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Peumokokken sind für einen Großteil der Mittelohrentzündungen veranwortlich. Im Bild: Eine Ohr-Silikonprothese.

Foto: APA/Peter Förster

Die winzigen Bakterien haften an Händen, vorwiegend an kleinen klebrigen und derzeit häufig verschnupften Kinderfingern, aber auch an Türgriffen, Bussitzen, in angehusteten Schals. Das Besondere an ihnen: Diese Schnupfen- und Hustenerreger haben ein gefährliches Potenzial.

Ihren Bekanntheitsgrad gewannen die Pneumokokken als Auslöser von Lungenentzündungen. Sie machen vor allem älteren Menschen zu schaffen, sind aber für etwa 80 Prozent der Lungenentzündungen und Mittelohrentzündungen bei Kindern verantwortlich. "Dramatisch wird so eine Infektionen, wenn es Pneumokokken schaffen, den Blutkreislauf zu erreichen", sagt Walter Zenz, Kinderarzt an der Uniklinik Graz. Dann nämlich droht eine Sepsis: Die Bakterien überschwemmen den Körper und können Infektionen an Organen auslösen - auch am Gehirn. Eine durch Pneumokokken ausgelöste Hirnhautentzündung endet nicht selten tödlich oder hat schwere mentale Schäden zur Folge. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich bis zu zehn Millionen Menschen an Pneumokokken-Infektionen. "Damit führen Pneumokokken die Sterblichkeitsrate unter den Infektionskrankheiten an", so Zenz.

Kostenlose Impfung für Risikogruppen

Gerade bei geschwächten Menschen - vor allem Kindern - könne eine Pneumokokken-Infektion "fulminant verlaufen", warnt Zenz. Fulminant heißt: Tod innerhalb von 48 Stunden. Bereits seit knapp 30 Jahren existiert ein Impfstoff. Im Jahr 2001 kam der erste hinzu, der auch bei Kindern wirkt. Seit 2003 können in Österreich Risikogruppen - dazu gehören Frühgeborene, chronisch Kranke sowie Menschen über 65 - auf Kosten der Krankenkassen geimpft werden, alle anderen müssen den Schutz selbst bezahlen.

Im Bundesgesundheitsministerium plant man jedoch derzeit, alle Kinder kostenfrei gegen Pneumokokken zu schützen. Anlass für diese Überlegungen ist die Einführung zweier neuer Impfstoffe. Mit dem bisher Verfügbaren deckte man lediglich sieben Pneumokokken-Typen ab, die vor allem in den USA wüteten. "Die neuen Impfungen sind an die in Europa verbreiteten Stämme angepasst", so Zenz.

Volkswirtschaftlicher Nutzen

Impfen ist längst keine reine Gesundsheitsangelegenheit mehr. Es ist ein Finanzierungsthema: Impfstoffpreis steht gegen Krankenheitskosten. Laut Nationaler Referenzzentrale führten Pneumokokken 2010 in Österreich bei 325 Menschen zu schweren, meldepflichtigen Krankheiten, an denen 16 Patienten starben. Abseits der menschlichen Tragödie lassen solche Betrachtungen auch Zweifel aufkommen. Die Impfstoffe kosten durchschnittlich 70 Euro pro Dosis. Würde man nur 90 Prozent der rund 78.000 Neugeborenen pro Jahr impfen und ältere Kinder vernachlässigen, müsste das Gesundheitswesen für die empfohlenen vier Impfdosen etwa 20 Millionen Euro aufbringen.

Zahlt sich das aus? Schließlich schützen auch die neuen Impfstoffe lediglich gegen zehn bis 13 der 91 Pneumokokken-Stämme, "die allerdings etwa 70 Prozent der Infektionen abdecken", so Zenz. Zudem soll auch Lungen- und Mittelohrentzündungen Einhalt geboten werden. Doch ein Blick in den Jahresbericht der Nationalen Referenzzentrale für Pneumokokken zeigt, dass etwa die Sterblichkeit trotz Impfung der Risikogruppen in den letzten Jahre zunimmt sowie auch die Zahl der Erreger, die im derzeitigen Impfstoff enthalten sind.

Sigrid Heuberger, Leiterin der Nationalen Referenzzentrale für Pneumokokken, führt beides auf die uneinheitliche Datenlage in Österreich zurück. Doch Studien aus Spanien, Frankreich und den USA kommen zum Schluss, dass die Vakzinen zwar sehr erfolgreich gegen "ihre" Erreger schützen, dafür aber andere der 91 Pneumokokkenstämme ihren Platz einnehmen. Replacement, also Austausch, nennt man das im Fachjargon. Erst im April bestätigte das eine Untersuchung aus Großbritannien, wo seit 2001 Kinder durchgehend gegen Pneumokokken geimpft werden.

"Replacement ist ein natürlicher Vorgang", hält Heuberger entgegen. Wann immer Keime vom Immunsystem bekämpft werden, würden andere deren Platz einnehmen. "Durch die Impfung wird dieser Vorgang nur beschleunigt", fügt sie hinzu. Das sei nicht nur schlecht. So haben in England schwere Pneumokokkeninfektionen abgenommen.

In der Forschung sucht man unterdessen nach neuen Impfstrategien. Philipp Henneke vom Centrum für Chronische Immundefizienz an der Uniklinik Freiburg hält die Ausweitung der Impfstoffe auf immer mehr Pneumokokken-Stämme für ein viel zu umständliches und teures Verfahren.

Er plädiert dafür, neue Vakzinen zu entwickeln, die alle Pneumokokken-Stämme anhand ihrer Zelloberfläche erkennen.

Neue Ansätze

So setzen US-Forscher vom Children Hospital in Boston auf die Stimulierung eines körpereigenen Abwehrmechanismus, der gewöhnlich die Schleimhäute der Atemwege vor der bakteriellen Belagerung schützt - den Pneumokokken aber umgehen können. Im Mausmodell waren sie erfolgreich. Und auch das österreichische Biotech-Unternehmen Intercell arbeitet an diesem Ansatz.

Denn tatsächlich gibt es in immer mehr Ländern triftige Gründe, sich vor Pneumokokken zu schützen: Die Erreger werden zunehmend resistent gegen Antibiotika. Dem Stamm 19A etwa sehen Ärzte in Frankreich und Spanien mit Argwohn entgegen. Gegen ihn hilft mancherorts keines der Mittel mehr. "Noch stehen wir in Österreich gut da, aber resistente Keime setzen sich durch. Dann haben wir ein Problem, vor dem Impfen bewahren kann", so Zenz. (Edda Grabar, DER STANDARD, Printausgabe, 07.11.2011)