterrollen". Davon ist wenig übriggeblieben. Der zeitgenössische Frauendialog ist Geschlechterkampf pur um Macht.

Wachsende Frustration

Ein Beispiel dafür ist die gegenwärtige Diskussion um Quoten in einigen hundert Spitzenpositionen der Großwirtschaft. Ganz unredlich wird diese Debatte auch noch unter dem Gerechtigkeitspostulat geführt. Ginge es realiter um diesen Ordnungsaspekt, wäre auch der Blick in die Niederungen der Berufswelt vonnöten. Eine Quote bei der Müllabfuhr, der Kanalreinigung oder der Entsorgung von Gefahrengütern hat aber noch keine Frauenpolitikerin gefordert. Dass in diesen Berufen eine noch höhere Männerdominanz herrscht als in den Aufsichtsräten, scheint für die Frauenlobby eher entlastend als problematisch zu sein. Die Einseitigkeit bisheriger Gleichstellung fördert eine wachsende Frustration von Männern ob einer Politik, die nur weibliche Bedürfnisse berücksichtigt. - Was tun?

Es wäre nötig, Bereiche, in denen Männer diskriminiert werden, überhaupt einmal als Problemfeld wahrzunehmen. Dazu gehört die banale, aber offenbar tabuisierte Einsicht, dass auch Männer ein Geschlecht haben. Diese Erkenntnis gälte es, in Politiken für Männer umzusetzen. Dazu würde zum Beispiel die öffentliche Unterstützung von Männer- und Bubenprojekten gehören, die Revision der Obsorge - wie nun in Österreich erfreulicherweise angedacht - oder eine adäquate Gesundheitsprävention. Das alles enthebt Männer aber selbstverständlich nicht der individuellen wie kollektiven Notwendigkeit, auch selbst etwas für die eigene Veränderung zu tun. (Walter Hollstein/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.3.2011)