Einer schmust, einer schaut: Päpste in privatem (Jeremy Irons)...

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... und öffentlich-rechtlichem TV (John Doman).

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Wien - ATV bringt ab Sonntag, 20.15 Uhr die Renaissancewelle ins Rollen. Neunmal 50 Minuten lügen und betrügen die Kirchenväter in der US-Serie "The Borgias" an vier Sonntagen. Nur einen Monat später, am 13. Oktober, startet der ORF mit einer Euroversion. Der STANDARD sah beide vorab.

  • Fakten Regie bei "The Borgias" führte Neil Jordan (Interview mit einem Vampir). Dreamworks produzierte. Der US-Sender Showtime fuhr Erfolge ein: Die Fortsetzung ist bestellt. Sat.1 zeigt die erste Staffel zu Jahresende.

Sechsmal hundert Minuten lang zeigt der ORF "Borgia" ab 13. Oktober im späten Hauptabend. Regie führten bei zwei Folgen Oliver Hirschbiegel ("Der Untergang"), weiters Dearbhla Walsh, Metin Huseyin, Christoh Schrewe. Der slowakische Filmproduzent Jan Mojto holte die französische Atlantique sowie ZDF und ORF an Bord. Eine Fortsetzung scheint möglich. Das ZDF zeigt "Borgia" ab 17. Oktober. Befürchtungen, wonach durch den ATV-Vorsprung niemand mehr auf den Euro-Papst neugierig ist, steuert der ORF konkurrenzbewusst gegen: Der zweite Teil der Mittelaltersaga "Isenhart" wartet am Sonntag als Gegenprogramm zu ATV.

  • Mammon 24 Millionen Euro kostete die Euro-"Borgia" - für europäische Begriffe absolut Top. Die US-Version war dennoch teurer: 32 Millionen Euro.
  • Insignien "The Borgias": Die Tiara schaut definitiv nicht nach billiger Blechhaube aus. Die Kostüme bei "Borgia" sind ebenso Augenweide. Andrea Sawatzki klagte über zu enge Mieder: Das gepresste Dekolleté würde in der Tat Lockerung vertragen.
  • Kulisse Hauptsache opulent, lautet das "Borgias"-Prinzip: "Wir wollten eine surreale Anmutung" , sagt Regisseur Jordan. Öffentlich-rechtliche Gründlichkeit bei "Borgia": Die Sixtinische Kapelle wurde fast 1:1 nachgebaut. In acht Wochen entstand der Petersplatz.
  • Musik Laute hier, Choräle da.
  • Rollen Jeremy Irons (M. Butterfly) spielt den Papst als Macho, der über Leichen geht. Lucrezia Borgia (Holliday Grainger) als liebreizende Naive, Cesare (Francois Arnaud) als stolzer Held: Hier wurde für die beste Optik gecastet. John Doman (The Wire) agiert bei "Borgia" mit der Coolness eines Paten, der für die Familie sorgt. Udo Kier als busennuckelnder Papst Innozenz und Andrea Sawatzki als abwägende Ziehmutter: Hier wurde gründlich besetzt.
  • Blut Mehr als beherztes Säbelrasseln ist bei "Borgias" nicht notwendig, um die latent aggressive Stimmung im Kirchenstaat einzufangen. Klarer Vorteil gegenüber der Euro-"Borgia". Dort: Abgesäbelte Ohren, Totschlag mit Vorschlaghammer, Stiche, die ins Auge gehen. Es fließt viel Filmblut, hart an der Grenze zum Jugendverbot.
  • Schweiß Der Austausch von Körperflüssigkeiten findet in der US-Version hinter sittsam angeordneten Vorhängen statt. Hingegen herrscht bei "Borgia" mitunter wildes Gerammel, allen voran der lüsterne Papstanwärter, der keine Gelegenheit auslässt, die Kardinalsrobe zu lüpfen.
  • Tränen Emotionale Kraft im unverkennbaren Hollywood-Stil hält der US-Papst bereit: Liebe, Tod und Leidenschaft. Mit Herzensschmerz tun sich die Euro-"Borgia" ungleich schwerer. Für Romantik war eben kein Platz damals, insofern konsequent.
  • Geschichte lag nicht im obersten Interesse der "Borgias". Cesare Borgia wird als "ältester Sohn" präsentiert. Lexika führen ihn eher als Zweitgeborenen an. Serienerfinder Tom Fontana (Oz) wertete für "Borgia" lateinische Bücher aus.
  • Tiefgang "The Borgias" folgt dem Soap-Opera-Prinzip: Da die Guten, dort die Bösen, ein dazwischen gibt es nicht. Klarheit von Anfang an. Eine der Stärken von "Borgia": Die Figuren sind ambivalent. Jeder hat irgendwie Dreck am Stecken. Das reizt.
  • Spaßfaktor Die Lust an der Faktentreue geht bei den Euro-"Borgia" auf Kosten der Spannung. Weil jede historisch dokumentierte Wendung eingebettet werden musste, entstehen Längen. Die US-Rotkittel flitzen dagegen in hoher Schlagzahl durch die Geschichte: Tod des alten, Wahl und Ernennung des neuen Papstes passieren in einer Folge.
  • Fazit Unentschieden, aber ein klarer Sieg für die Renaissance. (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 10./11.9.2011)