Auch wenn spätestens die aktuelle Konsolengeneration das Spielen in die
Wohnzimmer und somit in die Mitte der Gesellschaft gebracht hat, ist und
bleibt der gute alte Office-PC oder das Notebook ein unerschütterliches
Fundament des Gamings. Eine Zeit lang hatte es anders ausgesehen: Vor
allem in den Jahren der Einführung der Next-Gen-Konsolen beherrschten
Klagen über sinkende Verkaufszahlen, grassierende Piraterie und rasante
Hardware- und Preisspiralen die Diskussion über das
Nichtkonsolen-Gaming. Spätestens seit PS3 und Xbox360 langsam, aber
sicher an ihre technischen Grenzen stoßen und sich Downloadplattformen
wie Steam als Millionenmarktplätze etablieren konnten, sieht die Sache
aber wieder ganz anders aus: Schöner als am PC sieht heute kein
Konsolenspiel aus, für einen Gaming-PC bezahlt man keine Eckhäuser
mehr und innovative Vertriebsmodelle wie Crowdfunding, Bundles oder die
clevere Nutzung digitaler Vertriebskanäle - Stichwort: Steam Sale -
machen den PC, hauptsächlich mit Windows, aber zunehmend auch für Linux
und MacOS - zum attraktiven Spielgerät. Umso mehr, als sich mit Mods und
spannenden Nebenbeschäftigungen wie In-game-Fotografie ein fast unendlich großes Spielfeld abseits der eigentlichen Spiele auftut.
Totgesagt und quicklebendig
Auf dem Indie-Sektor spielt der Allrounder PC sowieso seit Jahren die
erste Geige, und das hat mehrere Gründe: Zum einen erlaubt die offene
Struktur der Plattform eine kaum zu überblickende Vielfalt von
Teilnahme. Ein Spiel selbst zu erstellen und ins Netz zu bringen ist
heute einfacher als je zuvor. Die US-Autorin und Spieleentwicklerin Anna
Anthropy hat diesen Trend in ihrem Buch "Rise oft the Videogame Zinesters "
anschaulich dargestellt. Die Vielfalt des Indie-Angebots auf dem
schlichten Arbeitstier PC ist denn auch enorm: Von Ein-Mann-Projekten
über zahllose Modifikationen, Freeware, Shareware bis hin zu bei
Programmierwettbewerben entstandenen Experimenten reicht die Palette -
dagegen sehen die Indie-Marktplätze der Konsolen regelrecht vereinsamt
aus.
Hohe Gebühren
Die Konsolenhersteller haben auch nicht unerhebliche Hürden aufgebaut: Erst kürzlich verlautbarten
die "Fez"-Macher zerknirscht, dass sich wegen der bei Microsoft
anfallenden Zertifizierungsgebühr von etwa 10.000 US-Dollar ein
notwendiger Patch schlicht nicht rechnen würden - das Nachsehen haben
die Spieler. Das positive PC-Gegenbeispiel liefert Valve: Auf deren
florierender Downloadplattform Steam wird in Zukunft mit Steam Greenlight
das Crowdsourcing in die Veröffentlichungspolitik miteinbezogen.
Spielprojekte kleiner Entwickler können sich auf dieser
Community-Plattform durch Fan-Support den begehrten Platz in der höchst
lukrativen Plattform sichern. Ein zweiter Nebenschauplatz, der Valves
Verständnis von Kundendienst beleuchtet, ist außerdem das kostenlose
Release des Source Film Makers - ein mächtiges Animationsprogramm, das auch zur Erstellung der beliebten "Team Fortress 2"-Videos verwendet wurde.
Kein Wunder also, dass im Biotop PC mehr Indieperlen gedeihen als
irgendwo sonst. Doch auch anderswo gibt es Bemerkenswertes abseits des
Mainstreams - hier die besten Indie-Games des vergangenen Monats.
Spelunky (Xbox360 XBLA 1200 MS-Punkte, PC gratis)
Auf dem PC ist "Spelunky" schon seit 2008 zuhause, Anfang Juli hat Derek Yu sein unglaublich charmantes, aber hammerhartes Action-Adventure mit dem unendlichen Wiederspielwert in einer grafisch und mechanisch aufgebohrten Version inklusive brandneuem Multiplayermodus nun auch für Xbox Live Arcade veröffentlicht. Als Höhlenforscher begibt man sich in immer wieder neu generierte Höhlen und Tempel, kämpft gegen Skelette und Fledermäuse, rettet Ladys, stiehlt Kristallschädel - und stirbt tausend Tode. Aber ein echter Westentaschen-Indiana gibt nicht auf, auch wenn Permadeath und haariger Schwierigkeitsgrad am Nervenkostüm nagen. Absolute Kaufempfehlung - "Spelunky" ist schon jetzt ein Independent-Gaming-Klassiker für die Ewigkeit.
La-Mulana (PC Windows, ca. 12 Euro)
Apropos Klassiker, und apropos Indiana Jones: Auch das altehrwürdige "La-Mulana", 2005 erstmals erschienen, ist jüngst aufgefrischt neu aufgelegt worden. Trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten zu "Spelunky" ist dieser Geheimtipp japanischer Bauart ein völlig anderes Biest: Hier geht's um sorgfältige Erforschung der liebevoll gestalteten Welt, um Story und fantasievolle Endgegner - tausend Tode stirbt man aber ebenso. Charmant, obskur, schwierig.
Dyad (PS3, August)
Auf Sonys Playstation Network wartet indessen ein völlig anderes Erlebnis: "Dyad" ist ein abstrakt-ätherischer Geschwindigkeitsrausch aus Farben, Bewegung und Musik. Hier wird der Spieler in einem psychedelischen Neongewitter schier in andere Bewusstseinszustände versetzt - der Klassiker "Rez" lässt grüßen. So schön können virtuelle Drogen sein - und Hangover sind auch nicht zu befürchten. Die Farben!
TRIP (PC, MacOS, 9 Euro)
Nicht ganz zufällig ist auch der Titel des nächsten Spiels gewählt, denn trippig ist auch "TRIP" allemal. Wer noch nicht genug vom Farbrausch und Interesse an interaktiver Kunst auch ganz abseits klassischer Spielkonzepte hat, wird das per Kickstarter vorfinanzierte "TRIP" lieben. Wie in "Dear Esther", "Proteus" oder "Journey" wandert man auch in diesem farbenprächtigen Exoten eher absichtslos, aber dafür staunend durch eine atemberaubende, bizarre Welt. KIassische Spielelemente wie Gegner oder Rätsel fehlen, aber das ist angesichts der knallbunt-abgefahrenen Welt, die es zu erkunden gilt, schnell vergessen. Vor allem, wenn der Soundtrack so gelungen ist wie hier.
Quantum Conundrum (PC, PSN, XBLA, 14,99 Euro)
Schräge Physikrätsel, tückische Experimentierkammern, Science-Fiction-Gadgets: Man bemerkt, dass Kim Swift die Miterfinderin des Klassikers "Portal" ist. Ihr neues Spiel mit neuem Team kann sich zwar nicht ganz am Ausnahmespiel mit der Portal-Kanone messen - welches Spiel kann das schon? -, doch das sollte First-Person-Puzzler nicht davon abhalten, mit "Quantum Conundrum" in die Testkammern zu steigen. Der Feinschliff des Klassikers fehlt - aber auch hier werden Gehirne verknotet.
Slender (PC, MacOS, gratis)
Zartbesaitete Spieler, bitte weglesen: "Slender" ist eine kurze Studie in Sachen Horror und beruht auf einer "Urban Legend" aus den Tiefen des Internets. Der titelgebende "Slender Man" ist eine gesichtslose Albtraumkreatur mit überlangen Armen, deren bloßer Anblick verrückt macht. Bei unserer Flucht durch den finsteren Wald spielen cleveres Sounddesign und minimalistische Spielmechanik die Hauptrollen: So wenig kann so viel Gänsehaut verursachen! Mit dem All-time-Indie-Horror-König "Amnesia" kann das Gratisprojekt mangels Umfang nicht mithalten, aber für eine Stunde gepflegte Gänsehaut ist die Mischung aus Homemade-Game und subtilem Horror allemal gut - ein kleiner Trend .
The Walking Dead (PC, MacOS, PS3, Xbox360 ca. 9 Euro; iOS 4,99 Euro)
Frisch für Apples Handheldgeräte erschienen ist auch die wunderbar atmosphärische Zombieapokalypse vom Indie-Adventure-Spezialisten Telltale Games. In der Welt der erfolgreichen Comic-Serie ist man jetzt auf fast allen Spielgeräten zu schwierigen Entscheidungen im düster-apokalyptischen Abenteuer unter Untoten gezwungen - und diese Entscheidungen haben es in sich. Für iPad und iPhones gibt es neu Episode 1, alle anderen können sich bereits mit Teil 2 der auf fünf Episoden angelegten Horrorsaga befassen. "Walking Dead" ist eine wunderbar zeitgemäße Neuinterpretation des Adventure-Genres - und nicht nur für Serien- oder Comicfans eine absolute Empfehlung wert.
Tiny Wings (iOS; 0,70 Euro iPhone, 2,39 Euro iPad)
Um nicht gar so düster zu enden, zum Abschluss eine weitere Erfolgsgeschichte der Indie-Games-Welt, diesmal mit Apple-Atmosphäre: Als der deutsche Student Andreas Illiger 2011 sein Spiel „Tiny Wings" für das iPhone auf den App-Market brachte, geschah ein kleines Wunder. Millionen Spieler verfielen dem umwerfenden Charme des kleinen Vogels und machten den verblüfften Deutschen quasi über Nacht reich. Ein Jahr später bedankt sich das sympathisch medienscheue Multitalent bei seinen Fans mit einem kostenlosen Upgrade für alle Käufer und einer nagelneuen iPad-Version. Alle, die bislang dem trügerisch einfachen Knuddelspiel noch nicht verfallen sind, sollten spätestens jetzt zugreifen: Als Bonus gibt's einen Zweispieler- und einen neuen Race-Modus. Und sowieso: gute Laune. Illiger wollte ein Spiel machen, dass glücklich macht - das hat er geschafft.
Man sieht: Trotz aller PC-Dominanz hat Indie-Gaming inzwischen auf allen Plattformen etwas Interessantes anzubieten. Und das Feld wird immer größer - man darf auf die Zukunft gespannt sein. (Rainer Sigl , derStandard.at, 31.7.2012)
Best of Indie-Games ist eine monatliche Koproduktion des GameStandard mit VideoGameTourism.at .
Nachlese
Best of Indie-Games: Die Spieleperlen im Juni