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Positiv oder negativ? Friedrich der Große bleibt für seine Biografen eine kontroversielle, interpretationsbedürftige Figur.

Foto: APA/dpa/Bachmann

"Ein Augenblick der Lust ist für den, der genießt, so viel wert wie / Ein Jahrhundert der Ehre, dessen schöner Schein trügt." Diese Verse Friedrichs sind doppelzüngig. Denn einerseits suchte er den Genuss, nicht unbedingt in der Liebe, sondern in feingewürzten Speisen, dem feurigen Ungarwein und Kaffee, andererseits war er seit Jugend von Ehre und Ruhm geradezu besessen. Das machen eigentlich alle Biografien deutlich, die zum 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen erscheinen.

Den Beinamen "der Große" für den Preußenkönig lancierte als Erster übrigens Voltaire, der über zwei Jahre an Friedrichs Hof weilte. Dann zerstritten sie sich, es ging wie so oft um Geld und Ruhm. Doch der über 42 Jahre währende Briefwechsel zwischen dem Geisteskönig der Aufklärung und dem Monarchen des aufgeklärten Absolutismus gehört zu den wichtigen Dokumenten der europäischen Geschichte: Abgeklärte Ironie, nonchalante Einschätzungen des Weltgeschehens und Alltägliches treffen sich hier zum literarischen Rendezvous. Der Schriftsteller Hans Pleschinski hat die einzigartige Korrespondenz in Auswahl herausgegeben und übersetzt.

Friedrich II. von Preußen hat viel geschrieben: politische, philosophische Traktate, Oden, Stanzen, Sonette und einiges mehr. Auch das macht einen Teil seines Ruhms aus: Er war eben mehr als Realpolitiker, wollte als literarischer und philosophischer Feingeist wahrgenommen werden. Politisch handelte dann Friedrich nichtsdestotrotz als Fürst mit absolutistischer Härte. Wie auch immer. Wer sich für den schreibenden Monarchen interessiert, hat jetzt Bücher zur Auswahl, die durchaus erschwinglich sind.

Friedrich der Große lautet der schlichte Titel der Biografie, die der Journalist und Historiker Tillmann Bendikowski verfasst hat. Und sie ist mit Sicherheit die kritischste unter den Neuerscheinungen. Für Bendikowski ist der Preußenkönig eine widersprüchliche Figur: Er war ohne Zweifel von der Epoche der Aufklärung getragen, schaffte die Folter ab, zugleich zögerte er nicht, als "Hasardeur" Schlachten zu führen, in denen tausende Soldaten ihr Leben ließen. Seine militärischen Erfolge machen für den Autor auch den Mythos des Preußenkönigs aus.

So haben sich Wilhelm II., Adolf Hitler, eigenartigerweise auch die DDR unter Honecker auf Friedrich und preußische Tugenden berufen. Immer wenn es um Treue, Gehorsam und Vaterland geht, tritt der "Alte Fritz" auf den Plan. - Am drastischsten fällt Bendikowskis Urteil durch die Vereinnahmung des NS-Regimes aus: "Keine andere Gestalt der deutschen Geschichte wurde in populären Medien und in der nationalsozialistischen Propaganda auch nur annähernd so oft behandelt wie dieser Preußenkönig. Denn mit ihm hatte das Regime das gesamte 'preußische Beispiel' in der Hand, um den eigenen Machtanspruch historisch abzusichern."

Von "gloire", von der Sucht nach Ruhm und Ehre, gezeichnet sieht der Historiker Jürgen Luh den Preußenkönig. In Der Große. Friedrich II. von Preußen meint aber diese "gloire" nicht nur den militärischen Bereich, sondern auch Philosophie, Kunst und Verwaltung des Staates. Aber genau diese "Ruhmsucht" und dieser "Eigensinn", so die Überschriften von zwei der vier großangelegten Kapitel in Luhs Buch, machten aus Friedrich einen Menschen, der sich weit von den meisten Monarchen seiner Zeit abhob. Luh verschweigt nicht, dass Friedrich keinerlei Argumente in der Hand hielt, als er ins habsburgische Schlesien einmarschierte und damit einen langjährigen militärischen Konflikt von europäischer Dimension in Gang brachte.

Nur, Luh sagt auch eines: Absolutistische Herrscher brauchten damals keinerlei Rechtfertigung für ihre Expansionswünsche. Wollte Friedrich aber nicht doch ein Herrscher der Aufklärung sein? Philosophisch ja, militärisch nein, müsste die Antwort ausfallen. Allerdings zeigt sich auch im Bereich des Geistes Friedrichs Eigensinn: Er war frankophil bis in die letzte Gehirnwindung und betrachtete das Deutsche als eine Art Sammelsurium für militärische Befehle und administrative Anweisungen. Luhs Urteil fällt dementsprechend aus: "Die Entwicklung der Sprache und Literatur im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation lief völlig an Friedrich vorbei."

Ein weitaus milderes Bild zeichnet der Journalist Johannes Unger in seiner Biografie Friedrich. Ein deutscher König. Unger sieht den Preußenkönig seit seiner Jugend in die Weltpolitik verstrickt: das kleine, junge Königtum zwischen den Großmächten Frankreich, England, Österreich, Russland. In diesem Sinn gelang es Friedrich durch die Eroberung Schlesiens, sich als Heerführer und Fürst von europäischem Format zu etablieren.

Wie auch andere Biografen hält Unger eines fest: Friedrich kämpfte mit seinen Truppen, führte sie in oft lebensgefährlichen Situationen an. Mehr noch als sein Vater Friedrich Wilhelm I. war Friedrich ein "Soldatenkönig", der stetig an der Effizienz seiner Truppen arbeitete. Die großen Armeen im österreichischen, russischen oder französischem Lager wurden nicht von Herrschern, sondern von Heerführern geleitet, die im strategischen Zusammenspiel oft uneins waren und schwerfällig agierten. Auch das macht den Mythos, aber ebenso den Erfolg von Friedrich aus. Und es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass in diesem Punkt Napoleon Bonaparte sich als Heerführer in der Tradition des Preußenkönigs sah.

Ein durchaus positives Friedrich-Bild zeichnet Norbert Leithold. Die schön gestaltete "Andere Bibliothek"-Publikation trägt den Titel Friedrich II. von Preußen. Ein kulturgeschichtliches und bebildertes Panorama von A bis Z. Alphabetisch geordnet erfährt man Amüsantes zu Friedrichs "Feldbett" oder seinem sprichwörtlichen "Geiz", Interessantes zu seiner ausgeklügelten "Geheimdiplomatie", zum "Hofstaat" oder zum Lebensweg von allen "Geschwistern" Friedrichs - immerhin drei Brüder und sechs Schwestern. Insgesamt fällt Leitholds Friedrich-Bild dann doch etwas unkritisch positiv aus und befördert den Mythos des Preußenkönigs. Was bei Leithold noch angehen mag, wird bei Tom Goellers Biografie Der Alte Fritz. Mensch. Monarch, Mythos zum Problem.

Der Autor verstrickt sich in historische Widersprüche, um Friedrichs politische Taten zu rechtfertigen und damit zu heroisieren. Ein Beispiel: Als die junge Maria Theresia den Thron bestieg, waren die anderen europäischen Großmächte daran interessiert, die Macht der Habsburger zu beschneiden, sich ihren Teil vom Kuchen zu sichern. Goeller schreibt: "Hätte Friedrich jemals Österreich zerschlagen wollen, damals war die Stunde günstig, kämpfte doch die junge Erzherzogin gegen halb Europa ums Überleben." Das ist stark übertrieben, denn den Großmächten ging es prinzipiell um den Erhalt ei- nes Machtgleichgewichts. Dieses Gleichgewicht störte schon eher Friedrich, indem er Preußen als neuen machtvollen Mitspieler in Europa etablierte. Und doch kann Goeller manchmal mit schönen historischen Geschichten auftrumpfen. Wie man weiß, war Friedrich nicht besonders der Religion zugetan. Gegen den Breslauer Bischof Philipp Ludwig von Sinzendorf soll er einmal gewettert haben, indem er ironisch auf den Heiligen Geist Bezug nahm. Sinzendorfs Antwort ist von genialer Komik: "Das große Einvernehmen zwischen dem Heiligen Geist und Eurer Majestät ist eine große Neuigkeit für mich; ich wusste nicht einmal, dass die Bekanntschaft gemacht war."

Bei all diesen vielschichtigen Biografien sollte doch nun alles zum Leben Friedrich des Großen "aufgeklärt" sein. Das stimmt allerdings nicht. Erstens merkt man beim Lesen erstaunt, dass dieselben historischen Dokumente ganz verschieden - also pro und contra - interpretiert werden können. Zur Beurteilung von Friedrichs Verhältnis zu seiner Gemahlin Elisabeth Christine und den Frauen an sich dienen oft die gleichen Textzeugnisse dazu, um ein positives oder negatives Bild zu zeichnen. Und so bleibt zweitens auch ein anderes Detail ein Rätsel: War Friedrich schwul? Das ist für die Beurteilung seiner Regentschaft nebensächlich, für seinen anscheinend anhaltenden Mythos aber schon weniger.

Die einen Historiker sagen Ja, die andren Nein - und jede Menge Argumente und Zeitzeugnisse werden herbeigeschafft. Und genau das ist beschämend. Ja, es ist unglaublich, dass zu Friedrichs 300. Geburtstag - also im Jahr 2012 - Homosexualität noch immer so viel Platz eingeräumt wird, um die Größe des Preußenkönigs entweder zu demontieren oder sie - in der Negation seiner (abartigen?) Sexualität - zu zementieren! Manche Biografen hüsteln auch ein wenig und geben zu bedenken: Vielleicht hatte sich der große König eine Geschlechtskrankheit zugezogen und lebte deshalb so seltsam abgeschieden? Eine abschließende Antwort gibt der Historiker Wolfgang Burgdorf in seinem biografischen Porträt Friedrich der Große. Sie ist dem trockenem Witz des Preußenkönigs ebenbürtig: "Als Held konnte er weder impotent noch schwul sein, aber er konnte eine 'galante' Krankheit haben, und die zog er sich dann nach seinem Tod zu." (Andreas Puff-Trojan/DER STANDARD, Printausgabe, 14./15. 1. 2012)