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Der Chef des Übergangsrates, Mustafa Abdel Jalil, bei einer Pressekonferenz Mitte August. Da gab er die Umbildung des Exekutivkomitees bekannt.
Foto: EPA/STR

... noch hat die internationale Gemeinschaft jedoch einen intakten offiziellen libyschen Ansprechpartner. 

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Frankreich hat angekündigt, vielleicht schon nächste Woche die internationale Libyen-Kontaktgruppe zu Gesprächen über die Transitionszeit einberufen zu wollen - wobei der einzige Vorteil der langen Agonie des Gaddafi-Regimes ist, dass es für die internationale Gemeinschaft einen eindeutigen und anerkannten Vertreter Libyens gibt: den Nationalen Übergangsrat mit seinem Exekutivkomitee, mit bisherigem Sitz Bengasi. Das Gremium wird nach dem endgültigen Fall Tripolis' wohl den Namen wechseln und sich „Regierung" nennen, aber im Wesentlichen dürfte es gleich bleiben.

Andererseits sind gerade während der vergangenen Wochen Zweifel aufgekommen, ob der Übergangsrat seine prekäre Einheit über den Sturz des Gaddafi-Regimes retten können wird. Rund um den mysteriösen Tod von Rebellen-Militärchef Abdel Fatah Yunis wurden Risse innerhalb des Rates sichtbar, die erahnen lassen, dass das gefürchtete politische Vakuum doch noch eintreten könnte.

Aber einstweilen hat die internationale Gemeinschaft einen intakten Ansprechpartner. Nach und nach wurde der Ende Februar gebildete Übergangsrat von dutzenden Staaten (darunter auch Österreich) offiziell anerkannt, andere - die die Legitimitätsfrage für den nicht gewählten Rat nicht so eindeutig beantworten wollten - unterhalten zumindest Beziehungen zu ihm.

Indiz für Spaltung des Landes

Der Diskussion über eine adäquate Vertretung stellte sich die disparate, aber von ehemaligen Gaddafi-Mitarbeitern dominierte libysche Rebellengruppe bald nach dem Ausbruch der Revolution des 17. Februar. Über die Frage, ob nicht sofort eine „Gegenregierung" gebildet werden sollte, gab es heftigen Dissens - man entschied sich schließlich dagegen, aus Angst, dass sie als „Regierung des Ostens" und als Zeichen der bevorstehenden Spaltung Libyens interpretiert werden könnte.

Also bildete man am 27. Februar den Nationalen Übergangsrat als „politisches Gesicht der Revolution", geleitet vom ehemaligen libyschen Justizminister Mustafa Abdel Jalil, einem Juristen, der trotz seines Engagements mit Gaddafi seinen guten Ruf im Land bewahren konnte. Der Rat wurde geografisch besetzt, als Manifest der libyschen Einheit. Aber viele Mitglieder - in damals noch nicht „befreiten" Gebieten - blieben virtuell und der tatsächlich operative Rat östlich dominiert. Das wird sich ändern müssen.

Neoliberaler Regierungschef

Ende März bekam der Nationale Übergangsrat dann ein eigenes Exekutivkomitee, also doch so eine Art Regierung, als deren Chef Ahmed Jibril ernannt wurde, der schon zuvor eine ähnlich exekutive Position im Übergangsrat bekleidet hatte. Auch Jibril kennt die Macht in Tripolis von innen. Der Neoliberale, der als Professor in Pittsburgh Karriere gemacht hatte, trat 2007 in die Dienste Gaddafis, dessen Regierung er zuvor bereits beraten hatte. Jibril war bis 2010 Chef des libyschen National Economic Development Board und galt als Verbündeter von Gaddafi-Sohn Saif al-Islam bei dessen wirtschaftlichen Modernisierungsversuchen. Jibrils Neoliberalismus und sein US-Hintergrund haben Verschwörungstheorien bestärkt, dass der Sturz Gaddafis ein US-imperialistisches Projekt sei.

Ein erstes Programm des Übergangsrates skizzierte dessen Aufgaben und erste politische Pläne, die vergangene Woche, als das Ziel Tripolis erstmals in greifbare Nähe rückte, präzisiert wurden. Ein Acht-Punkte-Plan entwirft eine politische Transitionszeit, die mit der Organisation von Wahlen zu einem Übergangsparlament beginnen und mit Wahlen unter einer neuen Verfassung enden soll.

Aber nicht nur die Erfolge zwangen die Rebellen dazu, ihre politische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, sondern auch die eingangs erwähnten Turbulenzen. Nach starker Kritik besonders am Exekutivkomitee - dessen Mitgliedern unter anderem vorgeworfen wurde, sich mehr im Ausland als in Libyen aufzuhalten - entschloss sich Mustafa Abdel Jalil, die Regierung umzubauen, wobei allerdings Exekutivkomiteechef Ahmed Jibril im Amt blieb.

Der ganze Rat leidet an einem Transparenzproblem - was dazu führt, dass vertuschte Meinungsverschiedenheiten dann umso heftiger in die Öffentlichkeit hineinbrechen: wie die Auseinandersetzungen an der Spitze der Rebellenarmee, über die lange gemunkelt wurde. Den Tod von Abdel Fatah Yunis reflexartig Gaddafi anzuhängen kostete Abdel Jalil viel Vertrauen. Da werden noch Rechnungen präsentiert werden. (Gudrun Harrer, STANDARD-Printausgabe, 23.8.2011)