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Das Leben von Matthias Lehner* dreht sich um das runde Leder - schließlich widmet er seit mehr als 20 Jahren seine Freizeit dem Fußball. Derzeit läuft und kämpft er für einen österreichischen Drittligisten, was so viel bedeutet wie zwei- bis dreimal Training pro Woche und regelmäßige Spieleinsätze an den Wochenenden. Prellungen, Zerrungen und Hämatome zählen damit unweigerlich zu seinem sportlichen Alltag. "Wenn dir etwas wehtut, schluckst du einfach ein paar Diclofenac. Das ist ganz normal", erzählt der leidgeprüfte Amateurkicker.

Der Grund dafür ist einfach: Anscheinend hilft es - nicht zuletzt verspricht das nichtsteroidale Antirheumatikum (NSAR) sowohl schnelle Schmerzlinderung als auch eine entzündungshemmende Wirkung und scheint damit prädestiniert für die Anwendung im Sportbereich. "Diclofenac nimmt jeder Fußballer", ist Matthias Lehner überzeugt. "Mittlerweile ist der Konkurrenzdruck auch unter den Amateuren so groß, dass du es dir nicht leisten kannst, länger zu pausieren." Die präventive Einnahme derartiger Präparate hält er allerdings für eine Ausnahme. Christoph Kiblböck vom Österreichischen Institut für Sportmedizin (ÖISM) meint dazu: "Die Datenlage ist noch sehr dünn, und bis auf ein paar Einzelstudien gibt es noch kaum konkrete Zahlen."

Marathonläufer und Triathleten

Anhaltspunkte gibt es dennoch. So untersuchten der deutsche Schmerztherapeut Michael Küster und der Pharmakologe Kay Brune im Jahr 2010, wie viele Läufer beim Bonner Marathon am Tag des Wettkampfs zu Schmerzmitteln griffen. Das Ergebnis überraschte selbst die Studienleiter, denn von insgesamt 3.500 Befragten gaben knapp 60 Prozent an, Präparate wie Ibuprofen, Diclofenac oder Paracetamol eingenommen zu haben. Über bereits vorhandene Leiden klagten allerdings nur die wenigsten Läufer - die große Mehrheit begründete den prophylaktischen Tablettenkonsum mit der Hoffnung, während des Marathons keine Schmerzen zu bekommen oder nach dem Lauf auftretende Muskel- oder Gelenksbeschwerden verringern zu können. Einen ähnlichen Befund zeigte die Befragung von Triathleten, von denen sich rund die Hälfte zum "Schmerzmittel-Doping" vor dem Wettkampf bekannten.

Hohe Gesundheitsrisiken

Welche Konsequenzen die Einnahme von Antirheumatika auf die Gesundheit hat, ist bislang noch nicht ausreichend geklärt. "Wir wissen, dass es zu Nebenwirkungen wie Schädigung der Schleimhaut oder verminderter Durchblutung der Nieren kommen kann. Wie hoch der Prozentsatz derjenigen ist, bei denen es dann tatsächlich zu diesen Beschwerden kommt, können wir aber nicht sagen", erläutert Christoph Kiblböck. Der ÖISM-Sportmediziner gibt jedoch zu bedenken, dass sehr wohl Einzelfälle von akutem Nierenversagen und Blutverlust über den Darm dokumentiert sind. Von einem monokausalen Zusammenhang auszugehen wäre allerdings zu simpel. "In aller Regel dürfte hier ein 'multifaktorielles Geschehen' vorliegen, bei dem verschiedene Mechanismen wie Minderdurchblutung und Dehydrierung zusammenspielen und zu akutem Nierenversagen führen können", lautet die Fachmeinung von Kiblböck. 

Auch Matthias Lehner berichtet von negativen Erfahrungen: "Vor ein paar Jahren trank ich bei Hallenturnieren vor dem Spiel regelmäßig eine Dose Red Bull mit zwei Diclofenac, da ich den Eindruck hatte, ich könne so meine Konzentration und Belastbarkeit steigern. Irgendwie spürte ich aber mit der Zeit, dass das aufs Herz geht - deshalb habe ich damit wieder aufgehört."

Kein gewünschter Effekt

Der Wunsch vieler Sportler, im Wettkampf schmerzfrei zu bleiben, erfüllt sich durch die Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika nicht. Michael Küster und Kay Brune stellten fest, dass jene Läufer, die Schmerzmittel eingenommen hatten, keineswegs signifikant häufiger die gesamte Distanz durchhalten konnten und auch nicht seltener über Beschwerden nach dem Wettkampf klagten. Im Gegenteil: Negative Begleiterscheinungen wie Kreislaufversagen, Erbrechen oder Blut im Urin traten zwei- bis sechsmal häufiger auf als bei jenen Teilnehmern, die auf derartige Präparate verzichteten.

Außerdem wirken sich Schmerzmittel bereits beim Muskelaufbau nachteilig aus. "Ein Trainingsreiz hat das Ziel, dass sich der Muskel-, Knochen- und Sehnenapparat anpasst und leistungsfähiger wird. Unter Einnahme der NSAR konnte allerdings nachgewiesen werden, dass ein negativer Einfluss auf diese Anpassungsleistung besteht", so Kiblböck. Seiner Meinung nach ziehen Sportler aus der präventiven Einnahme keinerlei Gewinn. "Im besten Fall ist sie ohne Nutzen, im schlimmsten Fall hat man mit schweren Nebenwirkungen zu kämpfen", lautet das Resümee des Sportmediziners. Auch Matthias Lehner verzichtet derzeit auf Schmerzmittel. "Das hängt damit zusammen, dass ich momentan nicht im Einsatz bin. Sobald ich wieder spiele, wird das aber wieder dazugehören." (Günther Brandstetter, derStandard.at, 14.5.2012)

* Name von der Redaktion geändert