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Es gibt kaum Bilder von der Demonstration am 17. Oktober 1961

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Festgenommene wurden in Bussen abtransportiert.

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Gedenkveranstaltung in Paris (Archivbild)

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Nazi-Kollaborateur Maurice Papon brachte es zum Pariser Polizeipräsidenten. Das Bild entstand 1991, als er den Historiker Jean-Luc Einaudi wegen Ehrenbeleidigung klagte

Foto: Reuters/Charles Platiau

Frankreich, Sommer 1961. Der algerische Unabhängigkeitskrieg tobt mit unverminderter Härte. Obwohl der Großteil der französischen Bevölkerung dafür ist, die Kolonie in die Unabhängigkeit zu entlassen, wollen Militärs und Siedler keine Sezession zulassen, ihre Geheimorganisation OAS ("Organisation armée secrète") ermordet zahlreiche Algerier.

Als im August die Unabhängigkeitsbewegung FLN nach einer mehrwöchigen Pause wieder beginnt, in Frankreich gezielt Polizisten anzugreifen, eskaliert die Lage: die Sicherheitsbeamten organisieren sich in Selbstschutzkomitees, Maurice Papon, der Polizeipräfekt von Paris, droht mit harten Vergeltungsmaßnahmen.

Für jeden getöteten Polizisten, kündigt er beim Begräbnis eines Beamten an, sollen zehn Algerier sterben. Falls seine Männer es für notwendig erachten, zuerst zu schießen, sollen sie sich keine Sorgen machen, diese Vorgangsweise sei gedeckt. Anfang Oktober erlässt er dann eine nächtliche Ausgangssperre, die sich ausschließlich gegen Franzosen algerischer Herkunft richtet.

Die FLN ändert darauf ihre Strategie: eine gewaltfreie Massendemonstration gegen die Ausgangssperre soll die Sympathie der kriegsmüden französischen Bevölkerung erringen. Die Organisation ordnet an, auf Provokationen nicht zu reagieren, Ordner sollen sicherstellen, dass niemand Waffen zur Kundgebung mitnimmt. Wenn sich die Behörden entscheiden, gegen friedliche Demonstranten vorzugehen, hofft man, mit Bildern des Polizeieinsatzes die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen.

Doch als am Morgen des 17. Oktober Zehntausende nach Paris strömen, um sich der Kundgebung anzuschließen, ist kein Wort davon in den Medien zu finden: die Regierung hat beschlossen, Berichte zu unterbinden, Fotografen werden ihre Kameras abgenommen, Augenzeugen eingeschüchtert.

Im Polizeifunk wird die Falschmeldung verbreitet, FLN-Kämpfer hätten erneut zehn französische Polizisten getötet. Die Beamten schlagen die Proteste mit voller Härte nieder: in U-Bahn-Stationen werden Menschen mit Gewehrkolben und Knüppeln zusammengeschlagen, über zehntausend Menschen werden verhaftet und in improvisierte Anhaltelager in Stadien und auf dem Gelände des Parc des Expositions gebracht und dort brutal zusammengeschlagen, etliche Algerier erliegen ihren Verletzungen.

Opferzahl weiter unbekannt

Fünfzig Jahre später ist die Opferzahl weiter unbekannt: 1961 hatten französische Medien berichtet, zwei Algerier seien bei einem Schusswechsel mit der Polizei ums Leben gekommen, heute geht man von mindestens 200 Getöteten aus. Allein im Innenhof des Pariser Polizeihauptquartiers starben an diesem Tag 50 Menschen. Noch Wochen später wurden Leichen in der Seine gefunden.

Frankreichs Politiker tun sich noch heute schwer mit der Erinnerung an das Massaker von Paris: erst 1997 wurde unter Premierminister Lionel Jospin eine offizielle Untersuchung eingeleitet, die eine Opferzahl von "höchstens vierzig" ergab, die Aufzeichnungen der Pariser Polizei bleiben unter Verschluss.

Noch 2001 boykottierte die konservative Opposition im Pariser Stadtrat die Einweihung einer Gedenktafel für die Opfer. Einzig Polizeipräsident Papon wurde 1998 zu zehn Jahren Haft verurteilt - allerdings nicht wegen der blutigen Niederschlagung der Proteste, sondern, weil er unter dem nazifreundlichen Vichy-Regime Judendeportationen organisierte. (bed/derStandard.at, 20.10.2011)