Mehrere tausend Menschen haben am Samstag in Deutschland für den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft demonstriert. In Köln gingen nach Polizeiangaben 1.500 Menschen auf die Straße, in Hamburg protestierten 1.200 Kernkraftgegner vor dem Kundenzentrum des Energieversorgers Vattenfall. Auf Transparenten war zu lesen: "AKW sind sicher, und die Erde ist eine Scheibe". In Landshut verlangten mehr als 1.000 Menschen die endgültige Stilllegung des Kraftwerks Isar 1, das zunächst für drei Monate vom Netz genommen worden ist. In Lübeck forderten 1.100, in Gera 200 Menschen eine rasche Energiewende in Deutschland.

In Stuttgart mischten sich viele Kernkraftgegner mit gelben Anti-Atomkraft-Fahnen und -Plakaten unter eine Demonstration gegen das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21. Die Polizei sprach von rund 18.000 Teilnehmern, die Veranstalter zählten rund 60.000 Menschen. "Viele Stuttgart-21-Gegner sind auch gegen Atomkraft und haben das heute zum Ausdruck gebracht", sagte Mitorganisator Rainer Benz.

Auf der Kundgebung kritisierten zahlreiche Redner die Atompolitik der schwarz-gelben Stuttgarter Landesregierung. "Beides, die Atomenergie-Nutzung und dieses unsinnige Bahnprojekt, sind Ausdruck einer starrhalsigen Politik", sagte die Landesvorsitzende des Umweltverbandes BUND, Brigitte Dahlbender. Schauspieler Walter Sittler bezeichnete die jüngsten Entscheidungen der Regierung zur Atomkraft als "verzweifelten Versuch, am 27. März an der Macht zu bleiben".

In Fulda, Kassel und Frankfurt gedachten rund 1.700 Menschen mit Schweigemärschen der Katastrophenopfer in Japan. Dazu aufgerufen hatten die hessischen Grünen. "Wir wollen Trauer und Betroffenheit Ausdruck verleihen", sagte Kai Klose, Landesgeschäftsführer der Grünen. In erster Linie werde an die Erdbeben- und Tsunami-Opfer erinnert - und nicht gegen Atomkraft demonstriert. Gut eine Woche nach der Naturkatastrophe betrauerten die Japaner fast 7.200 Tote, rund 10.900 Menschen galten am Samstag noch als vermisst.

Grüne für endgültige Stilllegung aller AKW bis 2017

Die Grünen fordern eine endgültige Stilllegung aller Atomkraftwerke in Deutschland bis zum Jahr 2017. Das Atomzeitalter solle in der kommenden Legislaturperiode endgültig beendet werden, heißt es in einem am Samstag gefassten Beschluss des Länderrats in Mainz. Nach Ansicht der Grünen kann die Stromerzeugung bis 2030 "annähernd komplett" auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Auch der europaweite Ausstieg aus der Atomenergie soll nach dem Willen des Kleinen Parteitags "unverzüglich" beginnen.

Das Abschalten alter Atomkraftwerke in Deutschland, Spekulationen über Stromausfälle und der Ruf nach einem schnellen Netzausbau für Ökostrom haben die Debatte über höhere Strompreise weiter angeheizt. Die Atomkatastrophe in Japan führte offensichtlich zu einem Bewusstseinswandel beim Verbraucher.

Die FDP und ihr Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wollen den Ausbau neuer Stromtrassen forcieren. Wie "Bild.de" berichtete, will Brüderle dazu am kommenden Montag ein Gesetz vorlegen, das einen wesentlich schnelleren Ausbau der Stromnetze für Energie aus Biomasse, Erdwärme, Wind, Solar und Wasser vorsehe als bisher. Neue Trassen für Öko-Strom sollen demnach nicht mehr mit juristischen Verfahrenstricks verhindert werden können.

Kernpunkt des neuen Gesetzes sei ein Bundesnetzplan: Darin würden die notwendigen Trassenkorridore bundesweit ausgewiesen und für den Bau von Hochspannungsleitungen reserviert. Der "Fleckerlteppich" bei den Genehmigungen aufgrund von Länderzuständigkeiten werde abgeschafft. Gemeinden müssten den Leitungsausbau "im Interesse des Gemeinwohls" hinnehmen. Die unterschiedlichen Genehmigungsformate für Freileitungen und Erdkabel sollen vereinfacht werden.

Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) forderte im Magazin "Focus" ein Programm zum Ausbau der erneuerbaren Energien mit einem Volumen von sechs Milliarden Euro. Ein Drittel der Summe solle in die Entwicklung von Speichertechnologien fließen, eine weitere Milliarde in den Ausbau regionaler Verteilnetze und eine Milliarde in den beschleunigten Bau von Stromtrassen, um Offshore-Windstrom von der Küste in Ballungszentren zu transportieren.

Am Freitag waren die alten Atommeiler in Deutschland vom Netz genommen worden. Sie sollen angesichts der Katastrophe von Japan einer zusätzlichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden.

Nach einer Emnid-Umfrage für "Focus" würden mehr als zwei Drittel der Bürger (69 Prozent) höhere Stromrechnungen in Kauf nehmen, wenn der Strom nicht mehr aus Kernenergie stammt. Das Institut Emnid befragte am 16. und 17. März 1.000 repräsentativ ausgewählte Personen. (APA)