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Archetypus des behinderten Genies: Körperlich extrem eingeschränkt, geht Stephen Hawking den allergrößten Fragen nach.

Foto: REUTERS/Sheryl Nadler

Am 8. Jänner wird der moderne Mythos siebzig Jahre alt.

"Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe es aber auch nicht eilig", ließ Stephen Hawking vor einigen Monaten in einem Interview mit der britischen Tageszeitung The Guardian verlauten. Das bezog sich wohl nicht nur auf die Zukunft, sondern auch auf die bisherige Lebensgeschichte des wohl bekanntesten lebenden Wissenschafters.

Vor fast 50 Jahren unterzog sich Hawking nämlich einer ärztlichen Untersuchung, bei der sich herausstellte, dass er an Amyothrophischer Lateralsklerose (ALS) litt, einer unheilbaren Krankheit, welche die Nerven für die willkürliche Muskeltätigkeit unaufhaltsam zerstört. Die Ärzte gaben ihm nur noch zweieinhalb Jahre.

Ominöses Geburtsdatum

Erst wenige Monate zuvor war Hawking nach Cambridge gekommen, um Physik und Mathematik zu studieren. Lange deutete nur wenig darauf hin, welche Karriere auf den hochbegabten, aber etwas müßiggängerischen jungen Mann wartete. Allenthalben ließ sein Geburtsdatum Großes erwarten: Am 8. Jänner 1942, an dem laut Hawking noch rund 200.000 andere Erdenbürger zur Welt kamen, jährte sich der Todestag eines gewissen Galileo Galilei zum dreihundertsten Mal.

Konfrontiert mit der Hiobsbotschaft ALS glaubte der junge Student zunächst nicht daran, sein Studium abschließen zu können. Erst seine Verlobung habe ihm Hoffnung gegeben: Die habe nämlich bedeutet, "dass ich mir eine Stellung suchen musste, wenn wir heiraten wollten". Hawking beendete sein Studium, begann eigenständig zu forschen. Für seinen spektakulären theoretischen Beweis, dass schwarze Löcher Strahlung aussenden, wurden ihm mit nur 32 Jahren die Ehre zuteil, zum Fellow der altehrwürdigen Royal Society ernannt zu werden.

Weitere fünf Jahre später wurde der Astrophysiker, der inzwischen bereits auf fremde Hilfe angewiesen war, zum Inhaber des Lucasischen Lehrstuhls für Mathematik an der Universität Cambridge ernannt. Einige Jahrhunderte früher hat Isaac Newton diese Stelle bekleidet.

Zum modernen Mythos, zum bekanntesten lebenden Wissenschafter und Rollstuhlfahrer wurde Hawking allerdings erst durch ein kleines Buch mit knapp 200 Seiten, das am 1. April 1988 erschien. A Brief History of Time , eine Einführung in die moderne Kosmologie, brach alle bis dahin bestehenden Gesetze der Populärwissenschaft. Der schmale Band stand mehr als viereinhalb Jahre auf der Bestsellerliste der Sunday Times, inzwischen ist das Buch in viele Dutzend Sprachen übersetzt und hat eine Gesamtauflage von weit mehr als zehn Millionen.

Faszinierender Gegensatz

"Wahrscheinlich hat meine Behinderung zum Verkaufserfolg des Buches beigetragen", gab sich Hawking realistisch: "Wenn dem so ist, finde ich das bedauerlich." Dass er den Archetypus eines behinderten Genies verkörpert, damit hat sich Hawking aber abgefunden: "Die Menschen sind fasziniert von dem Gegensatz zwischen meinen extrem eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten und den gewaltigen Ausmaßen des Universums, mit dem ich mich beschäftige", sagte er dazu im Guardian-Interview. Oder besser: sein Computer.

Aufgrund eines Luftröhrenschnitts kann Hawking seit 1985 nämlich nicht mehr sprechen. Seinen Sprachcomputer steuerte er zunächst mit seinem rechten Wangenmuskel, mittlerweile nützt er die Bewegung seiner Pupillen dazu. Trotz dieser erheblichen Behinderungen reiste Hawking in die Antarktis, unternahm einen Parabelflug, um das Gefühl der Schwerelosigkeit zu erleben, trat in einer Folge von Raumschiff Enterprise auf und wirkte in der Zeichentrickserie Die Simpsons mit – was mit dazu beitrug, dass er zum Popstar der Wissenschaft wurde.

Hawkings innerwissenschaftliches Ansehen hat darunter jedoch nicht gelitten. So meinte Physik-Nobelpreisträger George Smoot erst kürzlich im Standard-Interview, dass er Hawking auf seiner Kandidatenliste für den Preis ganz oben stehen habe. Das Problem sei nur, dass bis jetzt nur eine seiner spektakulären Vorhersagen annähernd bestätigt werden konnte – und dass das Nobel-Komitee etwas konservativ sei.

Mit einem Leben nach dem Tod rechnet Hawking nicht, der explizit ausschloss, dass es einen Gott für die Erschaffung des Universums brauche. Vor dem Tod habe er trotzdem keine Angst. "Ich sehe das Gehirn als einen Computer an, der aufhört zu arbeiten, wenn seine Einzelteile nicht mehr funktionieren. Es gibt kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer. Das ist ein Märchen für Leute, die Angst im Dunkeln haben." (red/DER STANDARD, Printausgabe, 04.01.2012)

=> Die bekanntesten Werke und ausgewählte Zitate von und über Stephen Hawking

Die bekanntesten Werke des Astrophysikers

  • "Eine kurze Geschichte der Zeit" (1988): In dem Bestseller beschäftigt sich Hawking mit dem Ursprung des Universums und der Rolle der Zeit. Dabei erläutert er auch viele Phänomene wie den Urknall und die Schwarzen Löcher. Am Fortsetzungsband "Die kürzeste Geschichte der Zeit" (2005) wirkte Hawkings US-Kollege Leonard Mlodinow mit.
  • "Das Universum in der Nussschale" (2001): Hawking befasst sich mit verschiedenen Theorien, die die Kräfte der Physik erklären. Der Text und viele Illustrationen zeigen, wie man sich das Weltall und seine Bausteine vorzustellen hat.
  • "On the Shoulders of Giants" (2003): In einem Streifzug durch die Geschichte zeigt der Autor, wie Geistesgrößen von Nikolaus Kopernikus über Galileo Galilei bis Albert Einstein unsere Wahrnehmung der Welt seit Jahrhunderten geprägt und verändert haben.
  • "Der geheime Schlüssel zum Universum" (2007): Das zusammen mit seiner Tochter Lucy verfasste Buch richtet sich an Kinder ab zehn Jahren. Es führt sie auf eine abenteuerliche Reise durch das All zu fernen Planeten.
  • "Die unglaubliche Reise ins Universum" (2009): Im Fortsetzungsband der Hawkings zum "Geheimen Schlüssel" geht es erneut um eine packende Raumfahrt, um Außerirdische und eine spannende Schatzsuche. Viele Bilder machen das Buch anschaulich.
  • "Der Große Entwurf" (2010): Hawking und sein Kollege Mlodinow sind der Ansicht, dass Gott bei der Entstehung der Welt nicht beteiligt war. Sie habe sich nach den Gesetzen der Physik selbst erschaffen.

Ausgewählte Zitate von Hawking ...

  • "Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe es aber auch nicht eilig". (Hawking im Mai 2011 in einem Interview mit der britischen Zeitung "The Guardian")
  • "Weil es die Gesetze der Schwerkraft gibt, hat sich das Universum aus dem Nichts selbst geschaffen". (Hawking in seinem Buch "Der große Entwurf", September 2010)
  • "Man kann nicht beweisen, dass Gott nicht existiert (...). Aber die Wissenschaft macht Gott überflüssig". (Hawking im September 2010 in einem Interview mit dem US-Fernsehsender ABC)
  • "Europa sollte nicht dem reaktionären Beispiel von (US-Präsident George W.) Bush folgen". (Hawking im Juli 2006 in der britischen Zeitung "The Independent" wegen Bushs ablehnender Haltung zur Stammzellenforschung)
  • "Einstein lag falsch, als er sagte 'Gott würfelt nicht'. (...). Er hat die Würfel manchmal nur dorthin geworfen, wo wir sie nicht sehen". (Hawking 1994 in der Universität Cambridge bei einer Debatte über "Schwarze Löcher")
  • "Ich bin der Ansicht, dass wir alle, nicht nur die theoretischen Physiker, gern wissen wollen, woher wir kommen". Und: "Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott". (Hawking im Oktober 1988 in einem Interview mit dem "Spiegel")
  • "Wenn wir eine komplette Theorie haben, können wir die Gedanken Gottes verstehen." (Hawking in seinem Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit", April 1988)

... und über Hawking bzw. seine Theorien

  • "Die Wissenschaft kann uns nicht hinreichend erklären, woher wir kommen und wohin wir gehen und welchen Sinn unsere Existenz hat". (Papst Benedikt XVI. im September 2010 zu Hawkings Thesen)
  • "Seine Arbeiten in der theoretischen Physik will ich hier nicht näher erklären". (US-Präsident Barack Obama selbstironisch im August 2009 in Washington bei der Verleihung der Freiheitsmedaille an Hawking)
  • "Wir, seine Familie, waren die Niedrigsten der Niedrigen." Und: "Sein Ruhm trug ihn aus dem Orbit unserer Familie." (Hawkings geschiedene Frau Jane 1999 und 2004 über ihre gescheiterte Ehe)