Peter Singer, "Leben retten. Wie sich Armut abschaffen lässt und warum wir es nicht tun", Hamburg, Arche-Verlag, 2010

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Die handgreiflichsten Proteste gegen Peter Singer gab es 1991 an der Universität Zürich. Bevor er noch seinen Vortrag halten konnte, riss ihm ein Mann die Brille vom Gesicht, der stark kurzsichtige Bioethiker konnte nichts mehr sehen, und die Veranstaltung wurde abgebrochen. Im selben Jahr sollte er beim Wittgenstein-Symposium in Kirchberg auftreten, was gleich im Vorfeld abgesagt wurde.

Am heftigsten umstritten war und ist Singers Position in Sachen behinderter Neugeborener und Sterbehilfe. In seinem Hauptwerk Praktische Ethik heißt es: "Sofern der Tod eines geschädigten Säuglings zur Geburt eines anderen Kindes mit besseren Aussichten auf ein glücklicheres Leben führt, dann ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird." Singer argumentiert dabei durch und durch utilitaristisch. Mit anderen Worten: Gut ist, was zu mehr Glück führt, schlecht hingegen, was Leid erzeugt.

Das wiederum gilt ihm nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere. Mit seiner Tierethik war der strikte Vegetarier zuvor schon zu einem der heftigsten Kritiker des "Speziesismus" geworden, der dem Menschen eine privilegierte Stellung einräumt. Mit dem von ihm mitbegründeten "Great Ape Project" will er für Menschenaffen unter anderem gewisse Grundrechte durchsetzen.

In Leben retten. Wie sich Armut abschaffen lässt und warum wir es nicht tun, seinem jüngsten, im Vorjahr auf Deutsch erschienenen Buch, stehen freilich die Menschen im Zentrum. Singer geht darin ganz praktisch der Frage nach, wie wir, die wir im Überfluss leben, den Ärmsten der Welt helfen und durch Spenden ihr Leid lindern können. Einem wieder ganz anderen Thema war sein vorletztes Buch gewidmet: In Mein Großvater. Die Tragödie der Juden von Wien (2005) zeichnet Singer am Beispiel von David Ernst Oppenheim, der im KZ Theresienstadt starb, das tragische Schicksal seiner Großeltern nach.

Vielleicht auch wegen dieses Buchs hat sich zwanzig Jahre nach dem Vorfall in Zürich das Aufregungspotenzial von Singers Thesen etwas gelegt. Bei seinen Vorträgen in Graz vor einigen Tagen herrschte großer Publikumsandrang und ein durchwegs angeregtes Diskussionsklima.

Eingeladen wurde Singer von Lukas Meyer, Professor für Philosophie an der Uni Graz, der in einigen Fragen - insbesondere zur Sterbehilfe und zu Behinderung - anderer Meinung als sein Kollege ist. "Aber ich schätze viele andere seiner Ideen und ihn selbst als höchst anregenden Diskussionspartner."

Singer hielt dabei nicht nur im Rahmen des Forschungsschwerpunkts "Klimawandel und Gerechtigkeit" einen Vortrag, sondern sprach - mit Georg Meggle von der Uni Leipzig - auch über Redefreiheit an und für sich. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 29.06.2011)