Stuntman zwischen den Fronten: Ryan Gosling mit einem Widersacher im Thriller "Drive".

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Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn. 

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Wien - Schnell, professionell und wortkarg zu sein gehört für den Driver, den namenlosen Protagonisten aus Drive, nicht nur zum Geschäft, sondern es ist so etwas wie eine Lebensmaxime. Der vom Hollywood-Jungstar Ryan Gosling verkörperte Mann mit der weißen Lederjacke, auf deren Rückseite eine Skorpion prangt, ist ein gefragter Stuntfahrer in Hollywood; abseits seines Tagesjobs übernimmt er auch Fahrdienste bei Raubüberfällen. Wie souverän er hinter dem Steuer agiert, beweist er gleich zu Beginn des Films einmal, als es zu einer Verfolgungsjagd mit der Polizei durch Los Angeles kommt.

Mit Drive gibt der unter anderem für seine Drogenthriller-Trilogie Pusher und das psychedelische Wikinger-Drama Valhalla Rising bekannte dänische Regisseur Nicolas Winding Refn sein US-Debüt und wurde dafür prompt in Cannes 2011 als bester Regisseur ausgezeichnet. Tatsächlich gelang ihm mit seiner Adaption eines lakonischen Neo-Noir-Krimis von James Sallis ein stilistisch beeindruckender Genrefilm, der einen archetypischen Stoff in neue Kontexte und Oberflächen überführt.

In Farbgebung und modischen Anreizen sowie nicht zuletzt mit dem Synthie-Pop-Score die 1980er-Jahre zitierend, geht Winding Refn mit Sallis' elliptisch erzählter Geschichte rund um einem missglückten Coup und die daraufhin einsetzende Gewaltserie recht frei um. "Sallis' Buch handelt von der Mythologie des Kinos", führt der Regisseur im Standard-Interview aus. "Aber es ist schwer, dies als Film umzusetzen, da es sehr sprunghaft erzählt wird. Ich wollte nur die Welt des Drivers übernehmen und das Buch in ein Märchen über L. A. und Hollywood verwandeln - ich wollte zu elementaren Mitteln des Geschichtenerzählens zurück."

Erstaunlicherweise lag das ursprünglich von Hossein Amini verfasste Drehbuch, das als aufwändig produziertes Action-Spektakel umgesetzt werden sollte, jahrelang in der Schublade. Als Ryan Gosling mit seinem dänischen Wunschregisseur antanzte, begann sich das Projekt immer mehr zu verwandeln. Winding Refn ließ alle biografischen Details des Drivers beiseite und verwandelte ihn zur mythischen Ritterfigur - die explosiven Gewaltausbrüche und Verfolgungsjagden, eigentlich das Um und Auf des Genres, sind prägnant gesetzt, nehmen jedoch verhältnismäßig wenig Raum ein.

"Alle Charaktere sind Archetypen", sagt Winding Refn. "Es geht eigentlich um die Reinheit der Liebe, um den Ritter, die Jungfrau, den bösen König - ich habe meine eigene Variation eines Superhelden-Films gedreht." Anders als der Walter-Hill-Thriller von 1978, Driver, in dem Ryan O'Neal einen ähnlichen Part wie Ryan Gosling mit existenzialistischem Stoizismus versieht - Vorbild war dafür wiederum Jean-Pierre Melville -, wendet sich Drive stärker dem Spiel mit Projektionen und Fantasien zu. Der Fahrer schwärmt für seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan), die Szene zwischen den beiden inszeniert Winding Refn in einem emotionalen Schwebezustand, bei dem offen bleibt, wie viel davon sich nur in der Einbildung vollzieht.

"Das Gute an Genrefilmen ist, dass sie eigentlich immer wie Märchen funktionieren", meint der 42-jährige Filmemacher zu seinen Vorlieben: "Es kann auf einer Ebene viele Bedeutungen haben, auf der anderen ist es Eskapismus. John Ford hat nur Genrefilme gemacht, Fritz Lang auch, Sirks Melodramen sind grenzüberschreitende Fantasien." Trotz der Regelhaftigkeit von Genres, versteht sich Winding Refn jedoch als intuitiver Regisseur, einmal hat er sich gar als Fetisch-Filmemacher bezeichnet:

"Ich gehe Filme nicht so formal an, sondern betrachte meine Arbeit eher wie Pornografie - es kommt darauf an, was mich erregt." Er treffe zwar künstlerische Entscheidungen, aber diese seien schwer zu erklären: "Manchmal weiß ich es selbst nicht so genau. Es fühlt sich richtig an. Da ich nur chronologisch drehe, habe ich oft das Gefühl, nicht zu wissen, wohin es geht - das macht mich high. Ähnlich wie beim Sex."

Dass es in Drive dennoch um ein überlegtes Spiel mit Filmbildern geht, das gegen Vorstellungen und Erwartungen gerichtet ist, zeigt schon die Wahl von Albert Brooks, einem meist komischen Schauspieler, als Gangster und Gegenspieler: "Bernie Rose ist auch kein gewöhnlicher Gangster", sagt Winding Refn. "Er ist ein Gangster, der Filmproduzent war, und seine Filme waren wiederum voller Gangster. Er repräsentiert diese Produzententypen Ende der 70er, die zum Kino wechselten und ihre Träume realisieren wollten - nicht unbedingt mit Erfolg."

Winding Refn bezieht sich mit solchen selbstreflexiven Ideen bestimmt auch auf seine eigene Position als Neuling in Amerika. Sein unironischer, kraftvoller Umgang mit dem US-Kino und dessen Mythen macht einen nicht unbeträchtlichen Teil des Vergnügens von Drive aus. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe 25.1.2012)