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"Werbung für assistierten Selbstmord"? - Bestsellerautor Terry Pratchett steht nach seinem TV-Film im Kreuzfeuer der Kritik.

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Derzeit bewegt eine BBC2-Dokumentation die Medien. Der bekannte Autor Terry Pratchett begleitet in der Doku "Choosing to die" seinen Freund Peter Smedley in die Schweiz, wo dieser sich beim Sterbehilfeverein "Dignitas" töten lassen will - leidet er doch an Amyotropher Lateralsklerose, einer unheilbaren und langsam zum Tod führenden Muskellähmung. Smedley will nicht, dass es so weit kommt. In dem Film dürfen die Zuschauer alles miterleben - die Anreise, die Unterzeichnung der Dokumente, inklusive der letzten Minuten, als die Ärztin Smedley den Baribituratcocktail reicht, und schließlich seinem Tod in den Armen der Ärztin, während die Frau seine Hand streichelt. Das alles in ruhigen, schönen, bewegenden Bildern.

Die ruhige Umgebung, das "menschliche" Sterben, die sanft gesprochenen Kommentare der anwesenden Ärztin - das alles erinnert uns an Schlafen, an Narkose, an Geborgenheit. Kein Wunder, dass die erste Protestwelle in England von einer "Werbung für den assistierten Selbstmord" sprach.

Der Gedanke ist wichtig. Man stelle sich vor, die Bilder wären anders gewesen: Smedley wäre nach dem Ausfüllen der Formulare hinter das Haus geführt und mit einem Genickschuss getötet worden. Was hätte es da für einen Aufschrei gegeben! So aber entsteht der Eindruck, als wäre der assistierte Selbstmord etwas Würdevolles, das der Größe des Menschen entspricht. Wer könnte einem Menschen diesen letzten autonomen Schritt versagen?

Die Tatsache, dass hier die größte Tabuverletzung überhaupt geschieht, die Tötung eines Menschen, wird ausgeblendet. Ich bin sicher, dass man mit einer spontanen Umfrage "Soll man einem Menschen erlauben, bei unheilbarer Krankheit mit Würde freiwillig aus dem Leben zu scheiden?" eine hohe Zustimmung erreichen würde. Dabei ist die Fragestellung manipulatorisch, das spürt jeder objektive Beobachter gleich.

Wir müssen also genau hinschauen und uns fragen, warum das Verbot von Euthanasie und der assistierte Selbstmord in den meisten Ländern der Welt immer noch fixer Bestandteil des ethischen Grundkonsenses sind. In Deutschland hat beispielsweise vor kurzem die Ärztekammer das Verbot zur Tötung auf Verlangen noch einmal verschärft - mit Recht, wie ich meine. Zu Beginn und am Ende seines Lebens ist der Mensch am hilflosesten, am meisten der Willkür anderer ausgeliefert. Wenn Euthanasie allgemein freigegeben wäre, würde der Druck auf gerade die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft schlagartig anwachsen: Wer will als bettlägeriger Patient noch das Recht auf Leben reklamieren, wenn man mit einem kleinen, legalen Eingriff alles beenden und seinen Verwandten nicht mehr egoistisch auf der Geldbörse liegen würde? Wer verhindert, dass Bequemlichkeit und Eigennutz Verwandte Entscheidungen für nicht mehr ansprechbare Patienten treffen lassen, die sie selber so nie getroffen hätten? Wie wäre es sonst möglich, dass betagte Holländer jenseits der Landesgrenze in deutsche Seniorenheime übersiedeln, um der "euthanasierenden" Praxis in ihrem Heimatland zu entgehen?

Aber, wird man einwenden, was ist dann mit dem in aller Freiheit beschlossenen assistierten Selbstmord wie im Falle dieser Dokumentation? Ist das nicht der Ausdruck höchster Autonomie? Ich weiß nicht. Schon Kant hat den Selbstmord als Absage an Autonomie gesehen, als ein Sich-Wegwerfen. Außerdem müsste dann jeder Wunsch eines Erwachsenen nach assistiertem Selbstmord immer befolgt werden - es wird aber immer die Einschränkung "nur bei schlimmen Krankheiten/ bei Unheilbarkeit" etc. gemacht. Und genau in so einem Fall ist der Mensch eben meistens nicht in der Lage, sein Leben als Gesamtheit objektiv zu sehen.

Ein Leben, zu dem auch das Leiden gehört - man kann es nicht einfach ausklammern. Ja, man kann und muss versuchen, dem Leiden in unserem Leben, in dieser Welt Sinn zu geben. Das ist keine falsche Schmerzverherrlichung und heißt übrigens beileibe nicht, dass jedes Leben um jeden Preis verlängert werden muss - hier hat die katholische Kirche eine sehr ausgewogene Position. Als Christ glaube ich sowieso: Das Leben ist etwas, das wir empfangen haben und über das wir nicht einfach verfügen können - weder bei uns selbst noch bei anderen.

Am Ende ist für mich entscheidend: Die Zulassung von "assistiertem Selbstmord" wäre nur der erste Schritt in Richtung Zulassung von allgemeiner Sterbehilfe, und das würde wieder die Schwächsten treffen. Daher mein Appell: über alles offen diskutieren - aber bitte mit ausgewogenen, ethisch durchdachten Argumenten. Und nicht mittels einer manipulativ wirkenden TV-Doku. (Kommentar der anderen, Klaus Küng/DER STANDARD-Printausgabe, 20.6.2011)