Leichtfüßig, anspielungsreich und von erhabener Schönheit: "Le Savali: Berlin."

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Lemi Ponifasio zeigt "Le Savali: Berlin".

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Nein, mit Samoa und polynesischen Schönheitsklischees hat dieser Abend fürs Erste einmal nichts zu tun. Lemi Ponifasio, geboren auf der samoanischen Insel Savai'i und polyglotter Shootingstar der Performance-Szene, schickt keine blumenbekränzten Polynesier in bunten Lavalavas, den traditionellen samoanischen Wickelröcken, über die Bühne. Auch wenn der Titel Le Savali: Berlin dies vermuten ließe. "Le Savali" ist das samoanische Wort für eine Reise, um eine Botschaft, ein Anliegen, zu vermitteln.

So einer, der die Geschichten in die Welt trägt und Menschen ermutigt, gemeinsam die Stimme zu erheben, zu tanzen, zu performen, so einer ist Lemi Ponifasio: welt- und weitgereist, eingeladen von den Wiener Festwochen, der Ruhrtriennale, der Biennale von Venedig und jetzt bei den Berliner Festspielen; charismatisch, freundlich - und, ja, in seiner Mission gnadenlos.

Zeit. Viel Zeit nimmt er sich, gleich zu Beginn dauert es fast schmerzhaft lang, bis sich der Vorhang hebt. Und dann nur gerade so viel, dass man ein Mensch-Tier-Wesen über die Bühne laufen sieht, auf allen vieren. In Zeitlupe füllt er die Bühne mit betörend schönen Bildern, inszeniert in der poetischen Lichtarchitektur von Helen Todd Installationen aus Menschen und Tönen und Schatten und Licht: in Grau getaucht, Nachtschwarz, gleißendes Weiß.

Lemi Ponifasio träumt von einer Welt, in der niemand ausgegrenzt wird. Die nicht nach dem Woher fragt, sondern nur mehr diese einzige Zuschreibung kennt: Mensch. Aber dann ist doch im Titel die Verortung "Berlin", diese multikulturelle Stadt der vielen Gesichter und Geschichten zeichnet er, stellvertretend für alle Städte dieser Welt, als Ort zwischen Leben und Tod, zwischen Vergangenheit und Zukunftsvisionen. Monumental ist dieser Abend, und folglich auch mitunter schwer pathetisch, schwermütig, voller Trauer und dann wieder leichtfüßig, anspielungsreich, voller Leben und Wahnsinn.

Vierzig Tänzerinnen und Tänzer aus Samoa und auch ein paar aus Neukölln treffen in Berlin erstmals aufeinander, körperbeherrschende Profis und bewundernswerte Laien. Ein Frauenchor aus Bulgarien, der, wie die Musiker, meist im Verborgenen agiert. Der minimalistische, mitunter fast einschläfernd monotone Sound, die leisen Melodien, das Kratzen, Scheppern, Klagen, Geigen stammt von Fabrizio Cassol, der u. a. mit Anne Teresa De Keersmaeker oder auch Alain Platel zusammengearbeitet hat.

Nur mit einer grauen, betörend schönen (Berliner) Mauer hat Ponifasio seine Bühne möbliert, auf die ein junger Rom sorgfältig "I Am Angelo" malen wird. Menschen werden über diese Mauer klettern, darüber schweben, daran zerschellen, davor scheitern, sich wieder aufrichten, Hoffnung schöpfen. Und unvermutet wird ein Rilke-Gedicht aus den Duiner Elegien aus dem Dunkel des Nichts erscheinen und wieder verlöschen. Was auf der Bühne geschieht", sagt Ponifasio, "ist keine Folklore. Das sind wir, so sind wir. Die Folklorisierung der Kultur führt dazu, dass du nicht mich siehst, sondern nur deine eigene egoistische Fantasie."

Brigitte Fürle hat in ihrer letzten Saison als künstlerische Leiterin der Spielzeit Europa das Motto "Veränderbare Welten" verordnet sowie die erste und - wenn schon, denn schon - mit Ponifasios Le Saval Berlins kühnste Eigenproduktion. Nächste Woche wird der neapolitanische Regisseur Antonio Latella seine erste deutschsprachige Inszenierung vorstellen: Bernard-Marie Koltès' Die Nacht kurz vor den Wäldern, Clemens Schick kehrt dafür ans Theater zurück. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 8./9. Oktober 2011)