Alles was zu teuer ist, muss raus. - Und wie viel Prozent bleiben am Ende noch von der Demokratie?

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Am Beginn unserer Verfassung stehen zwei programmatische Sätze: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Viel mehr Programmatisches wird man in ihr übrigens nicht finden, Österreichs Verfassung liest sich recht dröge, der Rechtspositivist Hans Kelsen hat mit ihr eher eine Gesetzeserzeugungsmaschine geschaffen als einen Katalog von Grundsätzen. Nur das demokratische Prinzip macht hier eine Ausnahme, es ist unmissverständlich, so prominent wie möglich platziert.

Trotzdem drehen sich die politischen Debatten momentan um ein ganz anderes Wort: Sparen. Am besten als Verfassungsprinzip. Und weil "die Politik mit gutem Beispiel vorangehen" soll: spart sie gleich bei sich selbst. Der steirische Landtag soll verkleinert werden, andere Landeshauptleute wünschen sich das von ihren Landtagen auch. Währenddessen tropft Regenwasser bis in den Plenarsaal unseres Parlaments, weil aus Rücksichtnahme auf die allgemeine Stimmung "da draußen" unsere Abgeordneten lieber unter Regenschirmen sitzen als Nullkommanullirgendwas Prozent des Bundesbudgets für die Sanierung des Dachs über ihrem eigenen Kopf freizugeben - wird hier wirklich an der richtigen Stelle gespart?

Natürlich lässt sich trefflich streiten, ob Österreich Bundesländer als Verwaltungseinheiten überhaupt braucht (siehe Kommentar der anderen von Alfred Noll und Nikolaus Dimmel), wenn unser ganzer Staat nicht viel größer ist als das deutsche Bundesland Bayern. Aber wenn und solange wir neun Bundesländer haben, haben alle neun Landtage recht ähnliche Aufgaben (das liegt an der Kompetenzverteilung, die in unserer Verfassung zwar auch eher langweilig, aber dafür recht eindeutig geregelt ist). Diese Aufgaben sollen/müssen demokratisch abgearbeitet werden. Das bedeutet, dass Entwürfe von Landesgesetzen vernünftig aufgesetzt, diskutiert, be- und überarbeitet werden sollen, bevor die Vertreter/innen des Volkes Zustimmung oder Ablehnung kundtun. Ausschlaggebend für den Arbeitsanfall sind dabei Zahl und Umfang der zu beschließenden Regelungen, und nicht etwa die Zahl der von diesen Regelungen Betroffenen (also der Landesbürger). Die Verkleinerung eines Landtags bei ansonsten gleicher Aufgabenstellung bedeutet deshalb: jede/r Abgeordnete muss noch mehr Agenden betreuen als früher und hat deshalb (noch) weniger Zeit, zu begreifen und zu verstehen, worüber er oder sie am Ende abstimmen soll. Abgeordnete in verkleinerten Landtagen wären noch mehr als heute auf Gedeih und Verderb ihren Klubobleuten ausgeliefert, die ihnen bedeuten, wann und wozu sie die Hand heben sollen - aber ist das schon alles, was in einem Parlament geschehen soll?

Verquere Vorstellung

Die Vorstellung, jedes Bundesland sollte die Größe seines Landtags an seiner Bevölkerungszahl ausrichten, entspricht einem etwas verqueren Bild von den Aufgaben eines Landtagsabgeordneten. Wenn es nur darum ginge, dass jeder Bürger die selbe Chance hat, bei einem "da oben" zu intervenieren, wenn Abgeordnete nichts anderes täten als auf Feuerwehrfesten Hände zu schütteln und da zu sein, um es für eine etwa gleiche Anzahl von Bürgern "zu richten", dann bräuchten Burgenland oder Vorarlberg tatsächlich nur ein Dutzend davon. Aber ist das wirklich alles, was wir von unseren Parlamentariern verlangen?

Die reine Zahl der Abgeordneten allein bürgt dabei noch nicht für demokratische Qualität.

Wer einmal gesehen hat, welcher Apparat und welche Infrastruktur jedem einzelnen deutschen Bundestagsabgeordneten zur Verfügung stehen, begreift, was in Österreich fehlt, und wie hierzulande gerade deshalb Gesetze entstehen: nämlich allzu häufig außerhalb des Parlaments. Sie werden in Vorfeldorganisationen wie der Arbeiterkammer, dem ÖGB, den diversen Bünden und Vereinigungen konzipiert, beraten, diskutiert, oder von Beamten bis ins letzte Detail ausgearbeitet, bevor überhaupt der erste "Entwurf" den Weg in die parlamentarischen Gremien findet.

Selbst die 183 Abgeordneten unsere Bundes-Parlaments haben in Wahrheit keine Chance, wirklich zu verstehen, worüber sie im Laufe eines Jahres abstimmen. Ihnen fehlt der Apparat dazu. Mitarbeiter/innen, die recherchieren, zusammenfassen und erklären, Fachleute aus verschiedenen Gebieten, die den einzelnen Volksvertretern oder Klubs verpflichtet sind (und nicht einer Organisation, die spezifische Interessen vertritt), gehören zu einem funktionierenden Parlament. Davon haben wir in Österreich zu wenig, und nicht zu viel.

Wir sehen unseren Politikern verdattert dabei zu, wie sie Entscheidungen über Abermilliarden Euro treffen. Wir kritisieren sie für die vielen Fehler, die dabei gemacht worden sind. Aber wir nehmen ihnen die Mittel, diese Fehler in Zukunft zu vermeiden. Wie sollen denn noch weniger Menschen mit noch weniger Zeit, noch weniger Ressourcen und daher auch noch weniger Information die selben Entscheidungen in Zukunft verantwortungsvoller treffen? Abgeordnete ohne das nötige Wissen als Entscheidungsgrundlage könnten gleich durch Automaten ersetzt werden. Demokratie ohne Information ist bloßer Schein. Eine Demokratie, die es darüber hinaus auch noch zulässt, dass ihr ureigenstes Symbol, das Parlament, baufällig und löchrig wird - und bleibt! - hält aber nicht einmal mehr diesen Schein aufrecht. Sie nimmt sich selbst nicht mehr ernst. Das ist, wie die Geschichte lehrt, eine gefährliche Tendenz. Oder, um es mit Kelsen zu sagen: es hat schon seinen Grund, dass zu Beginn unserer Verfassung die Worte "demokratisch" und "Volk" auftauchen, und nicht "sparsam" und "Rotstift". (Georg Bürstmayr, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.11.2011)