Das Design des Nokia N9 ist wirklich gut gelungen, zudem liegt es bestens in der Hand, auch sonst gibt es an der Verarbeitung nichts zu bemäkeln.

Grafik: Nokia

Die Steuerung erfolgt ganz und gar per Touchscreen, es gibt keinerlei Hardware- oder Soft-Touch-Knöpfe für diese Aufgaben. Per "Swipe" wird zwischen den Anwendungen gewechselt.

Grafik: Nokia

Der Lock-Screen gibt die Design-Richtung des N9 schon ganz gut vor: Minimalistisch. Hier werden auch wichtige Benachrichtigungen dargestellt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Anwendungsauswahl lässt sich nach Belieben umsortieren, der Icon-Stil wirkt etwas sehr bunt - und trägt nicht unbedingt zur Übersichtlichkeit bei.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Der Benachrichtigungs-Screen ("Events") führt Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Das dritte fixe Element des MeeGo-UI ist die Übersicht aller laufenden Anwendungen. Mit einer Pinch-Geste kann hier zwischen einem 2x2 oder 3x3-Raster gewechselt werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Einstellungen sind bei MeeGo zwar umfangreich, das UI reagiert aber irritierend langsam auf die Eingaben der NutzerInnen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Der Browser bietet zwar nur die Basis-Funktionalität, die aber tadellos, vor allem Speed und Schriftdarstellung gefallen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Der Mail-Client von MeeGo kann mit verschiedensten Account-Typen umgehen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Musik-Anwendung von MeeGo, samt Empfehlung ähnlicher Titel und der Anbindung an "Ovi Musik", wo neue Titel erworben werden kann.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Kartenanwendung kann sich sehen lassen, ist aber nicht gerade überragend flott.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wireless Tethering Support gibt es von Haus aus.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Der Ovi Store bietet zwar zahlreiche Anwendungen, für MeeGo optimiert wurde aber nur weniges.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Mit dabei sind auch ein paar Spiele, etwa Angry Birds oder NFS Shift.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die einleitenden Worte für einen Testbericht zu finden, ist eine ebenso zentrale, wie nicht immer triviale Aufgabe. Immerhin geht es darum das zu besprechende Produkt gleich vom Start weg in den richtigen erzählerischen Rahmen zu setzen, Highlights, Spannungsfelder und Hintergrund dezent anzudeuten, ohne dabei gleich den restlichen Text obsolet zu machen. Das fällt manchmal leichter, mal weniger. Und dann gibt es da noch das Nokia N9: Ein Gerät, das eine regelrechte Anomalie in der Produktstrategie eines Herstellers darstellt, bekommt man schließlich auch nicht so oft in die Hände.

Meego

Denn das N9 ist nicht nur Nokias erstes Smartphone mit dem mobilen Linux-Betriebssystem MeeGo, es wird wohl auch das einzige seiner Art bleiben (sieht man einmal vom nicht für den Verkauf gedachten N950 ab). Der Konzern hat sich längst voll und ganz auf Microsoft und dessen Windows Phone 7 eingeschworen, MeeGo wird hingegen zum "Experiment" mit gänzlich unklarer Ausrichtung degradiert - aber definitiv ohne jeglicher Zukunft bei Nokias Smartphone-Linie.

There is nooo future...

Ab dem 14. Oktober ist das erste offizielle Smartphone für die "No Future"-Generation also nun in Österreich erhältlich. Und damit darf man sich hierzulande zu einem ziemlich erlauchten Kreis zählen. Im Bestreben, das N9 ja nicht all zu erfolgreich werden zu lassen - eine andere Deutung lässt diese Strategie eigentlich nicht mehr zu - wird es das N9 nämlich auf praktisch keinem der großen Absatzmärkte zu erwerben geben. So wird das Gerät beispielsweise weder in Deutschland noch in den USA erhältlich sein. Apropos Verfügbarkeit: Das N9 gibt es in zwei Ausführungen, wahlweise mit 16 oder 64 GByte Speicherplatz ausgestattet, ist es mit einem Preis von 619 bzw. 679 Euro gelistet. Zusätzlich darf man sich zwischen drei Farbausführungen entscheiden, und zwar "Schwarz", "Magenta" und "Cyan".

Erster Eindruck

Gleich nach dem Auspacken weiß das N9 zu gefallen, beim Design hat Nokia wirklich ganze Arbeit geleistet, alles wirkt wie aus einem Guss. Dieser Eindruck wird unter anderem dadurch erzeugt, dass der - eigentlich leicht überstehende - Bildschirm am Rand dezent abgerundet ist, somit beinahe schon nahtlos in das restliche Gerät übergeht. Zudem befinden sich an der Außenseite gerade einmal drei Knöpfe, zwei für die Lautstärkenregulierung und natürlich ein Ein-/Aus-Schalter. Selbst der Mikro-USB-Port ist hinter einer - etwas frickeligen - Abdeckung versteckt, gleich daneben dann der Slot für die Micro-SIM-Karte.

Bildschirmfragen

Das alles bestimmende Element an der Front stellt natürlich das Display dar, dieses ist 3,9 Zoll groß und bietet bei einem Seitenverhältnis von 16:9 eine Auflösung von 854x480 Pixel. Dabei handelt es sich um einen AMOLED-Screen, Nokia weist mit dem Begriff "Clear Black" nochmal darauf hin, dass so eine Lösung wirklich schwarzes Schwarz ergibt - was das Gerät auch einlösen kann. Auch sonst hält der Bildschirm das, was die Spezifikationen erwarten lassen, liefert ein sehr helles und farbenfrohes Äußeres. Angemerkt sei, dass Nokia ein Display mit Pen-Tile-Matrix nutzt, was zur Folge hat, dass die effektive Auflösung unter der nominellen liegt - auch wenn das wohl nur die wenigsten mit dem freien Auge bemerken werden. Das N9-Display kommt mit Gorilla-Glas, erweist sich also als äußerst widerstandsfähig gegen physische Angriffe aller Art.

Spezifisch

Zu den weiteren Eckdaten: Herzstück ist ein Texas Instruments OMAP 3630 Prozessor, dieser ist eine sogenannter "System on a Chip", beherbergt neben einer mit 1 GHz getakteten ARM Cortex A8 CPU also auch noch eine PowerVR SGX 530 GPU, die die nötige Grafik-Power liefern soll. Das N9 weist einen Hauptspeicher von 1 GByte auf, neben dem schon erwähnten lokalen Speicherplatz gibt es auch noch ein 512 MByte großes NAND Memory, in dem das eigentliche Betriebssystem residiert. Spezifikationen mit denen man in Summe - zumindest rein nominell - nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist, sowohl Apple als auch die diversen Android-Hersteller verbauen mittlerweile deutlich schnellere Prozessoren.

Kamera+

Anders sieht das bei der Kamera aus, immerhin eine traditionelle Stärke von Nokia: Hier gibt es eine Carl-Zeiss-Optik mit Dual-LED-Flash, die Bilder mit bis zu 7 (bei 16:9) bzw. 8 Megapixel (4:3) schießen kann. Zusätzlich ist an der Front eine zweite kleine VGA-Kamera eingebaut, ungewöhnlicherweise übrigens am unteren Rand des Smartphones. Dass Nokia diese in den offiziellen Spezifikationen mit keinem Wort erwähnt, mag wohl daran liegen, dass sie in der aktuellen Softwareversion schlicht nicht genutzt wird. Der Akku ist mit 1.450 mAh eher am unteren Ende des in aktuellen Smartphones Gebotenen angesiedelt, das Gewicht liegt bei 135 Gramm, die Abmessungen betragen 116,5 x 61,2 x 12,1 mm. Dazu kommt dann noch die übliche Sensoren-Phalanx aktueller Smartphones, von GPS über Beschleunigungssensor bis zu NFC ist so ziemlich alles da, was man sich gemeinhin erwarten darf.

Interface

Kommen wir zur Software: Die MeeGo-Oberfläche setzt sich zunächst mal aus drei zentralen Bereichen zusammen. Da wäre einmal der Anwendungsstarter, wie man ihn auch von anderen Systemen kennt, eine im Gitter angeordnete Icon-Sammlung der installierten Programme. Wer will, kann diese nach Belieben sortieren, nicht dem Kernsystem zugeordnete Apps können hier auch gleich deinstalliert werden. Mit einer seitlichen Wischbewegung geht es zur Übersicht aller gerade laufenden Programme, also quasi der Task-Switcher des N9. Mit einem Langdruck auf den Bildschirm können hier einzelne Apps gezielt beendet werden, wer will kann auch gleich alle auf einmal schließen. Einen "Swipe" weiter sind wir beim Benachrichtigungs-Screen, neben Uhr und Wetter finden sich hier dort auch die Notifications der diversen installierten Programme - von Schlagzeilen bis zu neuen Mails und Tweets.

No Buttons, please

Wer bei der Beschreibung der Äußerlichkeiten aufgepasst hat, weiß: Es gibt keinerlei Steuerungsknöpfe, auch Soft-Buttons wie bei Android sucht man hier vergeblich. Statt dessen funktioniert bei Nokias "MeeGo" die Steuerung tatsächlich einzig und allein über den Touchscreen. Mit den schon erwähnten "Swipes" navigiert man durch das Interface, und das geht so: Den Screen wahlweise von links nach rechts oder umgekehrt ziehen, bedeutet das aktuelle Programm in den Hintergrund zu verschieben, und auf den Home-Screen zurückzukehren. Ein Swipe von oben nach unten beendet das im Vordergrund befindliche Programm (was im Test allerdings nicht zuverlässig funktionierte).

Fehleranfällig

Etwas gewöhnungsbedürftig daran, dass man den Swipe wirklich ganz am äußersten Bildschirmrand starten muss, damit er zuverlässig funktioniert. Dies hat durchaus einen guten Grund: Nutzt MeeGo doch auch innerhalb einzelner Apps Gesten für andere Aufgaben, mit Bewegungen von links nach rechts kann also auch durch die eigenen Mails geblättert werden - so man diese eben nicht ganz vom Rand weg startet. Hier treffsicher zu agieren braucht eine kleine Eingewöhnungszeit, und zeigt auch, dass das gänzlich knopflose Konzept durchaus sein Tücken hat. Leider wird dies auch nicht bei allen Programmen konsequent umgesetzt, so dass sich oft noch kleinteilige Navigations-Buttons finden - was nicht unbedingt zur Konsistenz des Systems beiträgt.

Optik

Grafisch ist das Ganze durchaus ansprechend umgesetzt, gerade mit den immer wieder auftauchenenden großen Schriften sind auch gewisse Anflüge von Windows Phone 7 zu erkennen. Die Übergangsanimationen sind durchwegs gut gelungen, einzige kleine Ausnahme: Die Icons der von Haus aus installierten Programmen sind reichlich uninspiriert geworden. Sie sind dermaßen einheitlich gehalten, dass sie das schnell Auffinden der gewünschten App nicht unbedingt leicht machen.

Speed

Viel wichtiger aber wohl: Das Grundsystem funktioniert wirklich beeindruckend flott, die Swipes zwischen den Home-Screens gehen "butterweich" vonstatten, der Wechsel zwischen den offenen Programmen ebenso. Um so mehr verblüfft, das bei intensiver Nutzung zwar keine allgemeine Verlangsamung, aber immer wieder gröbere "Hänger" feststellbar sind, die etwa beim im Hintergrund laufenden Musik-Player schon mal zu Aussetzern führen können. Fairerweise sei angemerkt, dass dies eher die Ausnahme ist.

Einstellungen

Negativ aufgefallen sind allerdings die Einstellungen, wo man oftmals vergleichsweise lange wartet, bis auf eine Eingabe reagiert und zum nächsten Menü gewechselt wird. Überhaupt sind die Einstellungen ein auch vom Konzept her etwas gewöhnungsbedürftiger Bereich: Um die einzelnen Apps möglichst einfach zu halten, hat man deren Optionen einfach als Untermenü in die System Settings gepackt. Dort sind sie zwar dann alle schön brav zentral versammelt, muss man aber mal in einer App nur schnell einen Punkt ändern, erweist sich dieser Ansatz als reichlich mühsam.

Status

Natürlich darf auch bei MeeGo eine Statuszeile am oberen Bildschirmrand nicht fehlen, wo die üblichen Infos wie Zeit und Signalstärke dargeboten werden. Eine Berührung an dieser Stelle offenbart ein kleines Menü, mit dem rasch zwischen verschiedenen Profilen ("Lautlos", "Einzelton" und "Klingelton" gewechselt werden kann. Über einen Balken lässt sich die Lautstärke rasch anpassen, außerdem gibt es noch die Möglichkeit WLAN oder 3G-Verbindungen rasch zu trennen - oder neue zu initiieren.

Tastatur

Da das N9 ja keine Hardwaretastatur aufweist, erfolgt die Texteingabe über ein Software-Keyboard, dieses agiert "ok", aber jetzt auch nicht sonderlich berauschend. Dies mag daran liegen, dass der Screen an sich nicht ganz so exakt auf Touch-Eingaben reagiert, wie man es von vielen anderen aktuellen Smartphones gewohnt ist - so zumindest der subjektive Eindruck des Testers.

Lockscreen

Ebenfalls noch erwähnt sei der Lockscreen des Geräts, werden auf diesem doch wichtige Informationen - etwa eingehende SMS oder verpasste Anrufe - dargestellt. Ansonsten ist er ebenfalls denkbar minimalistisch gehalten - was durchaus als Kompliment zu verstehen ist. Selbst wenn das restliche Display aus ist, wird übrigens noch eine Digital-Uhr angezeigt, wichtige Nachrichten werden zudem über ein kleines Icon symbolisiert.

Apps

Das Nokia N9 wird erwartungsgemäß mit einer ganzen Reihe von vorinstallierten Apps ausgeliefert, deren Qualität variiert allerdings deutlich. Das Positivste gleich vorweg: Die Kamera-Anwendung ist nicht nur schlicht und einfach gehalten, sie reagiert vor allem wirklich, wirklich schnell, eine spürbare Wartezeit zwischen den Bildern gibt es praktisch nicht. Auch die Qualität der damit geschossenen Bilder liegt im Spitzenfeld aktueller Smartphones, dazu passt, dass der Dual-LED-Blitz wirklich hell ist. Der Fokus kann übrigens mit dem Finger gezielt festgelegt werden. Als Bonus können auch Videos in 720p mit 30 Bildern pro Sekunde aufgenommen werden. Und zwar zuverlässig, selbst bei schwierigen Lichtverhältnissen und schnellen Kamerabewegungen kam es zu keinerlei bemerkbaren Hängern.

Bildlich

Am angeschlossenen Bilderbetrachter gibt es ebenfalls nichts auszusetzen, schlicht und schnell sind hier die passenden Attribute. Besonders nett ist, dass sich Bilder auch rasch per NFC direkt mit anderen Geräten sharen lassen - der NFC-Support von Nokia ist ohnehin auch an sich wirklich vorbildlich. Der Musikplayer erledigt seine Aufgabe ohne wirklich grobe Auffälligkeiten, die YouTube-App ist hingegen nichts weiter als ein Link auf die mobile Seite der Video-Plattform. Der integriert Video-Player des N9 arbeitet flott und zuverlässig, kann auch mit üblichen Xvid und MPEG4-Videos schon von Haus aus problemlos umgehen. Eine Skype-Anwendung gibt es zwar, die muss aber ohne Videotelefonie-Support auskommen, was die Nützlichkeit doch etwas mindert. Für das Wetter ist Accuweather zuständig, und liefert dabei exakt das, was man von anderen Versionen der Software schon gewohnt ist.

Karten

Mit Ovi Maps nennt Nokia bekanntlich eine eigene Kartenlösung sein eigen, die hier erst mal durch eine wirklich ausgedehnte Startzeit auffällt. Auch in der weiteren Benutzung ist die Software nicht unbedingt ein Performance-König, an der Funktionalität gibt es hingegen wenig auszusetzen. Die Karten sind aktuell, die Satellitenaufnahmen können sich sehen lassen (auch wenn z.B. die Bilder von Wien nicht mehr ganz frisch sind), die Lokalsuche samt Bewertung funktioniert ebenfalls tadellos. Als Bonus gibt es auch eine zugehörige Navigationssoftware samt deutscher Sprachausgabe und Offline-Support.

Telefon ist auch mit dabei

Die Telefoniesoftware des N9 präsentiert sich ohne große Auffälligkeiten, verrichtet ihre Aufgabe aber zuverlässig, was wohl mit Abstand das wichtigste ist. An der Tonqualität der Gespräche gab es nichts auszusetzen, die externen Lautsprecher liefern ein relativ klares, allerdings nur mittelmäßig lautes Ergebnis.

Im Web

Auch der Browser des N9 weiß durchaus zu überzeugen. Basierend auf Webkit - und damit auf jener Rendering Engine, die auch bei Android und iOS zum Einsatz kommt - reagiert er flott, die Schriftendarstellung ist tadellos. Große Spärenzchen sollte man sich von der Software allerdings nicht erwarten, die Funktionalität konzentriert sich auf die Basics. Ein netter Bonus ist, dass man Webseiten gezielt zur Liste der Programme am Home-Screen hinzufügen kann. Die Abwesenheit von Flash werden manche vermissen - andere wiederum nicht, dieses Thema polarisiert ja üblicherweise die Meinungen recht stark.

Mail

Der Mail-Client kann gleichermaßen mit POP/IMAP als auch mit Exchange und GMail umgehen, es gibt ein zentrales Suchfeld, ansonsten ist auch dieses Tool eher simpel gehalten - was nicht notwendigerweise schlecht sein muss. Überhaupt gilt, dass MeeGo sich äußerst kontaktfreudig gibt, in den Systemeinstellungen lassen sich eine Vielzahl von Services autorisieren und mit dem System verknüpfen - vom Nokia-Konto über Youtube, Google, Exchange zu Flickr. Allerdings wirkt das alles noch etwas unfertig, so übernimmt etwa der - ansonsten sehr gut gestaltete Kalender - keine Google-Einträge, hier muss man sich schon manuell per Caldav zu helfen wissen.

Twi...

Wenig berauschend präsentiert sich der Twitter-Client des N9: Nicht nur, dass hier das Scroll-Timing nicht so recht mit dem restlichen System zusammenpassen will, mangelt es auch an grundlegender Funktionalität. So gibt es etwa derzeit keine Möglichkeit Bilder zu tweeten. Auch die Performance ist alles andere als berauschend, ein Retweet wird erst nach ein paar Sekunden korrekt angezeigt.

Hotspot!

Bereits vom Start weg mit dabei ist eine App, um das N9 in einen WLAN-Hotspot zu verwandeln, die Datenverbindung also mit anderen zu teilen. Dies funktioniert im Test tadellos, auch wenn verwundert, dass die Aktivierung des "Tethering" auffällig lange benötigt. Dafür gibt es im Betrieb eine Übersicht der bereits transferierten Daten - auf Wunsch auch nach einzelnen Clients aufgeschlüsselt.

Zugriff

Das Nokia N9 bietet USB-Mass-Storage-Support, der Zugriff auf die Daten kann also problemlos von allen gängigen Desktop-Betriebssystemen erfolgen. Zusätzlich gibt es mit Nokia Link ein eigenes Tool zum automatischen Abgleich von Bildern, Musik und Co., dies ist für Windows und Mac OS X erhältlich. Angesichts des eher durchschnittlich dimensionierten Akkus darf man sich keine Laufzeitwunder vom N9 erwarten, auch wenn ein Testlauf von GSMArena zumindest bei der Videobetrachtung sehr gute Werte liefert. Im Alltagseinsatz ließ sich das subjektiv nicht ganz bestätigen, um das allabendliche Aufladen des Smartphones wird man also auch hier nicht herumkommen.

Da fehlt doch was...

Zusätzliche Anwendungen werden beim N9 über den Ovi Store installiert - und hier wird es dann regelrecht deprimierend. Wirklich für MeeGo optimierte Anwendungen findet man bislang kaum, und dass sich dieser Umstand nicht ändern wird, dafür hat Nokia selbst nachhaltig gesorgt. Denn - jetzt mal ganz abgesehen von der Freizeit-Entwicklung und dem individuellen Spass daran - welche EntwicklerInnen wollen schon ihre Zeit in ein Plattform investieren, die vom Start weg bereits vom Hersteller selbst als tot erklärt wurde. Klar, es werden einige Spiele wie das scheinbar unvermeidliche Angry Birds mitgeliefert, es darf aber bezweifelt werden, dass Rovio ohne finanzielle Anreize von Nokia eine MeeGo-Portierung vorgenommen hätte.

Absurditäten

Eine reichlich absurde Situation, in der Nokia das N9 da auf den Markt bringt - und eine die grundlegende Fragen aufwirft, etwa warum der Hersteller das Gerät überhaupt noch veröffentlicht. Sei es zur Befriedung interne Streitigkeiten, sei es um vertraglich Obligationen zu erfüllen, was auch immer Nokia zu diesem Schritt bewogen haben mag, eins ist auch ohne jeglichen Hang zu Verschwörungstheorien unübersehbar: Noch nie war ein Hersteller vom Start weg dermaßen darauf bedacht, sicherzustellen, dass sein eigenes Gerät auf keinen Fall ein Verkaufserfolg wird. Schließlich würde dies die Hinwendung zu Windows Phone 7 in Frage stellen, und das ist so ziemlich das letzte, was Nokia jetzt noch brauchen kann.

Ein bisschen Vorgeschichte...

Freilich muss an dieser Stelle auch einmal klargestellt werden, dass der Untergang von MeeGo keineswegs die alleinige Schuld von Nokias aktuellem CEO Stephen Elop ist. Das Unternehmen war mit dem direkten Vorläufer Maemo einer der Pioniere in Fragen mobiles Linux, hat hier viel wichtige Arbeit geleistet, zentrale Technologien entwickelt. Doch anstatt sich frühzeitig auf diesen Weg zu konzentrieren, betrieb man Maemo jahrelang als eine Art "Hobby", und beharrte weiter auf die vermeintliche Überlegenheit von Symbian - mit dem Ergebnis, dass nun beide am Ende sind (oder auf dem unvermeidlichen Weg dorthin).

Umbauten

Nicht gerade förderlich für die Erfolgsaussichten von Maemo war wohl auch, dass man wirklich kaum eine Chance ausgelassen hat mit zentralen Änderungen an der Architektur interne und externe EntwicklerInnen gleichermaßen zu verärgern. Beispielhaft sei hier die Veröffentlichung des Nokia N900 samt Maemo 5 "Fremantle" erwähnt - der man gleich die Nachricht anfügte, dass die Plattform in der Form tot ist, das zentrale Toolkit GTK+ durch den Nokia-Neueinkauf Qt ersetzt wird. Dies natürlich nicht gerade unter Begeisterungsstürmen des mit Maemo betrauten Entwicklungsteams.

Etikettenschwindel

Zu all dem Chaos passt dann auch ganz gut, dass die beim N9 eingesetzte Software eigentlich gar kein "richtiges" MeeGo ist, sondern eine Fortsetzung von Maemo 6 "Harmattan" darstellt, die allerdings zu den MeeGo 1.2 APIs kompatibel ist. Soviel dann übrigens auch zur Frage, wie viel reale Zusammenarbeit wirklich zwischen Nokia und Intel rund um MeeGo stattgefunden hat.

Fazit

Unter diesen Vorzeichen ist es irgendwie passend, dass Nokia mit dem N9 das Kunststück vollbracht hat, ganz und gar unbeabsichtigt ein wirklich gutes Gerät mit viel versprechender Softwarebasis abzuliefern. Klar, es gibt einige kleinere Probleme und so manch konzeptionelle Lücke hier und da, aber nichts, was sich nicht relativ rasch mit weiteren Evolutionsstufen von MeeGo beheben hätte lassen.

Zielgruppen

Ohne den Anflug einer Zukunftsperspektive für die Plattform ist das N9 eigentlich nur für zwei Zielgruppen wirklich interessant: Da wären zunächst mal all jene, die gerne selbst am System herumbasteln, die ein wirklich freies - und im Gegensatz zu Android vollständiges - mobiles Linux auf ihrem Smartphone haben wollen. Kurz gesagt die, die schon von den Vorgängergeräten zurück bis zum ersten "Internet Tablet" Nokia 770 angesprochen wurden. Diese finden hier fraglos eine wirklich tolle Plattform in einem auch hardwareseitig durchwegs gelungenem Gerät.

Preisfrage

Und dann wären noch jene, die vollständig mit den aktuell installierten Programmen auskommen, weder große Ansprüche an zusätzliche Firmware-Updates noch an Dritt-Anwendungen haben. Dem Erfolg in diesem Marktsegement steht freilich entgegen, dass das N9 mit einem Preis von mindestens 619 Euro eigentlich deutlich zu teuer ist, zumal die Hardware - abseits der Kamera - jetzt nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand ist. Da ist eine solche Investition angesichts dessen, dass es auch wirklich gute, nicht mehr ganz aktuelle Android-Smartphones bereits um rund 200 Euro ohne Vertrag gibt, kaum zu rechtfertigen.

tl;dr

Kopfschütteln.

(, derStandard.at, 14.10.11)