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Die wöchentliche Selbsthilfegruppe für Menschen, die am Messie-Syndrom leiden, ist eröffnet. Als sich die Journalistin vorstellt und ihr Vorhaben erläutert, meint ein Herr: "Ah ja, schon wieder einmal wer, der uns als die Dreckschweine der Nation hinstellt."

Ganz einfach Chaos oder doch individuelle Ordnung? Eine Teilnehmerin der Selbsthifegruppe: "Ordentlich wohnen, ordentlich ausschauen, das sind Dinge, die uns von außen aufgezwungen werden." Ein Teilnehmer: "Stimmt, ich habe alles gefunden, solange mir niemand anderer seine Ordnung aufgezwungen hat."

Foto: Privat

"Vielleicht geht es darum, dass man sich zugesteht, anders zu sein als die anderen?" "Aber wenn's mich so stört?" Elisabeth Vykoukal: "Wenn es einen zu sehr stört, dann ist man oft böse auf sich selbst, und jedes Nichtgelingen wird zum  Versagen."

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Ein großer Raum im zweiten Stock der Sigmund Freud Privatuniversität in einem Hochhaus in Wien-Erdberg an einem Dienstagabend im Jänner. In der Mitte ein Kreis aus Sesseln, rundherum ein paar weitere Sessel und eine Couch. Um 18.30 Uhr betreten die Psychotherapeutin und Gruppen-Psychoanalytikerin Elisabeth Vykoukal und drei ihrer Studenten den Raum, der zu diesem Zeitpunkt von acht Betroffenen belegt ist; sechs Frauen und zwei Männer. Nach und nach tröpfeln weitere Teilnehmer herein, am Ende sind es etwa 14.

Die wöchentliche Selbsthilfegruppe für Menschen, die am Messie-Syndrom leiden, ist eröffnet. Als sich die Journalistin vorstellt und ihr Vorhaben erläutert, ist sie mit offenen, aber auch misstrauischen Blicken konfrontiert. Seitens eines Herrn heißt es: "Ah ja, schon wieder einmal wer, der uns als die Dreckschweine der Nation hinstellt."

Die Sammelwut und die Wut auf sich selbst

Zwei Studenten moderieren die Selbsthilfegruppe im Rahmen ihres Praktikums, eine Studentin beobachtet das Geschehen und teilt der Gruppe ihre Eindrücke und ihr Erleben mit. Die Beobachtung hilft Emotionen oder Spannungen, die es in der Gruppe gibt festzustellen, auch wenn diese nicht verbal mitgeteilt werden.

Die Teilnehmer duzen sich untereinander. Einer der Studenten begrüßt einen Neueinsteiger: "Wollen Sie uns erzählen, was Sie hierher führt?" - "Ich möchte lieber später etwas dazu sagen", hält sich der Mann zurück. "Dann frage ich nur kurz: Wie sind Sie auf uns gekommen?" - "Meine Kinder haben den Impuls gegeben, aber ich stehe selbst auch sehr unter Leidensdruck. Als die Kinder ausgezogen sind, ist bei mir die Sammelwut ausgebrochen." Vykoukal: "Sie sprechen von Sammel-Wut?" - "Ich bin wütend über mich selbst. Ich kann alles brauchen und alles interessiert mich. Es belastet mich ungemein, dass ich mir so viel aufhalse. Die anderen haben zu Hause alles picobello ..."

Eine Dame: "Picobello haben die anderen auch nicht alles, aber wir wurschteln die ganze Zeit herum, während die anderen Ordnung machen." Vykoukal: "Wissen Sie, wie Ihre eigene Ordnung aussehen soll?" Dame: "Ich hatte früher einmal ein Bild von Ordnung, als ich noch nicht so viele Dinge gehabt habe. Es war auch alles einfacher, als meine vier Kinder noch zuhause gewohnt haben. Da musste alles einigermaßen seine Ordnung haben." Herr: "Ich habe einen ordentlichen Teil in der Wohnung, den ich her zeige. In die restlichen Zimmer kann ich niemanden reinlassen. Ich selbst würde übrigens auch nie ungepflegt aus dem Haus gehen."

Ordentlich wohnen, ordentlich ausschauen

Eine Dame: "Ordentlich wohnen, ordentlich ausschauen, das sind Dinge, die uns von außen aufgezwungen werden." Herr: "Stimmt, ich bin immer gut gefahren mit meinen vollen Kästen. Ich habe alles gefunden, solange mir niemand anderer seine Ordnung aufgezwungen hat." Dame: "Aber wenn ich Dinge kaufe, die ich schon doppelt und dreifach habe, dann macht das keinen Sinn. Ich fühle mich schlecht, weil ich zu viel horte und keine Ordnung mehr schaffen kann. Das kommt auch davon, dass ich nicht Nein sagen kann. Wenn jemand Hilfe braucht, lasse ich alles stehen und liegen. Zuerst habe ich vier Kinder großgezogen, dann ehrenamtlich Kranke betreut, jetzt pflege ich meine Eltern. Wenn ich aus dem Haus komme, kaufe ich ein, und ich kann mich von nichts trennen."

Nicht zu streng zu sich selbst sein

Der neue Teilnehmer: "Kann man so etwas heilen?" Vykoukal: "Ich glaube nicht, dass man das heilen kann und ein anderer Mensch wird, aber ich glaube, man kann lernen, damit zu leben." Eine Dame: "Vielleicht geht es darum, dass man sich zugesteht, anders zu sein als die anderen?" Herr: "Aber wenn's mich so stört?" Vykoukal: "Wenn es einen zu sehr stört, dann ist man oft böse auf sich selbst, und jedes Nichtgelingen wird zum Versagen. Das hält uns davon ab, es immer wieder und wieder zu versuchen. Wir sollten nicht zu streng mit uns selbst sein."

Die Dinge, die einem über den Kopf wachsen

Eine Dame: "Ich arbeite schon lange an mir selbst und frage mich: Woher kommt mein Sammelwahn? Meine Kinder haben das nicht übernommen." Vykoukal: "Die Geschichte ist bei jedem eine andere, aber natürlich spielen frühe Erfahrungen eine Rolle." Dame: "Aber irgendwann kann man sich nicht mehr auf seine schlimme Kindheit rausreden." Vykoukal: "Sie können daran auch nichts mehr ändern, sondern im Hier und Jetzt arbeiten." "Das tue ich ja, aber warum ändert sich nichts?"

Vykoukal: "Es geht Ihnen, soviel ich heraushöre, darum, Ihre eigene Ordnungsstruktur festzulegen, und das kann sehr schwer sein. Ich beobachte bei vielen Messies, dass sie die Dinge, die sie haben, nicht anschauen können, weil sie ihnen über den Kopf wachsen." Dame: "Ja, ich habe so viele Dinge, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll ..." Eine andere Dame: "Hin und wieder gibt es bei mir eine Großräumaktion, aber ich mache nicht immer Ordnung, sondern sperre oft nur die Sachen in einen anderen Raum weg."

Die eigene und die fremde Ordnung

Ein Herr: "Wenn ich jemanden fragen kann: 'Bitte, hilf mir, das zu suchen', dann bringt mir das schon viel." Vykoukal: "Aber ist das schon meine eigene Ordnung, oder zwingt mir jemand anderer die seine auf?" Herr: "Wenn man die Arbeit verliert und einen der Partner verlässt, kann am Anfang die Freiheit und Erleichterung riesengroß sein, weil der ganze Druck und vermeintliche Zwänge wegfallen. Vermeintliche Zwänge, denn sobald der Schlendrian einkehrt, ufert alles aus."

Elisabeth Vykoukal fragt die Frau mit den erwachsenen Kindern: "Kann es sein, dass Ihnen die kleinen Kinder fehlen, die versorgt werden müssen?" - "Sie fehlen mir nicht direkt, aber mit ihrem Erwachsenwerden ist die Struktur von außen weggefallen." Vykoukal: "Vielleicht haben Sie mit der Erziehung Ihrer Kinder, mit der ehrenamtlichen Tätigkeit im Krankenhaus und mit der Pflege Ihrer Eltern die für Sie notwendige Struktur so extrem leben müssen, dass Sie immer nur für die anderen da waren und keine eigene Ordnung entwickeln konnten?"

Was stört?

Ein Herr: "Manchmal wären Bestandsaufnahmen wichtig. Zu schauen, wo sind meine Wünsche und wo stehe ich selbst." Ein anderer Herr: "Meine Mutter steht tagtäglich bei mir vor der Tür und fragt: Was kann ich dir wegwerfen? Damit setzt sie mich extrem unter Druck."

Der neue Teilnehmer: "Hast du auch so eine gewaltige Sammlung von Dingen in deiner Wohnung?" Der Herr: "Deshalb bin ich ja hier!" Dame: "Und du willst diese Dinge loswerden?" Der neue Teilnehmer: "Bedingt." Herr: "Bedingt? Da kannst du dich also nicht festlegen..."

Vykoukal: "Die große Frage ist: Was stört uns eigentlich?" Dame: "Mich stören die vielen Zeitschriften, die sich bei mir auftürmen." Herr: "Zeitschriften. Da habe ich kein Problem damit. Das beinhaltet doch schon der Name 'Zeit-Schriften', dass sie nach einem Monat nicht mehr aktuell sind und man sie wegwerfen kann." Ein anderer Herr: "Das sehe ich anders. Als mein Sohn erwachsen war, hat er mich gefragt, ob ich die Zeitschrift über Tschernobyl noch habe, als er ein Jahr alt war."

Der erste Herr: "Eine einfache Frage: Was bringen dir die Zeitschriften? Denk einmal nach, vielleicht hilft dir die Antwort ja." Vykoukal: "Ihnen hilft sie vielleicht auch? Sie fragen selbst so viel ..." - "Ja, mir vielleicht auch." Der andere Herr: "Meine Zeitschriften haben mir zu einem Allgemeinwissen verholfen, das mir im Endeffekt überhaupt nichts gebracht hat."

Zu viel haben wollen, zu viel wissen wollen

Dame: "Vielleicht wollen wir zu viel wissen? Oder wollen überhaupt immer zu viel?" Herr: "Es gibt zwei grundsätzliche Lebensweisen: Man sammelt Informationen im Voraus, oder man holt sie sich, wenn man sie braucht ..." Anderer Herr: "Stopp. Du beschreibst zwei Extreme. Es gibt aber auch Mittelwege." Der erste Herr: "Im Grunde brauchst du nur noch einen Laptop, um die Informationen zu bekommen. Alles andere - von Lebensmitteln bis Klopapier - bekommst du heute sowieso überall und zu jeder Zeit."

Dame: "Aber hebst du nicht auch jedes schöne Geschenkpapier auf? Wenn du es wegwirfst, musst du kurze Zeit später neues kaufen." Herr: "Gegenfrage: Verpackst du jemals was damit, oder legst du das Papier in eine Schachtel ganz hinten im Regal?" Dame: "Ich verpacke dauernd was damit."

Einer der Herren: "Ich komme hier nie zu Wort." Er wird laut: "Ich werde ständig unterbrochen!" Dame: "Wieso sind Sie so aggressiv?" Der Herr (aufgebracht): "Weil ich hier immer gezwungen werde, etwas zu sagen, und wenn ich es dann sage, werde ich unterbrochen." Vykoukal: "Niemand zwingt Sie ..." Dame: "Nein, das halte ich jetzt nicht aus ..." (läuft aus dem Zimmer).

Der Herr: "So, jetzt reicht es. Ich gehe auch." Die anderen mischen sich ein, versuchen, ihn zum Bleiben zu bewegen: "Beruhige dich bitte. Immer, wenn du in eine Zwickmühle kommst, wirst du laut." Währenddessen versucht Vykoukal die Dame vor der Tür vom Bleiben zu überzeugen. Nach wenigen Minuten kehren die beiden in den Raum zurück und klären den Vorfall unter der Beteiligung aller.

"Man findet sich in den anderen wieder"

Eineinhalb Stunden sind vergangen. In den letzten 15 Minuten sind die Teilnehmer aufgerufen, ein persönliches Thema zu diesem Abend zu formulieren. "Man findet sich in den anderen wieder." - "Für mich geht es um den Druck und Zwang, der von außen kommt." - "Es ist wie beim Alkoholismus. Wenn man damit umgehen kann, ist man ein trockener Alkoholiker." - "Ich will mein Helfersyndrom loswerden, die Dinge loswerden und Nein sagen lernen. Loslassen." - "Ich will meine eigene Ordnung finden, aber meine Erwartungen sind immer höher als das, was ich schaffe. Daran arbeite ich." - "Ich habe mir vorgenommen: Wenn ich aus dem Haus gehe, nehme ich jedes Mal etwas mit. Ich muss versuchen, mehr raus- und weniger reinzubringen."

Der moderierende Student fragt: "Haben Sie eine Idee, wie man diese vielen Dinge zusammenbringen könnte?" - "Den eigenen Weg finden", lautet das Credo. Den Abend beschließt die Studentin, die beobachtet hat, mit ihrer Wahrnehmung: "Ein Wunsch kann so stark werden, dass man sich selbst damit begrenzt." (Eva Tinsobin, derStandard.at)