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Die Macht der Frauen wurde im STANDARD-Kommentar der anderen von Walter Hollstein mit Tony Curtis und Jack Lemmon in drag (mit einer Szene aus "Some like it hot") bebildert. Wir fragen mit "Yentl": Müssen sich Frauen Männerkleider bedienen, um erfolgreich zu sein?

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In seinem Kommentar "Die ungestellte Männerfrage" (DER STANDARD 8.3.2011) stellt der Soziologe Walter Hollstein Männer als Modernisierungsverlierer dar - und vice versa: Die Frauen als Gewinnerinnen. Junge Männer aber, die ohne Väter aufwachsen, leiden so sehr an Depressionen, dass sie sich umbringen. 10.000 junge Männer auf der Suche nach ihrem Besamer, wird da weiter posaunt. "Der Feminismus" hätte einmal anderes im Sinn gehabt, als den Geschlechterkampf um Macht. Hollstein geht weiters exemplarisch auf die Quote ein und argumentiert, wie viele GegnerInnen der Quote, mit dem Gerechtigkeitspostulat bei Müllabfuhren und der Kanalreinigung. Doch die Argumentationen des Soziologen sind undifferenziert und teilweise falsch. Zudem geht er von falschen Prämissen aus.

Dass sich die wirtschaftliche Entwicklung weg vom Industriesektor hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft bewegt, hat der Soziologe Daniel Bell bereits 1975 ausfindig gemacht. Der Dienstleistungssektor ist tatsächlich überwiegend mit Frauen besetzt und Hollstein hat Recht, wenn er behauptet, dass die weibliche Erwerbstätigkeit zunimmt. Ungefragt bleibt jedoch die Qualität der Arbeitsverhältnisse. Es handelt sich hierbei meist um Jobs mit schlechter bis sehr schlechter Bezahlung und den unmöglichsten Arbeitszeiten. Für Personen, die sich mit der Ungleichheit der Geschlechter befassen, ist das jetzt nicht neu: Mit Bezug auf Hollstein muss aber richtig gestellt werden, dass Frauen in der Dienstleistungsgesellschaft minder bewertet (siehe Einkommen) werden und die viel zitierte hohe Frauenerwerbstätigkeit auf die Schaffung unzähliger Teilzeitstellen zurückzuführen ist.

Biologistisch und falsch

Frauen sehen sich dabei mit Strukturen konfrontiert, die ein berufliches Aufsteigen - trotz sehr guter Bildung - nicht ermöglichen -, weder in der Privatwirtschaft noch beispielsweise an den Universitäten. Im Übrigen werden Frauen mit Kindern, im Vergleich zu Vätern, in der Wirtschaft nach wie vor als Risikofaktor stigmatisiert.

Die Behauptung von Hollstein, dass es mehr arbeitslose Männer als Frauen gibt ist schlicht falsch. Die bereinigte Arbeitslosenquote der Männer liegt in Österreich derzeit bei 4,1 Prozent, jedoch stehen 4,4 Prozent der Frauen dem Arbeitsmarkt als Reservearmee zur Verfügung. Nebenbei bemerkt: Seit geraumer Zeit steigt die Erwerbstätigkeit der Männer überproportional im Verhältnis zu jener der Frauen.

Mit biologistischen Argumenten erklärt Hollstein die Unterdrückung junger Männer, die ohne ihren Vater aufwachsen, wiewohl er richtig erkennt, dass Alleinerzieherinnen besonders in die Armutsfalle tappen. Der "Alleinerzieherinnen-Kult" - wo auch immer Hollstein diesen ortet - sei kriminell, weil sich immerhin mehr Buben als Mädchen umbringen. Wenn schon derartige Argumente herangezogen werden, muss mit Blick auf Suizidstatistiken angeführt werden, dass männliche Suizidenten zu sogenannten harten Methoden (vor den Zug werfen, Schusswaffen) greifen - Frauen hingegen zu weichen Methoden, etwa Medikamentenmissbrauch, und die Wahrscheinlichkeit des Suizidgelingens bei Buben daher stärker gegeben ist.

Mit "soziale Problemlagen erfinden oder sie geschlechtsspezifisch vereinseitigen" diffamiert Hollstein Fraueneinrichtungen indem er einen "realitätsgerechten Blick auf ideologische Agenturen" fordert. Abgesehen davon, dass sich Hollstein hier auf dem glatten Eis reaktionärer Propaganda bewegt, ist es umso bemerkenswerter, dass ein Soziologe soziale Tatsachen - wie physische und/oder strukturelle Gewalt an Frauen - in Frage stellt.

Nicht Feminismus: Feminismen!

Hollsteins Klage befasst sich ferner mit den Visionen des Feminismus. Den Feminismus, diesen einen Feminismus, gibt es aber nicht. Inzwischen ist nämlich sowohl die wissenschaftliche als auch die politische Befasstheit mit der Geschlechterfrage so ausdifferenziert, dass frau - und Herr Hollstein ebenso - nicht von dem Feminismus sprechen kann. "Eine freiere, humanere Welt zu schaffen" kann durchaus als ein Anliegen frauenpolitisch motivierter AkteurInnen gesehen werden. Dabei geht es nicht nur um eine gerechte Teilhabe an gesellschaftspolitischen Entscheidungen und an Macht, oder um die Hälfte der Welt. Tatsächlich geht es um eine andere Welt, in der Frauen leben wollen.

Wachsende Frustration ortet er wiederum bei der Quotendebatte und fordert eine Quote bei der Müllabfuhr, der Kanalreinigung oder der Entsorgung gefährlicher Güter. Um gleich oder ähnlich zu argumentieren müsste es dann heißen: Her mit einer Männerquote in der Altenpflege, bei der Kinderbetreuung, im Supermarkt, bei der Raumpflege usw.! Allesamt Branchen, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden und minder bewertet und bezahlt sind. War der Beruf der Lehrerin/des Lehrers einst mit hohem Status versehen, ist, seitdem Frauen in dieser Sphäre dominieren, eine Abwertung des gesamten Berufsstandes zu konstatieren - und das ist nur eines von vielen Beispielen in der Berufswelt.

Herr Hollstein hat Recht!

Die einseitige Gleichstellung oder positive Diskriminierung von Frauen ist dringend notwendig. Die Forderungen sind nach wie vor zu mild: Die Quote wird zu 25 bis 40 Prozent gefordert, auch wenn Frauen 52 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Dabei wird noch über Freiwilligkeit und Wahlfreiheit schwadroniert. Mit Freiwilligkeit lassen sich aber keine festgefahrenen Machtverhältnisse ändern. Abschließend bediene ich mich eines Satzes von Hollstein, den er logisch auf die Ungleichbehandlung von Männern formulierte. Faktisch trifft er mit diesem Satz den Kern vieler Feminismen: "Grundsätzlich läuft es der demokratischen Verfasstheit eines Staatswesens zuwider, wenn ein ganzes Geschlecht aus der politischen Bemühung ausgespart bleibt." Wie Recht er hat! (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 8.3.2011)