Wiens Stadtrat Michael Ludwig (links) sieht den Föderalismus in der Raumordnung als Schwachpunkt bei der Nachhaltigkeit. Johann Singer, Bürgermeister aus Oberösterreich, meint, dass jedes Land eigene Lösungen brauche.

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Wie Nachhaltigkeit in einer Millionenstadt und kleinen Gemeinden gelebt werden kann, darüber diskutierte Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) mit dem Wohnbausprecher der ÖVP, Johann Singer. Gerfried Sperl moderierte.

STANDARD: Herr Stadtrat, was bedeutet Nachhaltigkeit aus Sicht des Wiener Wohnbaus?

Ludwig: Es gibt große Anforderungen an den Wohnbau, und sie sind ständig im Steigen. Vor zehn oder 20 Jahren wäre eine Diskussion über Nachhaltigkeit ganz anders abgelaufen. Man kann an das Thema aus ganz verschiedenen Bereichen herangehen, und genau das versuchen wir in der Wiener Wohnbaupolitik. Vom Klimaschutz bis zur sozialen Dimension versuchen wir den Wohnbau laufend zu adaptieren. Dabei steht man vor der Herausforderung, dass die neuen Anforderungen an den Wohnbau auch von den Mietern und Eigentümern finanziell abgebildet werden müssen. Das Thema Leistbarkeit ist im geförderten Wohnbau ganz entscheidend.

Singer: Allerdings sind nicht nur die Genossenschaften wichtig, sondern auch der private und gewerbliche Wohnbau. Da ist die Leistbarkeit genauso wichtig. Aber Leistbarkeit ist auch eine Frage des Wertes, genauso wie die Nachhaltigkeit. Sie müsste eine Selbstverständlichkeit in unserer Generationengesellschaft sein. Das Wort ist gerade deshalb wieder so modern geworden, weil wir diese Selbstverständlichkeit verloren haben. Wir müssen beim Nachhaltigkeitsgedanken schon viel früher ansetzen und auch die Jüngeren dafür gewinnen. Und das gelingt am besten, wenn man Kinder schon im Kindergarten motivieren kann. Das ist uns im Bereich des Umweltschutzes und der Mülltrennung sehr gut gelungen. Deshalb müssen wir in die Kindergärten gehen und dort die Kinder dafür gewinnen.

STANDARD: Und was ist in Wien die wichtigste Maßnahme?

Ludwig: Wir haben in Wien seit einigen Jahren Bauträgerwettbewerbe, und zu den drei Kategorien, ökologisch, ökonomisch und planerisch, kam zuletzt die soziale Nachhaltigkeit dazu. Das betrifft die Alltagstauglichkeit, die Ausstattung von Gemeinschaftseinrichtungen und die Fähigkeit von Wohnbauten, auf geänderte Bedürfnisse eingehen zu können. Wir stehen hier in Wien in einer Tradition, die auf die Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit zurückgeht. Damals stand die Wohnbaupolitik vor einem riesigen Problem. Heute werden die Gründerzeitbauten gerne verklärt. Aber die Wohnsituation in Wien war in der Monarchie so schlecht wie in keiner anderen Stadt. Wir wissen das genau, weil die Stadt Wien mit großem Aufwand viele Gründerzeitbauten saniert hat, Wohnungen zusammengelegt und modernisiert hat. Und gerade bei den Gemeinschaftsräumen hat sich seither viel weiterentwickelt. Weil viele über die heutige Architektur klagen: Es stimmt, alles ist in diesem Bereich noch nicht gelöst, aber die Situation ist heute ganz anders als etwa in den Gründerzeithäusern der Monarchie.

Singer: Es ist sehr erfreulich, dass die thermische Sanierung überall im Land sehr weit getragen wurde, dass man das Thema nicht nur mit dem Rechenstift ansieht, sondern es als Wert an sich betrachtet, auf erneuerbare Energie umzustellen. In den Köpfen der Menschen ist das entsprechend drin, wir sind auf einem guten Weg. Kritisch sehen ich allerdings die Frage von Grund und Boden. Viele junge Menschen sind bestrebt, großen Wohnraum mit entsprechend großem Grund dabei zum Leben zu haben. In Bezug auf Nachhaltigkeit und Bewusstseinsbildung sind wir hier noch gefordert, da gibt es Verbesserungsbedarf.

Ludwig: Das Problem mit Grundflächen ist in der Stadt noch akuter. Es hat auch wenig Sinn, Einfamilienhäuser mit Fotovoltaikanlagen auszustatten, wenn man gleichzeitig beim Raum so gewaltige Ressourcen verschwendet und die Versiegelung von Flächen vorantreibt. Wir müssen schon vorher bei der Raumplanung gemeindeübergreifend ansetzen und die Raumordnung im Sinne der Nachhaltigkeit neu überdenken. Wir haben da in Österreich eine föderale Struktur bei der Raumordnung, und ich kenne kein anderes Land, wo Raumordnung nach föderalen Kriterien betrieben wird. Wir müssen hier viel mehr über die eigenen Stadt- und Ländergrenzen hinausdenken.

Singer: Der föderale Gedanke hat auch in der Raumordnung seinen Platz. Ein Thema etwa, das uns in Oberösterreich viel beschäftigt, ist der Vierkanter, der viele Gemeindebilder stark prägt. Für diese Siedlungsform brauchen wir spezifische Antworten. Sie stellt eine besondere Herausforderung an die Raumordnung dar, die man im städtischen Bereich nicht kennt.

Ludwig: Das mag stimmen, aber wo man Siedlungspolitik betreibt und wo man Grünraum belässt, das sollte man gemeinsam im Auge behalten. Es steht außer Zweifel, dass Bürgermeister unter anderem sozialen Druck bei Baubewilligungen stehen als andere. Das ist verständlich: Die Menschen wollen mehr Wohnraum, die Bevölkerung wächst. Aber da muss man sich fragen, ob man wirklich große Gebiete um die Städte zersiedeln will oder eher urbane Siedlungsformen stärkt und dabei den Grünraum erhält.

STANDARD: Herr Bürgermeister, wie geht Ihre Gemeinde Schiedlberg mit dem Thema Zuwanderung um?

Singer: Zuwanderung konzentriert sich auf ganz bestimmte Gemeinden und Orte, andere sind kaum betroffen. Dabei entsteht das Problem der schleichenden Ghettobildung: Zuwanderer kaufen sich in einer Gasse ein, und dann wird ein Haus nach dem anderen von Zuwanderern gekauft und bewohnt. Aber selbstkritisch muss ich sagen, dass wir in unserer Gemeinde, die mit Zuwanderern wenig zu tun hat, dass Thema offensiver angehen müssten und Zuwanderern mehr Wohnraum anbieten sollten. Denn kleine Gemeinden wie unsere können Migranten besser integrieren als größere.

Ludwig: Für Wien sind die Herausforderungen noch viel größer. Da kommt es uns allerdings entgegen, dass wir einen sehr hohen Anteil sozialen und geförderten Wohnbaus haben. Dadurch können wir im gesamten Stadtgebiet eine soziale Durchmischung betreiben. Wenn sich die Wohnbaupolitik offensiv solchen Fragen stellt, kann man gute Lösungen finden. Das setzt allerdings voraus, dass man nicht nur in der Hardware, also den Wohnbauten, sondern auch der sozialen Organisation innovative Wege geht. (DER STANDARD, 6./7.6.2012)