Der Wirtschaftsbund der ÖVP ist ein bisschen angesäuert. Ihr Mann in der Regierung, Reinhold Mitterlehner, hat von der Regierungsumbildung kaum profitiert. Seitdem werden Gerüchte genährt, es könnte sich eine Wirtschafts- von der Volkspartei abspalten. Dem können einige Vieles abgewinnen. Unter ihnen befindet sich STANDARD-Redakteur Conrad Seidl.

Es sollte eine Wirtschaftspartei geben, damit sich die Wirtschaftsinteressen nicht im Parteiprogramm der ÖVP verstecken können. Es scheint, als wäre diese Aussage das Hauptargument, mit dem Conrad Seidl sein "Ja" zu einer Wirtschaftspartei untermauert. Mit "Demokratiehygiene", einem Ende von "Mauscheln und Abtauschen", ja am Ende des Tages sogar einem Ende der Unglaubwürdigkeit der Politik argumentiert Seidl. Denn etablierte Parteien argumentierten ihre Politik stets mit dem Allgemeinwohl - Huch!

Auch eine dezidierte Wirtschaftspartei würde mit dem Allgemeinwohl argumentieren

Der Redakteur erliegt dabei jedoch gleich mehreren Trugschlüssen. Zuallererst: Warum sollte eine neu gegründete Wirtschaftspartei nicht Allgemeinwohl predigen? "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut" geht schnell von den Lippen. Blöd wäre eine neu gegründete Wirtschaftspartei, würde sie "Wir machen neoliberale Politik für Firmen, ihr seid uns egal" plakatieren.

Seidl will mit seiner Wirtschaftspartei auch die Intransparenz in der Politik beseitigen. Die entstünde dadurch, dass sich die Interessen der Wirtschaft - mangels echter, exklusiver Wirtschaftspartei - in die Inhalte der anderen Parteien „einschleichen" und dort als Inhalte des allgemeinen Interesses getarnt ihr Unheil treiben würden. Dass die ÖVP, die ja bekanntlich die Summe ihrer Bünde ist, einen sogar recht starken Wirtschaftsbund hat und ganz unverhohlen Politik für die Wirtschaft betreibt, wird ignoriert.

Wie eine Nischenpartei, die nur ein Thema hat (haben darf - sonst wär's ja wieder unglaubwürdig), Transparenz in der gesamten Politik schaffen soll, ist nicht ersichtlich. Der Autor scheint sich eine Art Schiedsrichterfunktion vorzustellen - die kann in einer gesunden Demokratie jedoch nicht von einer gewählten Partei eingenommen werden.

Die Wirtschaft ist bereits vertreten

Das, was Seidl vorschwebt - ein politischer Akteur, der auch ganz ehrlich zugibt, dass er sich nur um die Wirtschaft kümmert - ist bereits auf mehreren Ebenen verwirklicht. Es gibt, wie erwähnt, den Wirtschaftsbund der ÖVP, der bis auf den legalen Status als eigene Partei den Vorstellungen Seidls entspricht. Es gibt weiters die potente Wirtschaftskammer, die, verfassungsmäßig verankert, in der Sozialpartnerschaft denen gegenübersitzt, die nur die Interessen der Arbeitnehmenden vertreten. Und es gibt die Industriellenvereinigung, die ohne Zwangsmitgliedschaft starkes Lobbying für die Wirtschaft betreibt.

Eine Interessensvertretung für die Wirtschaft ist also sowohl auf informeller, als auch auf formeller Ebene geregelt und wird sehr stark ausgeübt. Eine Wirtschaftspartei braucht es dazu nicht. (Leser-Kommentar, Sebastian Fellner, derStandard.at, 24.5.2011)

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