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Nach dem Drama um eine Zweijährige geht es um die Frage, ob Chinas Gesellschaft auf dem Altar von Wirtschaftswachstum, Profitsucht und Ellenbogengesellschaft ihre Mitmenschlichkeit und Mitleidensfähigkeit geopfert hat.

Foto: AP/Eugene Hoshiko

Dutzende Ärzte haben den einwöchigen Kampf um das Leben der zweijährigen Yueyue verloren. Sie war Opfer eines Verkehrsunfalls geworden, der China besonders erschüttert hat, weil gleichgültige Passanten der Schwerverletzten nicht geholfen hatten. Ein Umstand, der heftige Debatten auslöste. Freitagfrüh erlag das Mädchen auf der Intensivstation des Kantoner Militärkrankenhauses seinen schweren Kopfverletzungen.

Zu dem Unfall war es auf einer Marktstraße in der südchinesischen Stadt Foshan gekommen. Gleich zwei Wagen hintereinander hatten das Kind überrollt. Ein Video einer Überwachungskamera, das im Fernsehen und im Internet zu sehen war, zeigt, wie 18 Passanten minutenlang an der schwerverletzten Yueyue vorbeigelaufen waren, ohne sich um sie zu kümmern. Schließlich brachte eine Müllsammlerin das Kind in Sicherheit und rief um Hilfe.

"Weckruf an die Nation"

Das Drama wurde im Internet in China als "Weckruf an die Nation" bezeichnet. Der Online-Aufschrei, den chinesische Medien aufgriffen und verstärkten, mündete in eine Debatte darüber, ob Chinas Gesellschaft auf dem Altar von Wirtschaftswachstum, Profitsucht und Ellenbogengesellschaft ihre Mitmenschlichkeit und Mitleidensfähigkeit geopfert hat.

Als der Tod des Kleinkinds bekannt wurde, schrieben Blogger sich im größten Mikroblog-Portal Sina.com ihre Trauer und Wut in fast 2,4 Millionen Meldungen von der Seele. Hunderttausende riefen dazu auf, virtuelle Kerzen für das Mädchen zu entzünden.

"Gesellschaft von Fremden"

Yueyues Unfall ist Auslöser für eine breite Bewegung der Selbstreflexion, die sich im Gegensatz zu anderen Vorfällen nicht gegen die Regierung, sondern gegen die zwischenmenschliche Verrohung richtet. "Wir sind zu einer Gesellschaft von Fremden untereinander geworden", schrieben Blogger.

Auch die "Erziehungsdressur jeder gegen jeden" trage Schuld. Kantons Tageszeitung schrieb: "Wir alle müssen jetzt scharf nachdenken und 'Nein' zu unserer gefühlskalten Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten sagen." (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.10.2011)