Schon jetzt wird die Sicherheitsratsresolution 1973 vom 17. März 2011, mit welcher eine Flugverbotszone über Libyen eingerichtet und die bereits bestehenden wirtschaftlichen Sanktionen gegen dieses Land weiter verschärft wurden, als historisch bezeichnet. Dies gilt unabhängig von Zeitpunkt und Form der Überwindung der zugrundeliegenden Krise. Diese Resolution und die nur einen Tag später gestarteten militärischen Maßnahmen sind Beleg für die Bereitschaft der Staatengemeinschaft, für die Einhaltung grundlegender Menschenrechte einzustehen.

Res. 1973 (2011) ist - vorläufiger - Endpunkt einer langen Entwicklung. An ihrem Anfang stand die Frage, in wie weit die Vereinten Nationen die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte nötigenfalls auch erzwingen kann. Über eine lange Zeit hin wurde einem solchen Ansinnen das Dogma staatlicher Souveränität und das Verbot der Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten entgegen gehalten. Die Vereinten Nationen könnten sich für Menschenrechtsanliegen interessieren, den Schutz der Menschenrechte fördern, das Dogma staatlicher Souveränität schien aber jeglicher gewaltsamen Durchsetzung von Menschenrechtsprinzipien entgegen zu stehen. Dies galt insbesondere dann, wenn ein grenzüberschreitender Konnex nicht unmittelbar erkennbar war.

Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ex-Jugoslawien und in Ruanda, geschehen im Lichte der Weltöffentlichkeit, haben diese Position definitiv unhaltbar gemacht. Im Jahr 2005 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein sog. "Ergebnisdokument" (outcome document) verabschiedet, in welchem dem seit einigen Jahren intensiv diskutierten Konzept der "Schutzverantwortung" (responsibility to protect - R2P) offizielle Anerkennung zuteil geworden ist.

Die Formulierung dieses Konzepts erfolgte zugleich souveränitätsschonend und entwicklungsoffen: In erster Linie sollte die Verantwortung für den Schutz der Zivilbevölkerung dem betreffenden Heimatstaat zustehen. Es wurde aber auch kein Zweifel daran gelassen, dass im Falle einer Missachtung dieser Verantwortung, bei Vorliegen schwerer Verbrechen, die Staatengemeinschaft aktiv werden sollte. Dabei sollten im Extremfall auch Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen möglich sein. Eine Zusammenarbeit mit den zuständigen Regionalorganisationen sollte angestrebt werden.

In den letzten Jahren war unklar, in wie weit die Vereinten Nationen diese Schutzverantwortung auch tatsächlich wahrnehmen würden. Befürchtungen wurden laut, der epochale Schritt aus 2005 könnte auch wieder zurückgenommen werden. Res. 1973 (2011) ist nun der definitive Beleg, dass diese Entwicklung unumkehrbar geworden ist. Diese Resolution betont sowohl die Schutzverantwortung Libyens (Abs. 3) als auch jene der Staatengemeinschaft im Kontext der Einführung der Flugverbotszone (Abs. 6).

Auf den wertvollen Beitrag der Arabischen Liga wird ebenfalls verwiesen. Auch auf die Afrikanische Union wird Bezug genommen, wenngleich der militärische Interventionsmechanismus bei schweren Menschenrechtsverletzungen, den die Gründungsakte aus 2000 vorsieht, bislang toter Buchstabe geblieben ist.

Umgekehrt ist Res. 1973 (2011) auch Beleg dafür, dass unilaterale Maßnahmen, sog. Maßnahmen der humanitären Intervention ohne UN-Mandat, wie sie von einzelnen Staaten in den letzten Wochen auch angedacht worden sind, endgültig nicht mehr als zulässig zu erachten sind.

Welche Position kann und soll Österreich in dieser Situation einnehmen? Gemäß Abs. 9 der Resolution werden alle Mitgliedstaaten - einzeln oder über regionale Organisationen - aufgefordert, diese Sanktionen zu unterstützen, einschließlich der Einräumung von Flugverbotszonen.

Wird hier der Neutralitätsfall aktualisiert? Es ist schon seit langem unumstritten, dass die Neutralitätspflichten gegenüber den Pflichten aus der Satzung der Vereinten Nationen zurückweichen. Die jetzt in Österreich zu hörenden Warnungen, die Republik dürfe sich aus Neutralitätsgründen an solchen Sanktionen nicht beteiligen und insbesondere keine Einheiten für europäische Kampftruppen (Battlegroups) stellen, geht von falschen Annahmen aus: Ein europäischer Militäreinsatz ist ohnehin nur kraft UN-Autorisierung völkerrechtlich zulässig. Ist diese gegeben, so liegt kein Neutralitätsfall vor, unabhängig davon, ob eine Beteiligung (in welcher Form auch immer) autonom oder in einem regionalen Verbund erfolgt. (Peter Hilpold, STANDARD-Printausgabe, 23.03.2011)