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Der einzige Mensch, dessen Todesurteil durch Israel tatsächlich vollstreckt wurde: Adolf Eichmann, der "Architekt des Holocaust". 1960 in Argentinien vom israelischen Geheimdienst gefasst, wurde ihm 1961 für seine dokumentierten Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges in Jerusalem der Prozess gemacht. 

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Durch die Aussagen der Opfer wurde ein umfassendes Bild der Shoah rekonstruiert.

Formal war es ein Strafverfahren, doch inszeniert war es als Geschichtslektion, an die man sich auch 50 Jahre danach lebhaft erinnert.

Am 11. April 1961 wurde Adolf Eichmann im "Haus des Volkes" in Jerusalem von zwei Polizisten in einen Käfig aus Panzerglas geführt. Hier sollte er vier Monate lang mit schiefgezogenem Mund durch einen Kopfhörer den Übersetzern lauschen und immer wieder aufspringen, um auf Deutsch beinahe eifrig die Fragen zu beantworten, die der "Herr Generalstaatsanwalt" und der "Herr Präsident" an ihn richteten. Doch Eichmanns Motive, das Ausmaß seiner Schuld und die Schwere seiner Strafe waren letztlich nur Nebenaspekte. Der hagere "Fahrdienstleiter des Todes" war gar nicht die Hauptperson in seinem eigenen Prozess. Dessen Bedeutung liege darin, dass "zum ersten Mal Überlebende ein Podium bekamen, um ihre persönliche Geschichte zu erzählen" , sagt Dan Michman, Chefhistoriker der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Bei den Nürnberger Prozessen der 40er-Jahre habe man sich auf die Täter konzentriert. Erst durch den Eichmann-Prozess sei erstmals ein Gesamtbild der Shoah durch die Augen der Opfer entstanden.

"Es war eine Periode großer Anspannung" , erinnert sich Michman. "Überall im Land haben die Menschen täglich die Radioübertragung gehört." Er war damals 14 Jahre alt und lebte den Prozess schon deswegen intensiv mit, weil sein Vater einer der rund 100 Zeugen war. Jozef Melkman, ebenfalls Historiker, hatte die Lager Westerbork und Bergen-Belsen überlebt und konnte die Nazizeit in Holland schildern. "Es gab Druck – viele Menschen wandten sich an die Staatsanwaltschaft, weil sie aussagen wollten, und man wählte Leute aus, die sich gut ausdrücken konnten und verschiedene Länder repräsentierten." Staatsanwalt Gideon Hausner hatte noch in der Nacht vor dem Verhandlungsbeginn schlaflos nach den richtigen Worten für sein Eröffnungsplädoyer gesucht. "Ich stehe hier nicht allein – mit mir treten hier zu dieser Stunde sechs Millionen Ankläger an", lautete der Kernsatz, in den Hausner das ganze Gewicht des israelischen Jahrhundertprozesses packte.

Mit dem 55-jährigen Oberösterreicher Eichmann, den ein Mossad-Kommando ein knappes Jahr zuvor aus Buenos Aires entführt hatte, stand jener Naziverbrecher vor Gericht, der von der Enteignung über die Deportation bis hin zu Erschießungen und Vergasungen am industriellen Judenmord in allen Abschnitten führend beteiligt war.

Zentrale Rolle im Holocaust

"Wir wissen heute" , so Michman, "dass er trotz seines relativ niedrigen Ranges eine zentrale Rolle in der Entwicklung der antijüdischen Politik gespielt hat." Eichmann bestritt nicht, dass er Vernichtungslager inspiziert und Leichenberge gesehen hatte, baute seine Verteidigung aber darauf auf, dass er nichts hätte verhindern können: "Was mir befohlen worden ist, musste ich machen kraft meines Fahneneids und meiner Verpflichtung – ich bin ein Werkzeug stärkerer Kräfte gewesen, ich muss meine Hände in Unschuld waschen." Auch dafür, dass schon bei den von ihm selbst organisierten Eisenbahntransporten viele Menschen starben, könne man ihn nicht verantwortlich machen: "Ich konnte ja in Berlin nicht wissen, was auf einer Strecke XY vorgeht, Herr Präsident."

Bis heute tauchen neue Dokumente über Eichmann auf, die aber am Geschichtsbild wenig verändern. 1948 wäre es Mossad-Leuten im Verein mit Simon Wiesenthal beinahe gelungen, Eichmann im österreichischen Altaussee zu fassen. Und schon 1952 soll der deutsche Bundesnachrichtendienst gewusst haben, dass Eichmann sich in Argentinien versteckt hielt. Rätselhaft bleibt, wieso der arrogante SS-Obersturmbannführer nach seiner Ergreifung das israelische Gericht anerkannte und mit den von ihm so verachteten Juden respektvoll kooperierte.

Das israelische Staatsarchiv hat kürzlich dutzende Unterlagen über die Festnahme und den Prozess veröffentlicht, darunter Protokolle von Gesprächen zwischen Eichmann und seinem deutschen Verteidiger Robert Servatius. Darin bescheinigte Eichmann etwa seinen Entführern, sie seien "auf sportliche Weise" vorgegangen – die Aktion habe sich "durch eine hervorragende Organisation und Planung ausgezeichnet" . Als "der Schock nach dem Fall des Dritten Reichs vorbei war" , sagte Eichmann an einer anderen Stelle, habe er "mit anderen Augen auf die Vergangenheit geblickt."

Am 31. Mai 1962 wurde Adolf Eichmann im Hof des Gefängnisses von Ramle gehängt. Es war das einzige Mal, dass in Israel ein Todesurteil vollstreckt wurde. (Ben Segenreich aus Tel Aviv/DER STANDARD, Printausgabe, 11.4.2011)