Wien – „Seltene Krankheiten" weisen definitionsgemäß eine Häufigkeit von nicht mehr als fünf Personen auf 10.000 Einwohner auf. Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, sind von den derzeit rund 6.000 verschiedenen, in der Internet-Plattform Orphanet erfassten „rare bzw. orphan diseases" bis heute nur etwa 1.000 behandelbar. „Und nur eine ganz geringe Anzahl ist heilbar", sagt Till Voigtländer vom Klinischen Institut für Neurologie der MedUni Wien und Experte für „rare diseases".

80 Prozent der „rare diseases" haben einen genetischen Ursprung, die restlichen 20 Prozent werden durch Erkrankungen des Immunsystems, durch Infektionen oder auch Vergiftungen ausgelöst. Klinisch sind seltene Erkrankungen häufig durch einen schweren chronischen Verlauf und/oder eine verkürzte Lebenserwartung gekennzeichnet.

"Schmetterlingskinder" und zystische Fibrose

Umso wichtiger ist es, Bewusstsein für diese Art der Erkrankungen zu schaffen, etwa mit dem Österreichischen Kongress für seltene Erkrankungen 2011 an der MedUni Wien am 2. und 3. Dezember, der gemeinsam von Till Voigtländer und Reginald Bittner vom Zentrum für Anatomie und Zellbiologie gestaltet wird. Seltene Erkrankungen, die es vor allem aufgrund der Initiativen von Patienten-Selbsthilfegruppen einigermaßen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit „geschafft" haben, sind z.B. die Erkrankung der „Schmetterlingskinder", die Muskeldystrophie Duchenne (Muskelschwund) oder die Zystische Fibrose sowie auch zahlreiche Krebserkrankungen bei Kindern.

Viele Patienten mit einer seltenen Erkrankung, so Voigtländer, brauchen sehr lange, bis die Diagnose ihrer Erkrankung gestellt wird, unter anderem weil auch viele Mediziner die Krankheiten nicht kennen und die Symptome nicht richtig zu deuten wissen. Es ist auch heute noch davon auszugehen, dass viele PatientInnen noch gar keine Diagnose haben. Experten schätzen, dass rund fünf bis acht Prozent der Bevölkerung, also rund 400.000 Österreciher von einer seltenen Krankheit betroffen sind oder im Laufe Ihres Lebens betroffen sein werden.

Fehlendes Zentrum

Seltene Erkrankungen stellen für die Forschung eine spezielle Herausforderung dar: „Aufgrund der knappen Forschungsmittel, die derzeit für seltene Erkrankungen zur Verfügung stehen, sind Charity-Projekte und Fundraising-Initiativen von Forschungsvereinen zur Erforschung dieser Erkrankungen sowie zur die Etablierung einer gezielteren Diagnostik unbedingt notwendig" sagt Reginald Bittner in seiner Funktion als Vizepräsident des Forschungsvereins „Österreichischen Muskelforschung". „Wesentlich ist, das Bewusstsein in allen Bereichen zu schärfen, und das wollen wir mit unserem Kongress erreichen", so Voigtländer. „Ein wünschenswertes Ziel wäre ein Zentrum für seltene Krankheiten an der MedUni Wien, in dem fächerübergreifend für die Patienten gesorgt und geforscht wird. In Deutschland gibt es schon mehrere dieser Zentren."

Bis Ende 2013 soll es jedenfalls auf Initiative und Empfehlung der EU einen nationalen Aktionsplan für seltene Erkrankungen in jedem europäischen Mitgliedsland geben. In diesem Zusammenhang kooperiert die MedUni eng mit der nationalen Koordinationsstelle für seltene Erkrankungen, die seit Jänner 2011 bei der Gesundheit Österreich GmbH eingerichtet wurde und die u.a. als Informationsdrehscheibe für Mediziner, Wissenschafter, Betroffene und Angehörige fungiert. (red)