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Immer weniger Österreichisch hört man. Sicher ist das böse deutsche Kabelfernsehen schuld oder die globalisierte Jugendkultur. Aber vielleicht sollte das sprachliche Niveau einheimischer Parlamentarier mehr Anlass zur Sorge geben.

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Sieht Reste vom alten Österreich: Clemens Ruthner.

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Sprache scheint dieses Jahr echt ein brandheißes Thema in Österreich zu sein. So schlug die Wiener Presse am 8. Juli Katastrophenalarm: Das österreichische Deutsch sei vom Aussterben bedroht! Eine Umfrage unter Germanistik-Erstsemestern der Uni Wien durch den Linguisten Peter Wiesinger habe ergeben, dass ein Drittel der Studenten bundesdeutsche Ausdrücke auch dort verwendet, wo es ein österreichisches Wort gibt, also z. B. "Junge" statt "Bub"!

Keine Ahnung hatten wir, wie missraten unsre Kinder sind! Aber wer ist verantwortlich für diese fahrlässige Nivellierung notwendiger nationaler Unterschiede? Ich fürchte, es sind wieder einmal das böse (deutsche) Kabelfernsehen und die Gewissenlosigkeit einer globalisierten Jugendkultur. (Beachtlich ist auch, dass Professor Wiesinger, der zu meiner Studentenzeit noch - gelinde gesagt - "gesamtdeutsch" auftrat, heute als Verteidiger der österreichischen Zunge firmiert.)

Sprache als politisches Instrument

Schon vor langer Zeit soll Karl Kraus, jenes publizistische Mastermind der Wiener Jahrhundertwende, gesagt haben: "Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache." Ein Computeranalyse von Kraus' umfangreichem Werk hat freilich ergeben, dass er den berühmten Satz so nie formuliert hat. Dafür sagte schon George Bernhard Shaw das Gleiche über Briten und Amerikaner (Wohlgemerkt: Shaw war keins von beiden, sondern Ire.).

Wichtig wurde der kleine sprachliche Unterschied aber vor allem durch seine politische Instrumentalisierung: markierte er doch zunehmend die Differenz zwischen der "guten" alten Habsburgermonarchie und dem "bösen" preußischen Kaiserreich - während großdeutsche Nationalisten immer wieder versuchten, mit dem Argument der "gemeinsamen" Sprache die blöden Ösis zu überzeugen, doch endlich einmal "richtige" Deutsche zu werden.

Unterschied zwischen Deutsch und Österreichisch

Kein Wunder, dass die sprachliche Abgrenzung in Österreich dankbar wiederbelebt wurde, als es nach 1945 darum ging, der Welt zu beweisen, dass die kleine Alpenrepublik mit "den Deutschen" eigentlich wenig zu tun hatte. Eine weitere kleine Lebenslüge, um sich vor der Mitschuld für Nationalsozialismus, Weltkrieg und Holocaust zu drücken.

In der Realität betreffen die sprachlichen Unterschiede freilich nur ca. fünf Prozent des Wortschatzes, vor allem im Amtsgebrauch und in der Küche: Karfiol statt "Blumenkohl", Paradeiser statt "Tomate", Ribisel statt "Rote Johannisbeere". Diese Wörter werden aber nicht unbedingt in ganz Österreich verwendet; andere wiederum teilen wir mit den Bayern und den Schwaben. Trotzdem wurde man im Wien meiner Kindheit verprügelt, wenn man zum Abschied statt des örtlichen Baba (ein verballhorntes englisches "Bye-bye") das bundesdeutsche Tschüss sagte. Heute ist das gang und gäbe, vor allem im Umland.

Ribisel, Powidl, you name it ...

Für viele liegt das wahre Problem scheinbar darin, zu akzeptieren, dass Sprache mit und in ihren Sprechern "lebt" und sich deshalb nur schwer unter die Käseglocke von Politikern, Lehrern und Wissenschaftlern zwingen lässt; auch dann nicht wenn Puristen lautstark die "Anglisierung" Europas beklagen. Sprache macht nämlich nichts anderes, als die Macht- und Mehrheitsverhältnisse der Gegenwart abzubilden - ob wir das nun wollen oder nicht.

Ist das österreichische Deutsch also eine vom Aussterben bedrohte Tierart? Nicht wirklich. Es wird wohl den Sprachen unsrer Nachbarländer vorbehalten bleiben, Wörter zu konservieren, die "wir" verlieren werden, einfach, weil "wir" sie uns seinerzeit von dort ausgeliehen haben. Ribiseln, Powidl: you name it ... Ihr langsames Verschwinden "bei uns" ist nichts anderes als Anzeichen für das endgültige Dahinschwinden des " alten" Österreich im medialen und kulturellen Gedächtnis - Symptom eines stinknormalen Kulturwandels, wie er charakteristisch ist für moderne Gesellschaften.

Mich stimmt wesentlich besorgter, wenn ich das Niveau einer Wiener Parlamentsdebatte mit dem Berliner Bundestag vergleichen muss - und das nicht nur sprachlich. (Clemens Ruthner, DER STANDARD, 14./15.8.2012)