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Szenen aus dem Film "Einer flog über das Kuckucksnest" ...

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... mit Jack Nicholson von 1975. Seither hat sich im psychiatrischen Bereich viel getan.

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"Vor 200 Jahren wurden alle psychisch Kranken behandelt wie Kriminelle. Viele waren obdachlos, lebten in Käfigen vor den Städten oder als Eremiten in Höhlen", sagt Christian Haring, Leiter der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Landeskrankenhaus Hall.

Seither hat sich viel getan im psychiatrischen Bereich. Therapieverfahren und Behandlungsansätze wurden weiterentwickelt, sowohl im pharmakologischen als auch im psychotherapeutischen und psychosozialen Bereich. Und dennoch hat die Psychiatrie mit einem Image-Problem zu kämpfen. Tödliche Vorfälle wie jener vom Mai dieses Jahres im Linzer Wagner-Jauregg Spital dominieren die Schlagzeilen. Positives schafft es kaum in den öffentlichen Diskurs; gemischte Gefühle bestimmen den Gedanken an die Institution Psychiatrie.

Psychiatrie in den Augen der Öffentlichkeit

Schrittweise entwickelte sich die Psychiatrie davon weg, Verhaltensauffällige in Irrenhäusern zu verwahren, hin zu einer Psychiatrie, wie sie heute bekannt ist. Ziel ist nicht mehr das Wegsperren und Verwahren geistig Kranker wie es teilweise noch in den 1950/60er Jahren der Fall war, sondern ihnen zu helfen. "Bei manchen Therapien, die damals gemacht wurden, weiß man heute nicht: War es Strafe, Folter oder Therapie. Die Psychiatrie war immer ein Fach, wo man das nicht immer genau gewusst hat", so Haring. Die breite Öffentlichkeit weiß das oft heute noch nicht so genau.

Das Bild vom psychisch Kranken, in einer Zwangsjacke gefesselt, spukt immer noch in vielen Köpfen herum. Die Entwicklungen, die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden haben, wurden zu wenig in die Öffentlichkeit transportiert, ist Michael Musalek, Leiter des Wiener Anton-Proksch-Instituts für Suchtkranke, überzeugt: "In der Bevölkerung existiert noch immer ein gewisses Image á la "Einer flog über das Kuckucksnest"- aber man darf nicht vergessen, dieser Film ist aus den 70er Jahren. Seit dieser Zeit hat sich in diesem Fach extrem viel getan."

Auch Werner Schöny, Ärztlicher Leiter der Linzer Landesnervenklinik Wagner-Jauregg fürchtet, dass der Öffentlichkeit ein falsches Bild von der Psychiatrie vermittelt wird. "Menschen generalisieren oft schnell. Wird beispielsweise ein Verbrechen von einem Menschen mit einer psychischen Erkrankung begangen, sind plötzlich alle Personen, die psychisch krank sind, potentielle Kriminelle. Das stimmt einfach nicht."

Meist taucht die Psychiatrie im Zusammenhang mit Negativ-Schlagzeilen auf. Erst im Mai flammte die Diskussion um die Aktualität mancher Therapieansätze wieder auf, als ein 17-jähriges Mädchen im Zuge einer Tiefschlaftherapie im Wagner-Jauregg Spital starb. Die Tiefschlafmethode findet auf einer speziell ausgestatteten Intensivstation statt und soll den Zustand psychisch kranker Menschen in akuten Psychosen mit unmittelbarer Selbst- oder Fremdgefährdung durch das Herbeiführen eines künstlichen Tiefschlafs verbessern. „Es gibt bessere psychopharmakologische Behandlungen, aber diese Behandlungsmethode ist, obwohl sie zurückgedrängt wurde, immer noch nicht völlig obsolet", so Schöny. "Das ist eine 'Ultimo-Ratio-Therapie', das heißt, wenn alle anderen Therapieversuche versagt haben, kommt es zu therapeutischen Versuchen und Anwendungen, die im Normalfall nicht stattfinden und die alle zwei oder drei Jahre einmal stattfinden, erklärt Schöny und betont, dies gebe es in jedem medizinischen Fach. Ebendiese Therapie wurde nach mehreren Suizidversuchen der jungen Patientin in Absprache mit ihrer Mutter angewendet. Das Mädchen verstarb an einem Leberversagen, das möglicherweise auf eine Überdosis eines Narkotikums zurückzuführen ist. Das Verfahren zur Feststellung der genauen Todesursache läuft noch.

Unfreiwillig in der Psychiatrie

In der Regel sind psychiatrische Abteilungen in einen offenen Bereich, den Patienten jederzeit verlassen können und einen geschlossenen Bereich gegliedert. Der geschlossene Bereich wurde in den vergangenen Jahren bereits in vielen Krankenhäusern und psychiatrischen Abteilungen aufgelassen. Selbst Patienten, die sich unfreiwillig in der Psychiatrie befinden, werden daher häufig in offenen Stationen untergebracht. Wie das funktionieren soll? "Man soll die Wirkung einer Anordnung nicht unterschätzen, denn auch wenn Patienten das selbst nicht wollen, ist es trotzdem so, dass sich viele daran halten", erklärt Elke Beermann, Patientenanwältin vom VertretungsNetz. Der Verein vertritt Menschen, die in psychiatrischen Abteilungen zwangsweise untergebracht sind.

Behandlungen dürfen prinzipiell nur mit Zustimmung von Patienten erfolgen, auch wenn diese zwangsweise untergebracht wurden. Eine Ausnahme bilden Patienten, die nicht einsichts- und urteilsfähig sind und keinen gesetzlichen Vertreter wie etwa einen Erziehungsberechtigten oder Sachwalter, haben. Ganz spezielle Therapien, die gesetzlich als "besondere Heilbehandlungen" gelten, müssen bei Ablehnung des Patienten immer gerichtlich genehmigt werden. Darunter fallen Behandlungen, die die körperliche und physische Verfassung des Patienten schwerwiegend beeinflussen, erhebliche Nebenwirkungen aufweisen oder die Persönlichkeit verändern können. Etwa die Elektro-Krampf-Therapie (EKT) - früher: Elekroschock-Therapie.

Therapien und Zwangsmaßnahmen

Bis in die 1970er Jahre waren Schocktherapien gängige Behandlungsmethoden. Einige davon, etwa die Insulinschock- oder die Cardiazol-Kramp-Therapie, werden heute nicht mehr angewendet, andere, wie die EKT, in veränderter Form hingegen schon noch (siehe Interview). Gerade Therapieansätze wie diese sind es jedoch, die bei vielen Menschen Unbehagen auslösen. "Diese Art der Therapie wird nur sehr selten angewandt und ist in der Bevölkerung immer noch sehr umstritten, in der Fachwelt aber gar nicht", erklärt Musalek.

So viel Konsens herrscht unter Medizinern nicht immer. Uneins sind sich Mediziner etwa bei der Art und Weise, wie zu handeln ist, wenn sich Patienten in psychotischen Akutphasen befinden und Zwangsmaßnahmen zur Beruhigung notwendig werden. Ob Isolierräume, Gurtfixierung oder medikamentöse Ruhigstellung - darüber gehen bei Medizinern die Meinungen auseinander und die Wogen oft hoch. Haring: "Wir halten die Verwendung von Netzbetten für unangebracht. Umgekehrt finden die Netzbettenverwender, Gurtfixierungen seien unangebracht. Und wieder andere finden es schrecklich, wenn die Pharmakologie-Befürworter zu schnell und zu viel mit Medikamenten ruhigstellen." Laut dem Verein VertretungsNetz kommt es in mehr als einem Drittel aller Unterbringungen zu intensiven Bewegungsbeschränkungen. Darunter fallen etwa Fixierungsmaßnahmen wie das Festbinden mit Hand-, Fuß-, oder Bauchgurten, das Zurückhalten in einem Raum oder die Verwendung von Netzbetten. Diese weitergehenden Beschränkungen müssen der Patientenanwaltschaft gemeldet werden und Patienten haben das Recht, diese Maßnahmen auf Antrag durch das Gericht überprüfen zu lassen.

"Wir glauben, unter Berufung auf wissenschaftliche Erkenntnisse, dass wir die Zeiten der 'Irrenhäuser' und 'Geisteskranken' hinter uns gelassen haben und die derzeitigen Therpieansätze nur minimal einer Verbesserung bedürfen sind. Aber in Wirklichkeit sind wir immer am momentanen Stand des Irrtums", sagt Haring.

Kombinationstherapien, etwa der so genannte biopsychosoziale Therapieansatz, gelten heute als erfolgversprechendste Behandlungsansätze. Durch einen Mix aus pharmakologischen, psychologischen und vor allem auch sozialen Maßnahmen soll den Patienten das Zurückfinden in ihr Leben erleichtert werden. "Man geht immer mehr weg vom so genannten "Symtomkilling", denn es sollen nicht nur die Symptome reduziert werden, sondern der Mensch soll wieder ein schönes Leben führen können; autonom und möglichst freudvoll", so Musalek.

Präventiv gegen psychische Erkrankungen

Ein wesentlicher Faktor, dem bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist die Prävention psychischer Erkrankungen. Während somatische Prävention in Österreich Gang und Gäbe ist, wird die Psyche immer noch stark vernachlässigt. Erst langsam lässt die Stigmatisierung psychisch Kranker nach und Menschen trauen sich einzugestehen, an Depressionen oder einem Burn-out zu leiden. "Es müssen wesentlich mehr Anstrengungen in die Prävention geschickt werden", ist Schöny überzeugt. Es gehe darum, eine Art Erste-Hilfe in der Psychiatrie zu vermitteln und die Menschen dazu zu bringen, nicht mehr wegzuschauen, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen, sondern zu handeln. Weiters müsse die immer noch vorhandene Angst schwinden, sich psychisch behandeln zu lassen. Schöny: "Erkrankungen in Anfangsstadien lassen sich wesentlich leichter behandeln - egal ob körperlich oder psychisch." (Ursula Schersch, derStandard.at, 11.11.2011)