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Er geht voran, er ist ein Vorbild, er arbeitet wie ein Pferd: Der Leistungsträger. Die Politik hat sich gerade wieder auf ihn zurückbesonnen.

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"Wo woar mei Leistung?" wurde im Herbst vergangenen Jahres zum geflügelten Wort, als die Abhörprotokolle der ehemaligen Hoch-Leistungsträger Grasser, Meischberger und Plech ans Licht der Öffentlichkeit gelangten. Nun beschwört die Politik den "Leistungsträger" einmal mehr herauf. Er wird viel gepriesen, oft zitiert, immer wieder bemitleidet als die Melkkuh der Nation. Aber eines ist allen klar: Er hat es zu etwas gebracht, am besten gleich aus dem Nichts heraus. Mit harter Arbeit und eisernem Willen hat er (wahrscheinlich ist auch "sie" gemeint, aber statistisch gesehen spielt die Leistungsträgerin eine untergeordnete Rolle) es geschafft, im Verteilungskampf ganz vorne mitzuspielen.

Darauf, dass er die Spendierhosen nicht runterlassen muss, hat sich zuletzt beispielsweise die ÖVP eingeschossen. Denn gerade in Steuerfragen ist der Leistungsträger gern verwendetes Anschauungsmaterial. In ihrer Antrittsrede bezeichnete sich die Neo-Finanzministerin Maria Fekter als "Anwältin der Leistungsträger", seien diese es doch schließlich, die den Staat mit ihren Steuern finanzieren. Aber auch auf der anderen Seite der koalitionären Achse will man den Leistungsträger nicht vernachlässigen. Allerdings, man hängt ihm ein anderes Mäntelchen um und verabschiedet sich ganz der Parteihistorie gemäß vom reichen Besserverdiener. Für SPÖ-Parteichef und Kanzler Werner Faymann ist der Leistungsträger schlicht jeder, der hart arbeitet und sein Geld schwer verdient.

Der Leistungsträger im Porträt

Doch wer ist der Leistungsträger überhaupt? Und: Wie wird man einer, wenn man noch keiner ist? Fangen wir in der Vergangenheit an. Leistung, vor allem Wohlstand aus Leistung, wurde in seiner historischen Bedeutung vor allem als Abgrenzung zu Wohlstand aus Standesvorteilen, aus Erbschaft oder ähnlich inaktiver Vermögenssteigerung verstanden. Philosoph Konrad Paul Liessmann spricht in einem Profil-Artikel von einem "bürgerlichen Leistungsbegriff", der sich "gegen die Aristokratie und ihre Privilegien qua Geburt" wende. 

In der Physik ist Leistung verrichtete Arbeit (oder Energie) pro Zeit. In der Betriebswirtschaftslehre heißt Leistung auch so viel wie Zahlung - und: Leistung steht im Gegensatz zu Kosten. Kurz gesagt: Leistung kostet.

Wolfgang Maderthaner, Historiker und Leiter des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung, verortet im Gespräch mit derStandard.at den Begriff des Leistungsträgers vordergründig im Mannschaftssport: "Wir kennen hier die 'Wasserträger' und die 'Leistungsträger'. Das Kollektiv braucht sie beide, um zu funktionieren." Der sportliche Leistungsträger könne strategisch denken und verfüge über eine bessere Technik - er ist "das Herz und das Hirn" der Mannschaft. Außerdem verstehe er es, die Wasserträger - also die breite Masse - zu motivieren und so einzusetzen, dass das Ergebnis am Schluss stimme.

Wiederaufbau

Historisch gesehen sei der Leistungsträger laut Maderthaner ein Kind der Ära des Wiederaufbaus zwischen 1945 und den späten 1970er Jahren: "Er ist ein zentraler Topos aus der Nachkriegszeit." Während das politische Führertum in dieser Zeit eindeutig negativ besetzt gewesen sei, habe es das Wirtschaftsführertum - die Leistungsträger - zu einigem Ansehen und zu einer positiven Vorbildfunktion gebracht. "Der Leistungsträger in dieser Zeit steht in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz oben, ist sich aber auch seiner Position und der damit verbundenen sozialen Verantwortung bewusst", meint Maderthaner. Ein neues Leitbild habe sich etabliert, individuelle Leistung führte zu Wohlstand. Die erbrachte Leistung gereichte aber auch der Gemeinschaft zum Wohle.

Die Rückkehr des Leistungsträgers auf das politische Parkett sieht Maderthaner durchaus positiv. Nach der Krise und den offenliegenden Problembereichen des Neoliberalismus besinne man sich wieder auf den vorbildhaften Charakter des Leistungsträgers der Nachkriegsära. Und das eben nicht nur auf rein finanzieller und ökonomischer Ebene, sondern durchaus auch in Hinsicht auf einen "Leistungsethos" und die soziale Verantwortung. Bis in die 1990er Jahre hinein habe es eine gewisse Systemzufriedenheit gegeben, die sich aus einer "relativen Einkommensgerechtigkeit" gespeist habe. Mit der überbordend finanzmarktdominierten Wirtschaft, den horrenden Bonuszahlungen an Banker und Finanzgurus sei die Unzufriedenheit gewachsen.

Leistungsträger vs. Besserverdiener

So kommt auch die Unterscheidung zwischen "Leistungsträger" und "Besserverdiener" aufs Tapet. Während nämlich ersterer positiv besetzt ist, hängt dem Zweitgenannten zumindest ein Hauch des Unehrenhaften und des Unsolidarischen an. Der Besserverdiener will nun mal besser sein als alle anderen, und das ist per se schlecht. Während also der Besserverdiener durchaus zur Kasse gebeten werden soll, wenn es um das Gemeinwohl geht, ist der Leistungsträger ob seiner Leistungen für die Gesellschaft eher zu entlasten - so funktioniert zumindest die Begriffszuordnung auf der politischen Bühne.

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk brach vor zwei Jahren gar eine öffentliche Debatte rund um den Leistungsträger und die Last, die er auf seinen Schultern trägt, vom Zaun. Leistungsträger als tendenziell gut ausgebildete und motivierte Mitbürger würden unter der Steuerlast fast zusammenbrechen, durch die hohen Abgaben ihre Bereitschaft zur Leistung geschmälert, wenn nicht ganz abgewürgt. So oder so ähnlich lauten die Argumente, die mit dem Stichwort Leistungsträger gerne eine Steuerentlastungsdebatte anfangen.

Tatsächlich ist es so, dass ein geringer Prozentsatz der Erwerbstätigen den Löwenanteil an Steuern abliefert. Zahlen aus dem Jahr 2006 zufolge fielen auf die 20 Prozent mit den höchsten Lohneinkommen in Österreich 46,7 Prozent der gesamten Bruttobezüge. Glaubt man den Ausführungen von Veit Sorger, dem Chef der Industriellenvereinigung, zahlen 20 Prozent der Österreicher - er nennt sie "Leistungsträger und Vermögende" - 60 Prozent der Steuern im Lande.

Auch Sloterdijk sprang 2009 in mehreren Interviews und Texten auf diesen Zug auf, und forderte zudem eine völlig neue Steuerpolitik. Zugunsten der Freiwilligkeit solle der Staat auf seine Steuerhochheit verzichten, die Steuerzahler nach eigenem Wissen und Gewissen Gelder an den Staat abliefern. Grundtenor bei Sloterdijk war und ist aber: Der Leistungsträger muss entlastet werden, weil auf ihm lastet zu viel.

Replik auf Sloterdijk

Eine Replik auf grundsätzlicher Ebene ließ nicht lange auf sich warten. Exemplarisch sei hier der deutsche Wirtschaftswissenschafter Heiner Flassbeck genannt. In einer harschen Kritik zerpflückte er den "Leistungsträger", die Definition desselben als Heilsbringer und Retter der Gesellschaft sei schlicht falsch. Aus einer Entlastung der Leistungsträger könne nichts werden, weil schlicht jene fehlen würden, die stattdessen Steuern und damit einen funktionierenden Staat bezahlten. "Eine moderne marktwirtschaftliche Ordnung ist nämlich gerade kein System, das davon lebt, dass eine 'Handvoll Leistungsträger' Spitzenleistungen erbringt und sich daraus die Einkommen aller anderen ergeben. Eine moderne Marktwirtschaft ist ein System der Arbeitsteilung, der Spezialisierung des Einzelnen also, in dem das Gesamtergebnis keineswegs mehr der Leistung eines einzelnen oder einiger weniger zugerechnet werden kann", schreibt Flassbeck in einer Replik. Dass Leistungen unterschiedlich entgolten werden - die traditionelle, am Geld verhaftete Definition von Leistungsträger -, hänge alleine mit der Knappheit gerade jener Leistungsträger und ihrer Marktmacht zusammen.

Und wo steht der Leistungsträger heute? In einer Gesellschaft, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht, ist die Verortung von Leistungsträgern durchaus schwierig. Ist er der sozial verträgliche, auf das Gemeinwohl bedachte und dem Kollektiv nutzbare Bürger? Oder doch eher derjenige, der es sich aus dem einen oder anderen Grund gut einrichten konnte und über mehr Geld und mehr Ansehen als die anderen verfügt? Ist die Unzufriedenheit der "Unteren 10.000" schlicht Neid gegenüber den "Oberen 10.000"? Oder haben exzessives Finanzmagnatentum und kriminelles Verhalten an den Schaltkreisen der (Wirtschafts-)Macht das Vertrauen in die Verteilungsgerechtigkeit nachhaltig zerstört? 

Ex-SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer forderte schon 2002 die „solidarische Hochleistungsgesellschaft". Ob die Leistungsträger der Zukunft diese auch am Leben werden erhalten können, steht in den Sternen. Ebenso, wie viele Wasserträger dabei auf der Strecke bleiben werden. (Daniela Rom, derStandard.at, 4.5.2011)