Sogenannte Sonnensteine dürften den Wikingern bei der Orientierung geholfen haben. Die Calcit-Kristalle ermöglichen es auch noch kurz nach Sonnenuntergang, die Richtung der Sonne zu bestimmen.

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Der endgültige Beweis ist zwar immer noch nicht erbracht. Doch die Hinweise mehren sich, dass sich die Wikinger mit der Hilfe von sogenannten Sonnensteinen orientierten, um damit vom heutigen Norwegen aus über das offene Meer nach Island, Grönland und bis zur Küste Nordamerikas zu segeln.

Archäologisch gesichert ist jedenfalls, dass die starken Männer des Nordens eine Art Sonnenuhr aus Holz verwendeten. Entsprechende Geräte wurden bereits gefunden. Doch diese halbkreisförmigen Scheiben aus Holz helfen natürlich nichts, wenn Nebel oder Wolken die Sonne verdecken. Und das kommt im Europäischen Nordmeer nicht gerade selten vor.

Orientierung ohne Kompass

Doch wie navigierten die Wikinger im Dunkel der Wolken, des Nebels oder kurz nach Sonnenuntergang? Ausgeschlossen wird von den Fachleuten, dass die Wikinger bereits den magnetischen Kompass kannten. Bleibt nur mehr der mysteriöse Sonnenstein, der auch in Rauðúlfs þáttr, einem mittelalterlichen Text aus Island, Erwähnung findet. In der Sage ist die Rede von einem Mineral, mit dem sich auch bei Wolken, Nebel oder sogar Schneefall die exakte Lage der Sonne bestimmen lasse, wenn man es nur entsprechend in die Höhe hält, dreht und dabei die Brechung der Lichtstrahlen verfolgt.

Wissenschafter gehen davon aus, dass es sich dabei wohl um Calcit-Kristalle gehandelt haben muss.

Diese weichen und durchsichtigen Steine spalten Licht, das nicht entlang der optischen Achse des Kristalls einfällt, in zwei Lichtbündel: einen ordentlichen und einen außerordentlichen Strahl. Bei starker Polarisierung des Sonnenlichts - also wenn es durch Nebel oder Wolken oder nach Sonnenuntergang gestreut ist - lässt sich mit Hilfe eines solchen Polarisationsprismas die Position der Sonne bestimmen. Und zwar wird dafür der Kristall, den man wegen seiner besonderen optischen Eigenschaften auch Doppelspat nennt, so lange gedreht, bis eine Position erreicht wird, in der die Intensität beider Lichtbündel identisch ist. In dieser Lage zeigt der Kristall die Richtung der Sonne an.

Dass das im Prinzip funktioniert, haben ungarische Forscher bei einer Fahrt durch das Nordpolarmeer vor vier Jahren zeigen können. Allerdings klappte die Navigation mittels Sonnenstein nur, wenn der Himmel bloß leicht bewölkt war oder die Sonne direkt auf den Nebel traf. Das Problem dieser Studie und der Hypothese ganz allgemein ist, dass bisher noch kein solcher Stein je bei Wikinger-Ausgrabungen gefunden wurde.

Fund in einem Schiffswrack

Doch nun gibt es einen neuen Anhaltspunkt, wie Forscher um Guy Ropars in den Proceedings der Royal Society A schreiben: 1596, also mehr als 200 Jahre vor der ersten wissenschaftlichen Beschreibung der Polarisierung im Jahr 1809, sank im Ärmelkanal vor der Insel Alderney ein Schiff, dessen Wrack man in den vergangenen Jahren gründlich unter die Lupe nahm. Dabei fand man auch einen Doppelspat, der zur Orientierung gedient haben könnte und den das internationale Physikerteam um Ropars auch testen durfte.

Dabei fand die Kristallthese ihre volle Bestätigung: Den Forschern gelang es, mithilfe des gefundenen Calcit-Kristalls die Lage der versteckten Sonne auch bei Nebel oder Wolken mit einer Abweichung von nur einem Bogengrad zu bestimmen. (DER STANDARD, Printausgabe, 02.11.2011)