Europa-Matinee in der Akademie (von li.): Guy Verhofstadt, Emma Bonino, Moderator Charles Taylor, George Soros und Richard Dworkin auf der Debattenbühne.

Foto: Standard/Fischer

Wien - Der US-Finanzmagnat George Soros hat am Sonntag bei einer vom Standard mitorganisierten Matinee im Wiener Akademietheater erklärt, dass die Welt "am Rande eines wirtschaftlichen Kollapses" stehe. Insbesondere am Management der Eurokrise ließ Soros kein gutes Haar: Die Politiker hielten viel zu sehr am Status quo fest, was es aber brauche, sei ein Plan B für den Euro. Diesen müsste nun die europäische Öffentlichkeit mit Nachdruck von ihren Regierenden einfordern. Zwischen Soros und seinen Mitdiskutanten Emma Bonino, Guy Verhofstadt und Ronald Dworkin herrschte weitgehende Übereinstimmung, dass die Krise der gemeinsamen Währung keine finanzielle, sondern eine politische sei.

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Emma Bonino, die Pasionaria der italienischen Radikalen, hielt es am Sonntag so, wie sie es seit nunmehr bald 40 Jahren in der Politik immer gehalten hat: Sie nannte das Kind ohne zu zögern beim Namen. "Wir negieren die Realität", schimpfte sie aufgeregt. Und meinte damit vor allem jene Politiker, die es sich auf dem weichen Lager bequemer Halbwahrheiten gemütlich gemacht haben. Dabei sei es doch das Wesen jedweden Liberalismus, den Menschen die Wahrheit zu sagen, möge die auch noch so hart sein.

Ist die liberale Demokratie vielleicht genau deswegen in Gefahr? Dazu kam am Sonntag im Wiener Akademietheater eine prominente Runde zur Sache. Das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), die Erste Stiftung, das Burgtheater und der Standard hatten zur "Debating Europe" -Matinee geladen - gekommen waren neben Bonino auch George Soros, Ronald Dworkin und Guy Verhofstadt. Der Philosoph und IWM-Fellow Charles Taylor moderierte.

Zwischen all den apokalyptischen Visionen dieser Tage verzerre sich der Blick der Gesellschaften auf die Dinge, erklärte die Vizepräsidentin des italienischen Senats weiter. "Angst ist ein gutes Mittel, um Wahlen zu gewinnen - und auch, um Wahlen zu verlieren. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Wenn aber wir Politiker keine schwierigen Sachverhalte mehr ansprechen, wer soll es dann tun? Meine Tante oder meine Schwester?"

Konfusion statt Freiheit

Auch der in Oxford und New York lehrende Rechtsphilosoph Dworkin stellte eine gewisse Unpopularität des Liberalismus fest. "Der tiefere Grund dafür ist die Unfähigkeit der Massen, die Komplexität vieler Dinge heute zu verstehen." Viele Medien, vor allem in den USA, missbrauchten das Recht auf freie Meinungsäußerung für glatte Desinformation. Die Konsequenz sei Konfusion darüber, was Freiheit denn bedeuten könne: Viele in den Vereinigten Staaten verstünden Freiheit als eine Art transzendenten Wert und vor allem als Persilschein, um alles tun zu dürfen. Und genau auf diesem Missverständnis blühten Bewegungen wie die Tea Party.

Das Einzige, was dagegen helfe, sei Bildung. Dworkin: "Wir müssen einen Weg finden, die Komplexität der Welt in unsere sekundäre Bildungsstufe zu bringen. Wenn wir die liberale Demokratie erhalten wollen, sind aufgeklärtere Wähler der Schlüssel dazu."

"Bildung könnte ein wenig zu zeitraubend sein für die Lösung der gegenwärtigen Krise" , konterte der Finanzmanager und Gründer des Open-Society-Institutes, George Soros. "Was wir jetzt brauchen, sind gebildete Bürger, die eine Lösung der imminenten Probleme von ihren Regierenden einfordern." Beispiel EU und Eurokrise: Die Union sei ein fantastischer Erfolg gewesen, nun scheint ihr aber die Luft auszugehen. Warum? "Die deutsche Einigung und die Einführung des Euro waren der Kulminationspunkt bisher. Gefolgt ist Desintegration, weil viele Fehleinschätzungen gemacht wurden. Der Euro zum Beispiel wurde in dem Wissen eingeführt, dass er ohne eine politische Union in Europa unvollständig sein wird. Damals konnte man noch annehmen, dass diese vielleicht folgen würde. Heute schafft er aber mehr Desintegration als Integration, weil Frau Merkel seinerzeit volle Solidarität im Euro-Raum abgelehnt hat."

Das war für Soros der Beginn der Euro-Krise. Es habe in dem Projekt keine Korrekturmöglichkeiten mehr für Fehler gegeben, keine Ausstiegsklauseln: "Damals begannen die Dinge falsch zu laufen, heute sind wir am Rande eines wirtschaftlichen Kollapses. Wir brauchen dringend einen Plan B, aber es gibt keinen, weil die Regierenden am Status quo festhalten. Deswegen muss die Öffentlichkeit Druck machen und einen Plan B einfordern."

Für den früheren belgischen Premier und EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt hat die Krise der liberalen Demokratie vor allem mit dem Fehlen von Führungsstärke zu tun. Den Menschen müsse ein Weg voran gezeigt werden, ein Weg zu mehr Integration in die EU. Stattdessen gerierten sich führende Politiker aber immer nationalistischer und populistischer. "Sie glauben, damit können sie ihre Wähler halten. Aber das ist ein großer Fehler, weil die lieber Populisten im Original wählen."

Europa ist für den Chef der liberalen Fraktion im EU-Parlament an einer Wegkreuzung angelangt: Entweder es werde ein Europa nach UN-Modell geben oder ein Europa nach US-Modell, also einen funktionsfähigen Bundesstaat, der auch Steuern einheben könne und damit das Interesse der Bürger auf sich ziehe.

Stille europäische Mehrheit

Von angelsächsischer Seite kam sofort Widerspruch: "Die Menschen in Europa wollen das nicht. Man darf die tragische Dimension der Demokratie nicht unterschätzen, das Beste muss nicht immer das Populärste sein. Die Linie zwischen Führungsstärke und dem Ignorieren des Bürgerwillens ist sehr dünn", entgegnete Ronald Dworkin. Und George Soros warf ein: "Es gibt in Europa noch immer eine stille Mehrheit für dieses Projekt. Bisher haben wir nur auf der Rechten Bewegung gesehen. Was wir brauchen, ist auch eine Nachfrage nach Wandel bei der stillen Mehrheit."

Die Idee der United States of Europe taxierte Soros als "utopisch", auch wenn Bonino noch einmal eine "Föderation light" einforderte ("denn die Eurokrise ist keine finanzielle, sondern eine politische Krise"). Für Soros ist das europäische Projekt eines der kleinen Schritte von der Montanunion bis zum Lissabonvertrag. Man könne nur hoffen, dass die "revolutionäre Energie" (Stichwort Arabischer Frühling), die jeder Krise innewohne, eine öffentliche Debatte in Europa entfache.

"Never waste a good crisis - vergeude niemals eine zünftige Krise" , so lautet ein amerikanischer Spruch. Und demgemäß wollte Guy Verhofstadt hoffen, dass die schwachen europäischen Führerfiguren durch den Euro gezwungen werden, endlich gemeinsame Politik zu machen und den Bürgern reinen Wein einzuschenken.

Und die liberale Demokratie? Dworkin: "Unsere Debatte zeigt, dass es keinen Platz auf der Welt gibt, in dem sie in besserer Verfassung wäre als in Europa." Bonino: "Stimmt. Aber man muss sie pflegen und in Schutz nehmen. Denn eine Garantie dafür gibt es nicht." (Christoph Prantner/DER STANDARD, Printausgabe, 27.6.2011)