Anthony Hopkins und eine Zufallsbekanntschaft.

Foto: Filmladen

Moritz Bleibtreu und Jude Law in "360".

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Wien - In Schnitzlers "Reigen" kommt bekanntlich jeder zweimal dran. Die nagende Verunsicherung, die von dem Stück ausgeht, liegt eben gerade darin, dass man im Moment der Intimität möglicherweise gar nicht gemeint ist. In der Liebe und beim Sex geht es nicht zuletzt um Stellvertretung. Gesucht wird immer (auch) etwas oder jemand anderes. Regisseur Fernando Meirelles hat nun mit seinem Film "360" eine freie Variation des "Reigens" geschaffen.

Einmal im Kreis bedeutet hier eine Weltreise, die von Wien ausgeht und nach Wien zurückführt. Was bei Schnitzler noch die Dirne war, ist nun eine Escort-Dame, die aus Bratislava anreist und dabei ihre Schwester (ein süßes Mädel oder doch eher ein Stubenmädchen auf Ausgang?) mitnimmt, die im Park sitzt und liest, während Mirka zu ihren Verabredungen geht. Ein Geschäftsmann (Jude Law) lässt ein Treffen sausen, da er Kollegen trifft, und nebenbei besinnt er sich auch noch seiner Liebe zu der Ehefrau in London.

Diese beendet gerade eine Affäre mit einem, dessen Freundin ihrerseits schon Schluss gemacht hat und nun nach Brasilien fliegt, allerdings via Denver, wo sie auf einen resozialisierten Triebtäter und auf einen alten Mann (Anthony Hopkins) trifft, als ein Schneesturm eine kurze Zufallsgemeinschaft schafft.

Jede der Episoden in "360" scheint die vorangegangene an Abgeschmacktheit dabei noch übertreffen zu wollen. Meirelles und sein Drehbuchautor Peter Morgan interessieren sich nicht einfach für die Wechselfälle der Liebe, sie streben im Grunde nach einem Weltpanorama, in dem jede Kleinigkeit mit Tonnen von Bedeutung aufgeladen ist: In Paris hadert ein muslimischer Mann mit seiner Leidenschaft für eine verheiratete Frau aus Russland; in Wien wartet ein Fahrer auf seinen launischen Boss (auch aus Russland). Die Idee, den "Reigen" zu globalisieren, führt zu einer schweren Themenverfehlung: Woran die Liebe hier bricht, ist nicht mehr die bürgerliche Kultur mit ihren Hemmnissen und Heucheleien, sondern ein "clash of cultures" oder die Unerreichbarkeit des Anderen als solche.

Im einschlägigen Segment der Festivalkunstschinken gibt es mit schöner Regelmäßigkeit solche Verhebungen (siehe auch: "Babel" von Alejandro González Iñárritu), in denen Stars aus allen Himmelsrichtungen ohne Überlegung aufeinander losgelassen werden und der Zufall mit viel ästhetischem Pomp beschworen wird. Meirelles lässt keinen optischen Effekt, kein kleines Montagekunststück, keine bewährte Starmarotte aus. Er verliert sich in Details und vergisst dabei auf das entscheidende Moment einer solchen Geschichte: Struktur. "360" ist, wenn es das denn geben könnte, ein amorpher Reigen, der nur mit größter Mühe die vielen Kurven kriegt, in die sich hier das Schicksal legt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 23.8.2012)