Die amerikanische Krebsgesellschaft hat Gutes zu vermelden: Werden bösartigen Geschwülste in der Brust rechtzeitig erkannt, steht die Chance gut, den Brustkrebs die nächsten Jahre ziemlich gut zu überleben. Die Überlebensrate nach fünf Jahren liegt bei 99 Prozent. Das ist der Zeitraum, den Mediziner veranschlagen, um einen Krebs für besiegt zu halten. Im Anschluss an diese Statistik folgt eine schlechte Nachricht: Jene Frauen und Männer, bei denen sich der Krebs bereits weiter im Körper ausgebreitet hat, haben schlechte Prognosen. Wer bereits Metastasen in sich trägt, dessen Chance minimieren sich auf 23 Prozent, die nächsten fünf Jahre zu überleben.

Diese Tatsache hat eine Frau aufgerüttelt: Patricia Steeg, Leiterin der Women's Cancer Section am amerikanischen Krebsforschungszentrum, ist davon überzeugt, dass man dies ändern könnte, würden Krebsmedikamente anders getestet. "Die meisten Medikamente gegen Brustkrebs stoppen das Wachstum des ersten Tumors", schreibt sie im Fachmagazin Nature. Doch da sei eben mehr im Krebs als nur Wachstum. Medikamente sollten auch daraufhin geprüft werden, wie sie die Ausbreitung der Karzinome verhindern.

Denn gerade für Brustkrebs gilt: Metastasen sind anders als der ursprüngliche Tumor. Sie gehen aus Zellen hervor, die sich aus dem eigentlichen Tumor lösen und über die Blut- oder Lymphbahnen zu anderen Geweben wandern. Wo sie sich niederlassen, hängt von ihren sogenannten Oberflächenmerkmalen ab. Sie entscheiden, wo sie eine Nische finden, um sich weiterzuteilen. Und sie können sich vom einstigen Mutterkarzinom durchaus unterscheiden.

Unterschiedliche Targets

"Metastasen haben andere Mutationen, andere genetische Profile und eine andere Umgebung", sagt Steeg. Es sei also äußerst schwierig, mit einer Therapie sowohl Primärtumor als auch die Metastasen zu bekämpfen.

Dabei liegen mögliche Wirkstoffe längst in den Schubladen der Forscher und Pharmaindustrie. Signalmoleküle, die verhindern, dass sich Krebszellen wieder anheften können. Das Problem: All diese Kandidaten würden in klinischen Studien versagen. Denn sie erfüllen ein wichtiges Kriterium eben nicht. Sie lassen bestehende Tumoren nicht schrumpfen.

Ein neuer Aufbau klinischer Studien sei daher dringend notwendig, ist Steeg überzeugt. Dieser müsste als Prüfkriterium auch den Schutz vor Metastasierung aufnehmen.

Derzeit werden neue Medikamente in drei Phasen getestet. In der ersten Phase werden Wirkung und Nebenwirkung des Mittels geprüft, in der zweiten wird seine Effektivität eruiert, und in der dritten schließlich wird an einer großen Patientengruppe getestet, ob der Nutzen überzeugend ist. Steeg schlägt vor, dass der Schutz vor Metastasierung an die zweite Phase angeschlossen wird.

Einige wenige Ansätze, diesem Beispiel zu folgen, gab es bereits. So ließ die amerikanische Zulassungsbehörde Ende 2010 ein Mittel gegen Osteoporose auch für Krebsbehandlungen zu, da Metastasen häufig die Knochen zerstören. Dabei stellten die Mediziner fest, dass Patienten, die mit dem besagten Antikörper behandelt worden waren, länger frei von neuen Tochtergeschwülsten blieben. (Edda Grabar, DER STANDARD, 25.6.2012)