Walter Laqueur schrieb Bücher über den Holocaust und über den Terrorismus.

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Wien - Es gibt keinen anderen politischen Analytiker und Zeithistoriker, der im Laufe eines langen und abwechslungsreichen Lebens in so vielen Bereichen so viel bewegt hat wie Walter Laqueur, der in Breslau geborene, amerikanische Historiker mit deutsch-jüdischen Wurzeln, der am Donnerstag seinen neunzigsten Geburtstag feiert. Er hat rund zwei Dutzend wichtige Bücher über Russland und Deutschland, über den Holocaust und Terrorismus, die Geschichte des Zionismus und Antisemitismus, Erinnerungen an die eigenen Wanderungen geschrieben. Die in vielen Sprachen übersetzten Werke ergeben ein imposantes Epochenbild.

Laqueur gelang es im Herbst 1938 nach Palästina zu entkommen, seine Eltern und viele Verwandte wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Als Landarbeiter und bald als Journalist erlebte er die Gründung Israels und berichtete auch über den Unabhängigkeitskrieg. Er hat sich selbst als "Wanderer zwischen verschiedenen Welten" und einen "Überlebenden durch Glück" beschrieben.

Erst Mitte dreißig mit zwei kleinen Töchtern begann zuerst in London und dann in Washington seine eigentliche internationale Karriere. Ohne einen akademischen Grad wurde der brillante Autodidakt mit seiner unglaublich schnellen Auffassung und immensem Fleiß eine Autorität in der internationalen Publizistik und später Gastprofessor an angesehenen amerikanischen, britischen und israelischen Uni- versitäten.

Gegen geheiligte Tabus

Laqueur leitete dreißig Jahre lang das Londoner Institute for Contemporary History (Wiener Library). Dieses war weltweit die erste Einrichtung zur Erforschung der NS-Judenverfolgungen gewesen. Nach 1969 bekleidete er eine führende Stellung im einflussreichen "Center of Strategic and International Studies" in Washington. Er ist Herausgeber der Holocaust Encyclopedia (Yale 2001). Durch seine Bücher, seine Lehrtätigkeit und seine Kontakte hat Laqueur immer wieder gegen geheiligte Tabus und "politische Korrektheit" verstoßen.

Zum achtzigsten Geburtstag wurde er international gewürdigt. Wer hätte damals gedacht, dass er nachher - abgeklärt und skeptisch - noch fünf weitere wichtige Bücher über "Gesichter des Antisemitismus" und den befürchteten Niedergang Europas sowie ein Erinnerungsbuch seines "politischen Lebens" vorlegen würde? Er ist ein transnationaler Pionier der Politikwissenschaft.

Die Turbulenzen der letzten Jahre der europäischen Politik bestätigen seine Warnung: "Massiver Widerstand dagegen, aus Fehlern zu lernen, ist leider die Regel, die Macht ideologischer Verblendungen ist groß, und die Kraft rationaler Argumente bleibt begrenzt." (Paul Lendvai /DER STANDARD, Printausgabe, 26. 5. 2011)