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Waldrappe überwintern in der Toskana: Um dorthin zu gelangen, waren sie anfangs auf menschliche Hilfe angewiesen. Mit einem Ultraleicht-Fluggerät wurde ihnen der Weg gezeigt.

Foto: APA/WALDRAPPTEAM/JOHANNES FRITZ

STANDARD: Sie arbeiten seit zehn Jahren intensiv an der Wiederansiedlung des Waldrapps in unseren Breiten. Was macht diesen Vogel so besonders?

Fritz: Ich bin an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau zum ersten Mal mit Waldrappen in Kontakt gekommen und bemerkte dort, dass die Tiere zwar frei leben können, aber dass ihnen die Information über Wanderrouten fehlt. Diesem Problem wollte ich mich dann widmen. Aber selbstverständlich bin ich auch von der komplexen Sozialstruktur dieser Vogelart und vom typischen Aussehen fasziniert. Es ist ein Vogel von herber Schönheit.

STANDARD: Sie und Ihr Team haben bereits achtmal handaufgezogene Waldrappe mittels Ultraleicht-Fluggeräten vom Alpenvorland aus zu einem Überwinterungsgebiet in der Toskana, dem WWF-Reservat Laguna di Orbetello, geführt. Wie entstand diese Idee?

Fritz: Wir waren inspiriert von dem Film Amy und die Wildgänse. Darin wird gezeigt, wie Gänse mit einem solchen Fluggerät geführt werden. Wir wollten dann probieren, ob das auch mit Waldrappen klappt. Eine anfänglich verrückt erscheinende Idee, aber Waldrappe sind wie Gänse soziale Tiere, deshalb musste es funktionieren. Was die Auswahl des Winterquartiers betrifft: Wir waren zunächst gefordert, Gebiete zu finden, die potenziell geeignet sind. An der Laguna di Orbetello gehen die Waldrappe nicht auf dieselben Flächen wie zum Beispiel der Brachvogel, sondern sie suchen ihr Futter auf den landwirtschaftlich genutzten Weiden in den Pufferzonen des Schutzgebiets. Da finden sie im Boden genug Nahrung. Und im Winter ist das Gebiet weitgehend frostfrei.

STANDARD: Was sind die größten bisherigen Erfolge des Wiederansiedlungsprojekts?

Fritz: Der für mich persönlich größte Erfolg war die Rückkehr des ersten selbstständig migrierenden Waldrapps vom Überwinterungsgebiet zum Brutplatz bei Burghausen in Oberbayern. Das war am 28. Juli 2011. Die Ankunft von "Goja", so heißt das Tier, zehn Jahre nach Projektbeginn hat gezeigt, dass unser Ansatz funktioniert und dass es eine zweite Chance für freilebende Waldrappe in Europa geben kann.

STANDARD: Welche Probleme müssen vorher noch gelöst werden?

Fritz: Wir stehen am Ende einer Machbarkeitsstudie und wissen nun eben, dass unsere Methoden funktionieren und dass es geeignete Lebensräume für diese Tiere gibt. Jetzt wollen wir im Rahmen eines EU-Projekts, das wir derzeit beantragen, drei Brutkolonien nördlich der Alpen gründen. Die größte Herausforderung in nächster Zeit ist aber, die Verluste von Vögeln durch illegale Abschüsse in Italien zu reduzieren. Alleine im vergangenen Jahr sind dem 15 Waldrappe zum Opfer gefallen.

STANDARD: Das Projekt eröffnet wohl auch einige besonders interessante wissenschaftliche Perspektiven. Können Sie diese etwas genauer beschreiben?

Fritz: Die menschengeführte Migration bietet in der Tat einzigartige Rahmenbedingungen für Untersuchungen zum Zugverhalten der Vögel. Das ist die zweite Säule unserer Arbeit. Ein Forschungsprojekt hat sich der Frage gewidmet, wie solche Vögel derart lange Strecken, bis zu 360 Kilometer am Stück, fliegen können. Dabei hat sich gezeigt, dass die Waldrappe, wenn sie mehr als eine Stunde in der Luft sind, ihren Energieverbrauch um annähernd 50 Prozent reduzieren, indem sie vom anfänglich verwendeten Energieträger Kohlenhydrate auf einen sehr effizienten Fettstoffwechsel umschalten. Eine weitere Studie beschäftigt sich momentan mit der Frage, warum viele Zugvögel während der Wanderung in Formation fliegen. Dazu gibt es bisher verschiedene Erklärungsmodelle, aber bislang kaum empirische Daten.

STANDARD: Zeigen Waldrappe sonst noch verhaltensbiologische Besonderheiten?

Fritz: Die von Hand aufgezogenen Tiere haben eine lebenslang andauernde Sozialbeziehung zu ihren menschlichen Zieheltern. Das ist mir in dieser Ausprägung bislang von keiner anderen Vogelart bekannt, und es ist für unser Projekt natürlich sehr hilfreich.

STANDARD: Wie hoch schätzen Sie die Chancen für den Wiederaufbau einer stabilen wildlebenden Waldrapp-Population im Alpenraum ein?

Fritz: In diesem Frühjahr sind bereits acht Waldrappe selbstständig in ihr Brutgebiet zurückgekehrt, zwei davon haben auch schon Bruterfolg. Die Möglichkeiten für eine erfolgreiche Wiederansiedlung sind also gegeben. Voraussetzungen sind natürlich die zukünftig erforderlichen behördlichen Genehmigungen und eine gesicherte Finanzierung. Als größtes Hindernis sehe ich die illegalen Abschüsse, aber ich bin zuversichtlich, dass, aufgrund der hohen Sympathie, die der Waldrapp inzwischen in Europa genießt, auch in Italien ein Umdenken erreicht werden kann. Davon könnten dann auch andere Zugvögelarten profitieren. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 6./7.6.2012)