Die ersten Amerikaner kamen vor mehr als 15.000 Jahren über die damals zugefrorene Beringstraße nach Nordamerika (gelb). Weitere zwei Einwanderungswellen folgten.

Illustration: Emiliano Bellini

London/Wien - Der Siegeszug der Genetik macht auch vor der Archäologie nicht alt. Hat man bisher die Besiedelung von Nord- und Südamerika anhand von archäologischen Funden rekonstruiert, so bieten genetische Studien neue Aufschlüsse über die Einwanderung nach Amerika.

Unbestritten ist, dass diese gegen Ende der letzten Eiszeit über die damals noch existierende Landbrücke Beringia aus Asien passiert ist. In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Ankunftsdatum der ersten Ankömmlinge immer weiter nach hinten verlegt: Nahm man zunächst noch an, dass die Clovis-Kultur vor gut 10.000 Jahren die erste Menschengruppe auf nordamerikanischen Boden bildete, so schätzen Archäologen heute, dass die ersten Einwanderer bereits vor mehr als 15.000 Jahren Alaska erreichten, ehe weitere zwei Wellen folgten.

Nun bestätigt eine detaillierte Analyse des Erbguts von 493 amerikanischen Ureinwohnern dieses Szenario. Allem Anschein nach sind ihre Vorfahren tatsächlich in zumindest drei Wellen eingewandert: in einer ersten großen Welle vor mehr als 15.000 Jahren, der dann zwei weitere folgten.

Wie das insgesamt 64-köpfige internationale Forscherteam heute im Fachblatt "Nature" zudem berichtet, sind die Nachfahren der ersten Einwanderer am weitesten am amerikanischen Doppelkontinent verbreitet. Die zwei folgenden Migrationswellen haben bloß Spuren in arktischen Ethnien hinterlassen, die zur Eskimo-aleutischen sowie zur kanadischen Na-Dene-Sprachgruppe gehören.

Doch sogar bei diesen Völkern lassen sich mehr als 50 Prozent ihres Erbguts auf die erste Einwanderungswelle zurückführen. Das jedenfalls ergaben die Gentests, bei denen 365.000 einzelne Nukleotiden-Polymorphismen (SNPs) untersucht wurden. Dies bedeute, dass die späteren Einwanderer sich mit den bereits ansässigen Ureinwohnern vermischten.

Die Forscher konnten zudem belegen, dass die ersten Menschen in Amerika vorwiegend entlang der Küsten gewandert sind. Nur in zwei Fällen kam es auch zu einer Rückwanderung: Eine Gruppe in Zentralamerika hat Vorfahren sowohl im Norden wie im Süden. Die Gentests zeigten aber auch, dass gewisse sibirische Völker "Amerikaner-DNA" besitzen: Einige Nordamerikaner wanderten also zurück nach Asien. (tasch, DER STANDARD, 12.7.2012)