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Grün steht für Apfel, Gelb für Zitrone, Rot für Beeren: Was wir erwarten, schmecken wir auch. Selbst wenn etwas anderes drin ist.

Foto: David Hecker/dapd

Drei Stamperln stehen auf dem Tisch, eines mit einer tiefroten Flüssigkeit gefüllt, eines mit einer schwarzen und eines mit einer farblosen. Zuerst wird der rote Becher verkostet. Süß schmeckt der Inhalt und fruchtig. Vielleicht Erdbeere? Oder Grapefruit? Die schwarze Flüssigkeit hat einen leicht herben Beigeschmack. Ist es Pflaume oder Traube?

"Alles falsch", sagt Rachel Edwards-Stuart, "Sie sind auf einen einfachen Trick hereingefallen und haben sich von der Farbe täuschen lassen." Der rote Saft ist gefärbtes Orangenkonzentrat, der schwarze besteht aus Cranberry und dunkler Lebensmittelfarbe. Die nächste Überraschung folgt mit der farblosen Flüssigkeit: Sie überrumpelt die Geschmacksnerven förmlich mit einer Note, die nach rohem Fleisch und Suppe ohne Würze schmeckt. Einfach eklig. "Das ist reines Monona- triumglutamat in Wasser", klärt Edwards-Stuart auf. Der umstrittene Geschmacksverstärker gehört der fünften Geschmacksrichtung "umami" an - und entfaltet seine schmackhafte Wirkung nur in Kombination mit einem entsprechend würzigen Geruch.

Rachel Edwards-Stuart führt ihre Versuchspersonen gern an der Nase herum. Die britische Biochemikerin beschäftigt sich mit der Frage, wie unsere Geschmackswahrnehmung zustande kommt. Denn diese beschränkt sich nicht einfach nur auf die molekulare Zusammensetzung der Aromastoffe. Wie etwas schmeckt, hängt in einem nicht unbeträchtlichen Maß davon ab, welche Farbe es hat, wie es klingt und riecht, welche Konsistenz es hat, welche Erwartungen wir haben und nicht zuletzt davon, in welcher Situation wir es zu uns nehmen.

Ihre eigenen Geschmacksnerven hat Edwards-Stuart eingehend geschult. Nach ihrem Studium in Cambridge tauschte sie das Labor mit der Küche und ließ sich in Paris zur Köchin ausbilden. Der Starkoch Heston Blumenthal finanzierte sodann ihre Dissertation an der Universität Nottingham. In seiner Molekular-Gastro-Schmiede The Fat Duck kreierte sie mit biochemischen Experimenten so manches neue Geschmackserlebnis.

Aroma aus dem Labor

Bei einer Tagung zum EU-Schwerpunkt Bio-Economy (siehe Wissen) in Brüssel führte sie kürzlich vor, welche Rolle sämtliche Sinne spielen, wenn wir essen oder trinken. So schmecken bunte Drops bei zugehaltener Nase nur süß, erst beim Einatmen können die empfindlichen Aromarezeptoren in der Nase Signale zur Geschmacksidentifizierung an das Gehirn senden.

Längst werden Gaumenfreuden nicht nur in der Küche, sondern in Laboratorien erschaffen - die nicht selten von der Lebensmittelindustrie gesponsert werden. Der Beruf des Flavoristen, der neue Aromen aus unzähligen natürlichen wie synthetischen Bestandteilen zusammenwürfelt, ist immer gefragter. Auch wenn Aromamolekülen mit Massenspektrometern nachgespürt wird und Textur- und Geräuschanalyse sowie Gehirnscans möglichst viele Vorgänge bei der Nahrungsaufnahme aufzeichnen - "die Nase kann Aromen immer noch viel besser identifizieren als jede Maschine", sagt Rachel Edwards-Stuart.

Daher setzt die Geschmacksforschung neben Technologie nach wie vor auf geschulte Testpersonen. Dabei kann das Ergebnis, wie eine bestimmte Probe beurteilt wird, erheblich variieren: Einerseits weil die persönliche Verfassung, also etwa Müdigkeit, Hungergefühl oder die Zyklusphase bei Frauen, die Geschmacksempfindung beeinflusst, andererseits weil äußere Umstände auf unsere Sinne einwirken.

Charles Spence, Neurowissenschafter an der Universität Oxford, hat sich auf akustische Einflüsse auf den Gusto spezialisiert. 2008 erhielt er für seine Erkenntnis, dass Chips frischer schmecken, je lauter und höher das Knack-Geräusch ist, den Ig-Nobelpreis für abseitige Forschungsarbeiten. In einer soeben in Food Quality and Preferences veröffentlichten Studie versuchte Spencer den Einfluss der musikalischen Untermalung zu messen. Er verköstigte seine Versuchspersonen mit Cinder Toffees, einer britischen Traditionssüßware, während sie dabei Musik hörten. Bestand der Soundtrack eher aus tiefen Noten, die mit bitterem Geschmack assoziiert werden, bewerteten die Probanden die Nascherei bitterer, als wenn "süße", helle Musik erklang.

Derlei Erkenntnisse sind nicht nur im Marketing nützlich. Sie könnten auch dazu beitragen, ältere Menschen wieder auf den Geschmack zu bringen. Denn im Alter sinkt die Zahl der Geschmacks-zellen auf der Zunge und im Mundraum. Durch die richtige Musik und das optimale Ambiente könnte die Wahrnehmung verstärkt werden, so die Hoffnung.

Welche Mechanismen dazu beitragen, wie etwas schmeckt, untersucht der Lebensmittelsensoriker und Ernährungspsychologe Klaus Dürrschmid von der Wiener Universität für Bodenkultur - und zwar möglichst alltagsnah. So untersuchten er und seine Kollegen, was eine emotional besetzte Information über ein Produkt bewirkt.

Emotionaler Effekt

So wurden Probanden zwei verschiedene Apfelsäfte vorgesetzt. Ohne besondere Information dazu konnten nur wenige einen Unterschied erkennen. Als ihnen jedoch gesagt wurde, dass der eine vom einem steirischen Bioerzeuger stammt und der andere von einem ukrainischen Billigproduzenten, war der Effekt "dramatisch", wir Dürrschmid sagt: "Es wurde weitaus häufiger ein Unterschied wahrgenommen."

Über die Gründe dafür sind sich die Wissenschafter nicht einig: Einerseits soll die emotionale Erregung grundsätzlich zu einer besseren sensorischen Wahrnehmung führen, andererseits könnte die Emotionalisierung einfach die Motivation steigern, einen Unterschied zu finden.

Neben Befragung setzten die Boku-Forscher auch auf Beobachtung: Mit Eye-Tracking-Analysen wird festgestellt, wohin es den Blick bei der Betrachtung von Lebensmitteln zieht und wie lange er an bestimmten Punkten verweilt. Frauen erkannten etwa bei einer Abfolge von Bildern einer Wurst, die immer mehr vergammelte, viel früher, dass sie nicht mehr frisch ist. "Während Frauen schon auf den braunen Rand blickten, schauten die Männer noch auf das Gurkerl in der Mitte", schildert Dürrschmid. "Woran das liegt, wissen wir noch nicht."

Was schmeckt und was nicht, lesen die Forscher auch mithilfe einer Software, die den emotionalen Ausdruck identifiziert, direkt am Gesicht ab. Zudem gibt die Messung der Pupillen weite Aufschluss darüber, wie begehrenswert eine Kostprobe erscheint. Sicher ist: Geschmack ist eine höchst emotionale Angelegenheit. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. Februar 2012)