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Selbstbewunderung im Spiegel. Narziss aus der griechischen Mythologie verliebte sich in sein Spiegelbild.

Foto: REUTERS/Manuel Silvestri

Sie sind meist eloquent, haben ein gutes Auftreten und strahlen Selbstsicherheit aus. Narzissten oder Menschen mit der Tendenz zur Selbstverliebtheit steht ihre Persönlichkeit nicht auf die Stirn geschrieben. Denn Narzissmus äußert sich in der Realität in vielen Facetten - von notwendig bis gefährlich.

Quälendes Element

Gesunder Narzissmus ist das, was Menschen am Leben erhält. "Selbstliebe hat die essenzielle Funktion, dass ich mich um mich kümmere, dass ich gesund lebe und intakt bin", erklärt der Wiener Psychiater und Psychotherapeut Hans Peter Bilek. In dem Moment, wo die Selbstliebe schädigend wirkt, wird sie pathologisch. "Ich hatte eine Patientin, die sich ständig Schmuck kaufte und keine Grenzen mehr kannte, sie überzog ihr Konto, gelangte in die Schuldenfalle." Narzissmus wird dann zum quälenden Element, zur schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung. Sowohl für die Betroffenen als auch für deren Mitmenschen, denn es handelt sich um eine ernste psychische Erkrankung.

Kranke Narzissten handeln einerseits krankmachend, weil ihr Selbstwertgefühl schwach ist, sie unfähig zu Empathie sind und sich selbst in ihrer Grandiosität enorm wichtig nehmen. "Andererseits leiden sie aber selbst auch, weil es eine Störung ist, die schwer zu verkraften ist", weiß der deutsche Buchautor und Logotherapeut Werner Berschneider. Besonders problematisch sei das Altern für Narzissten. Sie können ihr Selbstwertgefühl irgendwann nicht mehr bestärken, wenn die Machtposition verloren geht. Nebenbei müssen sie erleben, dass sie vergesslicher werden, Kraft und Leistung nachlassen. Bei Männern auch die Potenz. 

Frühe Ursachen

Wie sich Narzissmus entwickelt, wisse man ziemlich genau, meint der Wiener Psychiater. Die Wurzeln liegen, wie bei vielen psychischen Störungen in der Kindheit. Die US-Journalistin Jean Liedloff, die bei einem südamerikanischen Stamm gelebt hat, thematisiert in ihrem Buch "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück" den Verlust des narzisstischen Gefühls "Ich bin etwas wert" in der westlichen Welt.

Beim Stamm der Yequana werden die Babys ein Jahr am Körper herumgetragen, schlafen bei den Eltern, Tadel oder mahnende Worte gibt es nicht. "Sie bekommen auf diese Art eine überdurchschnittlich solide und stabile Basisausstattung an Narzissmus mit. Wenn wir diese nicht bekommen, geht es uns schlecht", erklärt Bilek. Für ihn ist das die psychische Analogie zur Muttermilch, die das Immunsystem stärkt. 

Narzisstische Kränkung

Erfahre ein Kind Kritik, sei das eine narzisstische Kränkung und das Rad beginne sich zu drehen. Meist spätestens im Kindergarten, wenn Kinder zum ersten Mal erfahren, dass ihre Persönlichkeit oder ihr Aussehen bei anderen auf harsche Kritik stoßen kann. "Dann beginnen sie diese Kränkung mit besonderem Ehrgeiz oder etwas anderem kompensieren", erklärt Bilek. Kleine Männer seien aus diesem Grund oft in Machtpositionen zu finden.

Steigerung ins Pathologische

Gerate die Balance zwischen Selbstwertgefühl und der Kritik von außen aus dem Gleichgewicht, könne das Fass überlaufen und die pathologische Persönlichkeitsstörung entsteht. Ein Beispiel: wird jemand von seinem Partner verlassen und kurze Zeit später auch noch gekündigt, werde die Sache gefährlich, so der Therapeut. Mit anderen psychischen Krankheitsbildern wie Sucht und Depression geht der Narzissmus oft Hand in Hand. 

Indirekt kann sich pathologische Selbstliebe auch in körperlichen Symptomen äußern: " In der Psychosomatik steckt der Narzissmus drinnen", so Bilek. Er erklärt die Dynamik so: "Ist man narzisstisch gekränkt, ist die körperliche Krankheit manchmal das kleinere Übel."

Problematische Beziehungen

Im Alltag tun sich Narzissten leichter, auch in der Arbeitswelt. Warum? Weil sie sich gut präsentieren können. "Sie wirken gelassener", weiß der Psychiater. Dass dieselben Personen ihre Grandiosität schwer überschätzen, Firmen in existenzielle Schwierigkeiten bringen können, merke man beim Einstellungsgespräch noch nicht, meint der deutsche Experte Berschneider. Für das Betriebsklima sind Narzissten ein Problem: "Personen, die sich aus ihrem Narzissmus heraus in Chefpositionen hieven, sind auch deswegen so schwierig, weil ihnen jegliches Gefühl für den anderen abgeht", erklärt Bilek.

In zwischenmenschlichen Beziehungen ist diese übermäßige Selbstliebe ebenfalls problematisch: Je größer das Maß an Narzissmus, desto kleiner ist die Beziehungsfähigkeit und die Empathie. Für den Psychiater ist es allerdings eher unwahrscheinlich, dass ein Partner ausgeprägt narzisstisch ist und der andere nicht. Es sei meist so, dass sich zwei treffen, die zueinander passen. 

Hilfe für Narzissten

Bileks Ansatz in der Psychotherapie Narzissten zu therapieren klingt simpel, ist aber schwierig in der Umsetzung: "Die therapeutische Beziehung ist ein Art Hilfsbeziehung, die Narzissten vermitteln soll, dass sie von jemanden geschätzt und akzeptiert werden. Es ist genau das, was ihnen fehlt." Das lindert das narzisstische Bedürfnis.Vollständige Heilung gibt es laut Bilek nicht: "Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist lebensbegleitend und verschwindet nicht völlig, wird aber milder." (Marietta Türk, derStandard.at, 22.7.2011)