Foto: Standard/Matthias Cremer

Die Jahreszeit der grippalen Infekte hat begonnen: Schnupfen, Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen reduzieren derzeit das Wohlbefinden vieler Menschen. Richtig krank fühlen sich viele oft erst, wenn Fieber dazu kommt. Glücklicherweise gibt es aber zahlreiche Medikamente, mit denen sich die erhöhte Körpertemperatur rasch wieder auf ein normales Niveau bringen lässt. Aber wird man auf diese Weise auch schneller gesund?

„Nein, ganz im Gegenteil, denn das Immunsystem arbeitet bei höheren Temperaturen wesentlich effizienter", weiß Helmut G. Hinghofer-Szalkay, Leiter des Instituts für Physiologie an der Medizinischen Universität in Graz. Spürbar ist die abwehrsteigernde Wirkung des Fiebers für die Betroffenen vordergründig allerdings nicht. Im Gegenteil: Fiebern ist anstrengend, denn das Aufheizen des Organismus verbraucht eine Menge Energie. Die Herzfrequenz steigt, die Durchblutung in der Haut erhöht sich und der Organismus gerät kräftig ins Schwitzen. Das alles fühlt sich gar nicht gut an und ist oft Grund genug, um dem Fieber mit Acetylsalicylsäure, Paracetamol oder Ibuprofen zu begegnen.

Eine Reihe von Mutmaßungen

Eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen belegen Hinghofers Behauptung: Fieber steigert die Tätigkeit des Abwehrsystems, indem sie die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe und Hormone forciert, die am Immungeschehen beteiligt sind. Dieser Prozess ist hochkomplex, im Detail noch nicht gänzlich erforscht und Anlass gebend für eine Reihe von Mutmaßungen.
Der Klassiker unter den Halbwahrheiten: Fieber tötet Bakterien und Viren. Die Behauptung ist nicht ganz falsch, jedoch besitzt das Fieber nur eine indirekte Wirkung auf Mikroorganismen, indem es ihre Eliminierung über die Aktivierung des Immunsystems unterstützt. Der Hitze selbst halten die meisten Keime dagegen problemlos stand.

Ab 41 Grad Celsius wird es für den Organismus gefährlich. „Stimmt nicht, denn Fieber ist selbstlimitierend. Das heißt über 41 Grad Celsius geht die Temperatur aufgrund von Gegenregulationsmechanismen nicht hinaus", entkräftet Hinghofer diesen gängigen Mythos. 

Wer fiebert wird schneller gesund. Stimmt und nicht nur das: „Die Gesamtüberlebenschance einer Infektion ist bei Fieber deutlich erhöht", so Hinghofer über die heilsame Wirkung hoher Körpertemperaturen. Schwerkranke Menschen, die nicht fiebern, haben demnach nicht nur einen verlangsamten Heilungsprozess, sondern auch eine deutlich schlechtere Prognose.

Sollwertverstellung im Hypothalamus

Genau diese Tatsache machen sich Experten auch bei der Hyperthermie zunutze. Hier wird der Organismus entgegen der Steuerung des Thermoregulationszentrums im Hypothalamus künstlich erwärmt. Der Sollwert der Körpertemperatur liegt dabei im Normbereich. Das unterscheidet die Hyperthermie pathophysiologisch vom Fieber, das als Folge einer Sollwertverstellung zustande kommt. Bei der Hyperthermie wird dem Körper mehr kalorische Energie zugeführt, als der durch gegenregulatorische Maßnahmen wie dem Schwitzen abgeben kann. Eine Methode, die ihre Anwendung in der Behandlung chronisch-entzündlicher Erkrankungen, Allergien, Hautleiden findet und begleitend in der Therapie von Krebserkrankungen Hilfe verspricht.

Wenn hohe Körpertemperaturen so wirkungsvoll Krankheiten bekämpfen, warum liegt dann die Temperatur des menschlichen Organismus nicht von vornherein bei 39 Grad? „Weil ein Organismus der permanent auf einer höheren Temperatur läuft mehr Sauerstoffradikale produziert, der Stoffwechselbedarf höher und das Herz-Kreislauf-System stärker belastet ist", bietet Hinghofer eine plausible Erklärung an. Optimalerweise liegt die Körperkerntemperatur des Menschen unter normalen Abwehrbedingungen deshalb zwischen 35,8 und 37,2 Grad, wie bei vielen anderen Warmblütern übrigens auch.

Weniger Krankheit, als Heilung

Dringen jedoch Pyrogene, wie Zellwandfragmente von Bakterien, Viren oder Pilzen in den Organismus von Säugetieren oder Vögeln ein, dann wird das Gehirn alarmiert. Im Hypothalamus wird die Solltemperatur nach oben reguliert und die immunologische Kaskade gerät ins Rollen
„Hätte das Fieber keinen Vorteil für den Menschen, dann hätte es sich darwinistisch nie durchgesetzt", ergänzt Hinghofer sein Plädoyer. Ein Vorteil, der weniger Krankheit als vielmehr Heilung repräsentiert und trotzdem gerne medikamentös unterdrückt wird. Der negativen Konsequenzen dieser Behandlung sind sich die Betroffenen dabei nicht bewusst: Chronische oder rezidivierende Infekte werden in vielen Fällen nicht auf das zuvor eingenommene Antipyretikum zurückgeführt. 

Nebenbei sind Hausmittel wie der Wadenwickel keine Alternative zum Antipyretikum, sondern allenfalls eine Ergänzung. Der Entzug von Wärme mit Hilfe feuchter Leinentücher hat zur Folge, dass der Organismus gegenreguliert, die Solltemperatur also noch weiter oben einstellt.
„Ein Wadenwickel macht nur in Kombination mit einem Antipyretikum Sinn, weil dann die Thermoregulation getäuscht wird", weiß der Grazer Physiologe und schließt den Einsatz fiebersenkender Maßnahmen nicht kategorisch aus. Unabhängig von der Höhe des Fiebers, würde er zu einem Antipyretikum greifen, wenn die betroffenen Person unruhig oder apathisch wird, beziehungsweise zu halluzinieren beginnt. (derStandard.at, 27.10.2011)