Bild nicht mehr verfügbar.

Die auf einen weiteren "Ekelporno" Hoffenden werden enttäuscht: Charlotte Roche.

Foto: David Hecker/dapd

Wien - Manchmal heißt es einfach "Augen zu und durch". Zum Beispiel beim Blasen. Da kann es, wie Charlotte Roche in ihrem Roman Schoßgebete erklärt, nämlich beim nicht ganz frisch gewaschenen Mann schon ein wenig gären und folglich muffeln. Als liebende Frau braucht es dann etwas Überwindung, irgendwann ist aber das Gröbste überstanden. Dann kann es unterhaltsam werden, muss aber nicht. Ähnlich verhält es sich bei Roches Werk, das mit einer Startauflage von 500.000 Stück und dem vollmundigen Versprechen, den großen Schocker über Sex in der Ehe unter das Volk zu bringen, ausgeliefert wurde.

Möglicherweise war ein derartiges Buch sogar geplant, herausgekommen ist aber die Selbstentblößung einer Frau, die viel Charlotte in sich trägt. Also von jener ehemaligen TV-Moderatorin, die in ihrem Romandebüt Feuchtgebiete (Piper-Verlag) über Analfissuren und den sexuellen Mehrwert von Avocadokernen plapperte. Wie die Autorin ist ihre neue Ich-Erzählerin, Elizabeth, 33 Jahre alt, verheiratet, mit einem Kind aus einer früheren Beziehung. Auch die angeschlagene Psyche haben Elizabeth und Charlotte gemein, bereitwillig plauderte die Autorin im Vorfeld der Romanveröffentlichung über Psychotherapie, Selbstmordgedanken, Magersucht und Alkoholmissbrauch.

Was Werk und Wirklichkeit aber ebenso miteinander verknüpft, ist jener Autounfall, bei dem die Brüder von Elizalotte starben, die Mutter schwer verletzt überlebte und der den Hass der jungen Frau auf die den Schicksalsschlag genüsslich ausschlachtenden Boulevardmedien prägte.

Sex und Fadenwurm

Diese Elizabeth lernt man allen Erwartungen entsprechend beim ehelichen Schnackseln kennen. Dass bei der Schilderung des Liebesspiels keine Erotik aufkommt, dafür sorgen neben der Verwendung von Heizdecken und dem Tragen einer XXL-Yogahose auch Roches detailverliebter Schnoddersprech und die Tatsache, dass Elizabeth dabei stets die imaginäre Gesellschaft ihrer missbilligenden Mutter und Alice Schwarzers ertragen muss. Wenn die Heldin erklärt, dass sie nur beim Sex frei sein kann, dann ist das ebenso eine Lüge wie alle anderen Versprechen, die an den Beischlaf geknüpft werden.

So verweisen auch die Eicheln des Buchcovers nicht auf das Gemächt des erst auf den letzten Seiten Gestalt gewinnenden Gatten. Als Teil des Brautschmucks stehen sie vielmehr für die Schuld, die sich Elizabeth am Tod ihrer Brüder gibt. Diese waren per Auto zu deren geplanter Hochzeit nach England unterwegs, um das Brautkleid möglichst knitterfrei auf die Insel zu bringen.

Die sieben Jahre zurückliegende Tragödie und das daraus resultierende Trauma machen den Kern des Buches aus. Mit Kenntnis der wahren Hintergründe vermögen sie tatsächlich zu bewegen. Wer sich hingegen auf eine rein werkimmanente Lesart versteift, kann vermutlich nur unbefriedigt zurückbleiben. Auch wenn Elizabeth kaum eine Gelegenheit auslässt, ihre Schamlippen zu erwähnen, werden die auf den nächsten "Ekelporno" Hoffenden enttäuscht werden.

Die Handlung - drei Tage im Leben Elizabeths, deren großes Projekt es ist, immer mit ihrem Mann zusammenzubleiben, die zugleich aber auch den wachsenden Drang in sich verspürt, mal wieder mit einem anderen Mann zu schlafen -, sie ist dünn, Sprache und Geschildertes werden oftmals in Banalität vereint.

Kein Geheimnis scheint Elizabeth zu umgeben. Mit ihrer Therapeutin, der Elizabeth ebenso die gelehrigste Patientin sein will wie ihrem Mann die geilste Frau und ihrer Tochter die fürsorglichste Mutter, hat sie bereits ausreichend in ihr Innerstes geblickt, um der Leserschaft alles wohlreflektiert offenzulegen. Dass sie beim Zwiebelschneiden wie beim Hodenstreicheln mit der gleichen Gewissenhaftigkeit ans Werk geht, erklärt sie ebenso ironisch distanziert wie ihre Entscheidungen gegen Religion und für ein bewusstes Konsumverhalten.

Schoßgebete ist somit nicht nur bloß am Rand ein Roman über Sex in der Ehe. Es ist auch lediglich zu einem Teil ein Roman. Ebenso ist es ein mediales Ereignis und insbesondere der von Roche gewählte Weg, mit ihrer Trauer und Wut umzugehen. Ihre Therapeutin hielt von der Entscheidung angeblich wenig, Roche war diesmal also keine Musterschülerin. (Dorian Waller, DER STANDARD - Printausgabe, 13./14./15. August 2011)