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Mehr als eine Sixties-Ikone, die sich nur auf das Schreiben von Songs versteht: performing artist Bob Dylan bei einem Auftritt in Vietnam im April dieses Jahres. Anlässlich des bevorstehenden 70. Geburtstags ist dem Musiker von 19. bis 21. Mai eine Konferenz in Wien mit dem Titel Refractions of Bob Dylan - Cultural Appropriations of an American Icon gewidmet.

Foto: EPA/VI KHOA

Auf die Frage, was er von Leuten denke, die seine Songs analysieren, hat Bob Dylan bereits 1965 bei einer Pressekonferenz verschmitzt gemeint: I welcome them with open arms. Gelegenheit zu einer ausgiebigen Auseinandersetzung mit der Musik-Ikone, die am 24. Mai ihren 70. Geburtstag feiert, bietet ein dreitägiger Kongress, den der Wiener Literatur- und Kulturwissenschaftler Eugen Banauch unter dem Titel Refractions of Bob Dylan - Cultural Appropriations of an American Icon organisiert hat. Im Amerikahaus der US Embassy in Wien spüren von Donnerstag, 19. Mai, bis Samstag, 21. Mai, KulturwissenschaftlerInnen und NachwuchsforscherInnen, Journalisten und Kulturschaffende aus aller Welt Werk und Wirken des nach wie vor höchst umtriebigen Musikers nach.

Einer von ihnen ist der kanadische Autor und Literaturprofessor Stephen Scobie, der mit Alias Bob Dylan eine der anerkanntesten Studien über Dylan veröffentlicht hat. derStandard.at sprach mit Scobie über hartnäckige Klischees, den Reiz der Stimme und Plagiatsvorwürfe.

derStandard.at: Mit seinen ersten Konzerten in China und dem angeblichen Akzeptieren von Zensureingriffen wurde Bob Dylan zuletzt von manchen Medien stark zersaust und erneut auf das Image des Protestsängers, der er ja tatsächlich nur ungefähr zwei Jahre ganz am Anfang seiner Karriere war, reduziert.

Scobie: Einerseits waren die Vorwürfe des Beugens vor der Zensur und des Verrats seiner Berufung als Protestsänger, die in der unglaublich dummen Kolumne von Maureen Dowd in der New York Times gipfelten, völlig lächerlich. Was es zeigte, ist, dass ein großer Teil der kulturellen Öffentlichkeit in den USA aber auch in Europa Dylan noch immer zur Gänze mit dieser sehr frühen Phase als Protestsänger identifiziert. Man kann sich keinen anderen Sänger vorstellen, dem diese Art Vorwürfe gemacht würden. Größtenteils wurden die Vorwürfe durch das Statement von Dylan oder seinem Management auf der offiziellen Website entkräftet. Demnach wollten die chinesischen Behörden wissen, welche Songs gesungen würden, worauf man ihnen die Setlists der letzten drei Monate sandte und nie wieder etwas von ihnen hörte.

Andererseits fürchte ich, dass sich das Bild vom Protestsänger, der sich ausverkauft hat, in das, was ich das Dylan-Image des Agenturjournalismus nenne, eingenistet hat. Wenn ein junger Agenturjournalist, der Dylan nicht kennt und eine Geschichte über ihn schreiben muss, die Nachrichtenagenturen nützt, wird er diese Geschichte finden. Ich glaube es war Greil Marcus, der gesagt hat, wenn Bob Dylan einmal stirbt, wird der erste Satz "Bob Dylan, Protestsänger der 60er Jahre" lauten. Ich fürchte der Satz wird nun lauten "Bob Dylan, Protestsänger der 60er Jahre, der sich 2011 an die chinesische Regierung ausverkauft hat" (lacht). Die Geschichte wurde als Tatsache hingenommen und nicht hinterfragt.

derStandard.at: Das Bild der Sixties-Ikone Dylan ist sehr stark. Auch die grundsätzlich gut gemachte Dokumentation von Martin Scorsese, No Direction Home, hat diesen Mythos weiter befördert.

Scobie: Ja, das war der Hauptfehler von No Direction Home, der in andere Hinsicht ein sehr guter Film ist. Aber mit dem unglücklichen Effekt, dass er ein Image präsentiert, das 1966 aufhört, als ob danach nichts Wichtiges mehr käme. Fairerweise muss man sagen, dass zumindest etliche der neueren Bücher über Dylan versucht haben, auch dem späteren Werk den entsprechenden Platz einzuräumen, Bob Dylan in America von Sean Wilentz etwa oder die Aufsatzsammlung von Greil Marcus (Bob Dylan: Writings 1968-2010). Aber das ist natürlich eine Art spezialisierter Literatur, während die jüngste populäre Biografie, The Ballad of Bob Dylan, bereits im Titel impliziert, dass es um einen Folk-Sänger geht. Aber es ist natürlich schwierig, einer Karriere gerecht zu werden, die seit 50 Jahren andauert.

derStandard.at: Haben Sie als Professor für Literatur auch an der Universität Lehrveranstaltungen über Dylan angeboten?

Scobie: Ich denke, dass das heute viel leichter ist als früher. Als ich das etwa in den 80er Jahren versucht habe, gab es in akademischen Zirkeln noch große Vorbehalte in der Art von: "Du unterrichtest über einen Pop-Sänger?" Aber auch dabei hat man wieder das Problem, was man auswählen soll. Es ist zudem nicht so einfach wie mit einem Gedicht oder einem Roman, bei dem man sagen kann, bitte jetzt auf Seite 120 blättern. Wenn man hören will, was die Stimme bei einer bestimmten Zeile macht, muss man sich das auch in der Lehrveranstaltung anhören.

derStandard.at: Hier kommt ein anderes hartnäckiges Klischee ins Spiel, dass Dylan zwar ein guter Songwriter aber ein lausiger Sänger mit einer schrecklichen Stimme sei.

Scobie: Es ist eine schreckliche Stimme, wenn man sie mit den strikten Kriterien des musikalischen Mainstreams misst. Wenn man Dylans Stimme verteidigt, wie ich das leidenschaftlich mache, so nicht, in dem man sich nach den Standards von klassisch trainierten Stimmen richtet. Man muss sich mit Dylans Stimme im Zusammenhang mit traditionellen Gesangsformen wie Folk, Blues, Country etc. auseinandersetzen. Wenn man die Ausdrucksstärke der Stimme betrachtet, wie sie Rhythmen und Phrasierungen verändert, tun sich interessante Möglichkeiten auf.

Wenn man mich heute fragt, ob ich die Wörter oder die Musik vorziehe, antworte ich die Stimme, weil sich in ihr der Gegensatz von Wörtern und Musik aufhebt. Wenn man auf die Stimme hört, hört man sowohl auf die Bedeutung der Worte als auch ihre Musikalität. Das ist auch der Grund, warum Dylans Wörter für sich auf allein einer Buchseite oft etwas unbefriedigend wirken, sie funktionieren für sich allein nicht.

derStandard.at: Akademiker-Kollegen von Ihnen haben sich allerdings dafür eingesetzt, dass Dylan für den Literaturnobelpreis nominiert wird.

Scobie: Ich habe selbst einen der Unterstützungsbriefe für die ursprüngliche Nominierung geschrieben, die meines Wissens nach wie vor gültig ist. Der Nobelpreis ist im Laufe der Jahre vor allem an Lyriker und Romanautoren vergeben worden, manches Mal an Dramatiker. Wenn man die Nobel-Definition so erweitern kann, dass sie Dramatiker einschließt, deren Arbeit in letzter Konsequenz davon abhängt, dass sie aufgeführt wird und zwar nicht vom Autor selbst, dann sehe ich keinen Grund, warum man nicht auch einen Songwriter einschließen kann. Und wenn man einen Songwriter reinnimmt, gibt es für mich keinen Grund, warum das nicht Dylan sein sollte.

derStandard.at: Dylan scheint sich seit dem Beginn seiner so genannten Never Ending Tour vor über 20 Jahren vor allem als performing artist zu verstehen, der seine Songs immer wieder neu erfindet aber auch die Songs anderer Musiker interpretiert.

Scobie: Es geht hier um kein absolutes Entweder-oder, als ob er aufgehört hätte, Studioalben aufzunehmen, wo er in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich mehrere sehr gute Platten herausgebracht hat. Und es ist nicht so, dass er davor nicht live aufgetreten wäre, aber die Balance hat sich verschoben zugunsten einer interessanten Idee von performance. Speziell in den 60er- und 70er-Jahren wurden die Auftritte von Stars, etwa der Rolling Stones, als etwas besonderes gesehen, das man nur einmal in langer Zeit sieht. Dylan ist zur Idee des performers als working musician zurückgekehrt, der Abend um Abend, Woche um Woche, Jahr um Jahr auf der Bühne steht, und das ist sein Job. Dieses Verständnis reicht auf Konzepte populärer Musik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, als der Standard nicht große Konzerte, sondern tägliche Auftritte in Klubs und Tanzhallen waren. Dylan ist ganz offensichtlich sehr, sehr tief in die Traditionen populärer Musik des frühen 20. Jahrhunderts verwurzelt. Seine ganze Haltung in Sachen performance kommt davon.

derStandard.at: Dylans letzte vier Studioalben (Time Out of Mind/1997, "Love and Theft"/2001, Modern Times/2006 und Together Through Life/2009) wurden allesamt von Kritik wie Publikum sehr positiv aufgenommen. Begleitet wurden sie aber auch von anhaltenden Plagiatsvorwürfen. Ist Bob Dylan ein Dieb?

Scobie: Das ist, worum es bei meinem Vortrag bei der Wiener Dylan-Konferenz vor allem geht. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Dylan bewegt sich in einer Tradition, in der es eine große Interaktion zwischen eigenen Texten und denen anderer Leute gibt. Diese Praxis kann man mit unterschiedlichsten Wörtern bezeichnen, von Anspielung und Tribut über Annäherung und Intertextualität bis zu Plagiarismus. Ich denke, die meiste Zeit funktioniert das bei Dylan wirklich sehr gut. Wenn man erkennt, von wo eine Zeile kommt, worauf sie anspielt, was das Echo ist, bereichert es die Erfahrung dieser Zeile. Zum Song-Kontext kommen die zusätzlichen Bedeutungen seiner Quelle hinzu, aber es gibt schon ein paar brennende Fragen, etwa hinsichtlich von Dylans Autobiografie Chronicles. In der Folk-Song-Tradition ist es absolut üblich, bestehende Texte zu verwenden, bei so genannten nonfiktonalen Genres wie Autobiografien ist eine solche Praxis viel problematischer. 

derStandard.at: Können Dylans aktuelle Arbeiten im Vergleich zu seinem Frühwerk bestehen?

Scobie: Sie können auf eine andere Art bestehen. Es wird zwangsläufig nie mehr die Neuheit von Dylans frühem Werk geben, die Innovation ist nicht wiederholbar. In anderer Hinsicht ist die Qualität so hoch, wie sie es jemals war, was sich aus den vielen Jahren des Songschreibens und Auftretens ergibt. Er kann heute in eine Zeile die Erfahrung von vielen Jahren destillieren. Es gibt einen Song auf Together Through Life mit dem Titel Forgetful Heart, der mir auf der Höhe seiner besten Arbeiten erscheint. Wenn man sich den Song anschaut, scheint er ganz simpel, ohne aufblitzende Bilder oder großspurige Ankündigungen. Er ist absolut einfach, direkt und perfekt. (Karl Gedlicka, derStandard.at, 18. Mai 2011)