Brigadier Feichtinger: Politische Zielvorgabe fehlt.

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Die bereits am zweiten (!) Tag der Angriffe auf libysche Militäreinrichtungen aufgeflammte Auseinandersetzung um die Reichweite und Auswahl der Ziele sowie um den eigentlichen Zweck der humanitären Intervention offenbart deren immanente Problematik.

Denn Angriffe auf Zivilisten zu stoppen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern ist ein moralischer Imperativ (Responsibility to Protect), aber keine wirkliche politische Zielsetzung. Diese könnte eigentlich nur darin bestehen, einen Regierungswechsel herbei zu führen, um die Ursache, schlechte Regierungsführung, zu beseitigen.

Was tun mit Gaddafi?

Doch das ist in der Resolution 1973 nicht vorgesehen - Absicht gemäß Punkt 1 und 2 ist vielmehr, das brutale Vorgehen der Gaddafi-Truppen zu stoppen und einen Waffenstillstand zu erreichen, um damit die Voraussetzungen für eine politische Lösung für die legitimen Forderungen des libyschen Volkes zu schaffen.

Somit stellt sich erstens die Frage, in welcher Form die internationale Gemeinschaft mit Gaddafi verfahren und verhandeln will. Denn schließlich war der Internationale Strafgerichtshof vom Sicherheitsrat bereits Ende Februar ersucht worden, ein Ermittlungsverfahren gegen den libyschen Staatschef und Mitglieder seines Regimes wegen derer mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuleiten. Er ist somit gewissermaßen ein "Paria" der Staatengemeinschaft. Darüber hinaus hat Frankreich den Revolutionsrat schon als offizielle Vertretung Libyens anerkannt. Offensichtlich bestehen hier unterschiedliche Auffassungen und Diskrepanzen über die tatsächliche Reichweite des Mandates zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrats, in der Arabischen Liga, aber auch innerhalb der Nato.

Viel drängender aber ist zweitens die Frage, wie dieser moralische Imperativ militärisch umzusetzen ist. Die Resolution 1973 erlaubt nämlich den Einsatz militärischer Mittel, um Zivilpersonen zu schützen, ein Flugverbot im libyschen Luftraum sowie ein Waffenembargo zu Wasser, zu Lande und in der Luft durchzusetzen und das Einschleusen von externen Kämpfern ("Söldner") zu verhindern.

Es wäre nun naiv anzunehmen, dass die militärischen Kräfte der Koalition der Willigen immer nur dann in Erscheinung treten können, wenn die Zivilbevölkerung angegriffen wird, sozusagen auf Knopfdruck. Die politische Entscheidung, ein generelles Flugverbot zu verhängen und militärisch durchzusetzen, brachte nämlich zwangsläufig ein Verfahren in Gang, das in der Anfangsphase den Schutz der eingesetzten Soldaten bewirken soll.

Es kann ja wohl nicht im Interesse der Interventionsbefürworter sein, die eigenen Kräfte einer Lebensgefahr auszusetzen und den Gegner das Geschehen bestimmen zu lassen. Damit passiert genau das, was seit Freitag vergangener Woche auf den Bildschirmen zu sehen ist - die libysche Luftabwehr und Führungszentralen werden systematisch vernichtet und Armeeteile am weiteren Vorgehen gehindert.

Dies führt in Politik und Öffentlichkeit unverzüglich zu Fragen nach der Zweck- und Rechtmäßigkeit einzelner Zielobjekte, wie lange es noch dauern kann, welches Ereignis zu einer Veränderung führen würde und so fort. All das lässt sich jedoch nur beantworten, wenn es ein klares politisches Ziel gibt.

Dringender Klärungsbedarf

Wie im Falle der Nato-Luftangriffe gegen das Milosevic-Regime 1999 stellt sich daher die dringende Frage nach der eigentlichen politischen Zielsetzung des militärischen Engagements. Damals ging es auch anfänglich um den Schutz der Zivilbevölkerung, letztlich war es der Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte aus dem Kosovo - und dafür waren mehr als 70 Tage intensiven Luftkriegs erforderlich. Welches klare politische Ziel gibt es nun gegenüber Libyen, an dem sich die militärischen Planungen jetzt orientieren können? Es wäre gut, hier rasch eine Antwort zu finden - denn vom "Erfolg" der humanitären Intervention in Libyen wird in hohem Masse abhängen, in welcher Form und Intensität die internationale Gemeinschaft zukünftig ihrem Schutzauftrag nachkommen will und wird. (Walter Feichtinger, STANDARD-Printausgabe, 23.03.2011)