Ein Motorradunfall - und plötzlich ist man mittendrin. "Nicht den Helm abnehmen! Das darf nur der Arzt", warnen die Unfallzeugen.

derStandard.at/tinsobin

"Mein Wissensstand ist, dass beim Abnehmen des Helms noch nie jemandem der Kopf auseinander gefallen ist. Das Risiko zu ersticken ist dagegen bewiesenermaßen gegeben. Und die Folge von Ersticken ist der Tod", verdeutlicht Frido Schrott und zeigt, wie man es richtig macht.

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Seit Generationen heizt ein hartnäckiges Gerücht die Fantasie an: "Wenn man einem Motorradlenker nach einem Unfall den Helm runter nimmt, fällt der Kopf auseinander." Damit nicht genug, hört der Sanitäter und Lehrbeauftragte im Ausbildungszentrum des Wiener Roten Kreuzes Frido Schrott in seinen Kursen auch des Öfteren: "Die Schädeldecke bleibt im Helm kleben. Der Nacken bricht. Ich verursache eine Querschnittslähmung. Deshalb darf nur ein Arzt den Helm abnehmen."

"Viele Kursteilnehmer erzählen mir: 'Aber dem Schwager des Nachbarn meines Bruders ist genau das passiert‘', berichtet Schrott aus der Praxis und setzt fort: "Aber mein Wissensstand ist, dass noch nie jemand beim Abnehmen des Helms der Kopf auseinander gefallen ist. Tatsache ist, dass die Person mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ersticken kann, wenn sie ohne Bewusstsein ist und ich den Helm nicht abnehme. Klar kann der Kopf verletzt sein, aber umso verletzter der Betroffene ist, umso eher müssen wir ihm den Helm abnehmen. Nur so können wir seinen Kopf schonend zur Atemkontrolle überstrecken, bei Atem-Kreislaufstillstand reanimieren oder bei Bewusstlosigkeit in die stabile Seitenlage bringen. Wir werden ihm nicht den Nacken brechen. Wenn man sich beim Frisör die Haare waschen lässt, läuft man ja auch nicht Gefahr, den Nacken gebrochen zu bekommen."

Angst vor Querschnittlähmung

"Das große Risiko zu ersticken, muss man mit dem verschwindenden Risiko einer Querschnittlähmung aufrechnen", erklärt Frido Schrott die Tatsachen. "Wenn sich herausstellt, dass ein Motorradfahrer nach einem Unfall querschnittgelähmt ist, muss man sich als Ersthelfer – und zwar am Besten bevor man beginnt, sich Vorwürfe zu machen – fragen: Wie ist das passiert? Beim vorsichtigen Abnehmen des Helms? Oder beim aus der Kurve Fahren mit 120 km/h? Ich sage immer: Wenn ihr glaubt, dass ihr als Ersthelfer die Ursache für eine Querschnittlähmung seid, dann habt ihr ein ziemlich egozentrisches Weltbild.

Auch auf die Gefahr hin, dass man am Unfallort von Helfern, Freunden und Verwandten des Unfallopfers angeschrien wird, muss man den Helm abnehmen. Es gibt nur einen einzigen Grund, den Helm nicht abzunehmen: Wenn die betroffene Person bei Bewusstsein ist und das nicht will", schließt der Wiener Rotkreuz-Sanitäter seinen dritten Teil der Mythen der Lebensrettung. (Eva Tinsobin, derStandard.at/19.07.2011)

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